Die hohen Türen des seitlichen Bühneneingags öffnen sich. Kurz wird es hell. Auftritt George Bridgetower: schwarzer Mantel, schwarze Lederhandschuhe, hohe schwarze Lederstiefel, den Geigenkoffer fest im Griff. Langsam schreitet er seinem neuen Freund, dem Komponisten Ludwig van Beethoven, entgegen. Auf gläsernem Boden zwischen Marmorwänden treten sie sich gegenüber. Aus seinem Können macht Bridgetower zu Beethovens Überraschung keinen Hehl: „Ich weiß, was ich kann.“ Gemeinsam wollen sie die Sonate für Klavier und Violine Nr. 9 aufführen. Bridgetowers Hoffnung ist groß: „Mit dem großen Maestro gespielt zu haben, wird mich in die Geschichte einschreiben.“ Von Anfang an als Schwarz markiert, ist schnell k
l klar, der Geiger spielt unter ungleichen Bedingungen.Viel ist nicht bekannt über die Ereignisse, die der Uraufführung von Die Bridgetower-Sonate am Schauspiel Leipzig zugrunde liegen. Doch sie werfen Fragen auf, die ins Heute ragen: Wer schreibt die Geschichte? Und auf welche Weise? Denn was auch zweihundert Jahre später immer noch als Kreutzer-Sonate bekannt ist, war zunächst einem anderen gewidmet: ebenjenem englischen Geiger und Komponisten, George Bridgetower.Nach dem Konzert rief Beethoven: „Noch einmal, mein lieber Bursch!“1803 freundete sich der Sohn einer deutschen Mutter und eines vermutlich aus Barbados stammenden Vaters mit dem niederländischstämmigen Deutschen Ludwig van Beethoven an. Bei der Uraufführung der Sonate muss Bridgetower von dem handgeschriebenen Notenblatt spielen, auf dem Beethoven kurz zuvor noch Änderungen vorgenommen hatte. Bridgetowers spontane Improvisation löst frenetischen Applaus aus. Über Beethovens Reaktion ist dokumentiert, er soll von seinem Sitz aufgesprungen sein, Bridgetower umarmt und gerufen haben: „Noch einmal, mein lieber Bursch.“Anlässlich eines Streits um eine Frau widmet Beethoven das Werk kurze Zeit später um – an den Violinisten Rodolphe Kreutzer, den Beethoven selbst nie getroffen hat und der die Komposition für unverständlich und zu schwierig hielt. Das Theaterstück legt jedoch die Deutung nahe, dass es Beethovens Rassismus ist, der zur Tilgung Bridgetowers aus der Geschichte führt.Autorin Amanda Wilkin macht den Rassismus sichtbarAmanda Wilkin, Gewinnerin des Stückemarkts des Berliner Theatertreffens 2022, hat das Stück im Auftrag für das Schauspiel Leipzig geschrieben. Die historische Vorlage reichert sie mit Umständen und Dialogen an, wie sie sich tatsächlich zugetragen haben könnten. Entstanden ist dabei die Geschichte über den Beginn einer Freundschaft, die durch Beethovens unmenschliche Weltsicht ein jähes Ende findet. In den Dialogen zwischen Bridgetower und Beethoven legt Wilkin Schicht um Schicht die nicht nur für Schwarze Menschen menschenfeindliche Ideologie frei, die für Weiße Menschen ansonsten unsichtbar scheint.Durch die Rolle der ungebundenen Kosmopolitin Clara, die sich wider die gesellschaftlichen Erwartungen an sie als Frau ihren Weg ebnet, fügt Wilkin diesem Stoff eine weitere Ebene hinzu. Geschickt zwischen den Figuren platziert, verwebt sie das Frausein der einen mit dem Schwarzsein des anderen. Denn als Frau, die Frauen liebt, ist auch Clara nicht geschaffen für die Welt, in der sie lebt. Dem desillusionierten Bridgetower schlägt sie vor: „Wir können uns verbünden!“ Paulina Bittner trägt dabei einen erfrischenden Mut wider die ernüchternde Realität zur Schau, der Eindruck macht.Die Inszenierung von Adewale Teodros Adebisi erscheint durch die Spannung zwischen historischen Kostümen von Alexander Grüner und den kraftvollen Sounds von Musikerin Stella Goritzki zeitlos.Selam Tadese spielt Bridgetower mit tiefem StolzEinmal tritt Selam Tadese, der den Bridgetower mit einem tiefen Stolz erfüllt spielt, zwischen das mehrheitlich weiße Publikum und zeigt mit dem Finger auf einen Mann in der dritten Reihe, um Beethoven zu erklären: „Du bist unter deinesgleichen. Du verschwimmst in der Masse.“ Die Theorie des kritischen Weißseins, hier wird sie erfahrbar, hier setzt das Gefühl ein – bei dem man in einem schwachen Moment in den Stuhl versinken möchte, vor Scham vor sich selbst. Das hilft zwar niemandem, aber Adebisi gelingt mit Momenten wie diesem ein direkter Zugriff aufs Publikum, ohne die vierte Wand durchstoßen zu müssen. Immer wieder wird der Publikumsraum kurz Teil der Geschehnisse.Und obwohl es allen Grund gibt, Beethoven ausschließlich als Unsympathen und Rassisten darzustellen, legt Adebisi die Rolle vielschichtiger an, durchleuchtet seinen Charakter. Dieser Beethoven scheint gefangen in seinen kindlichen Gefühlen, einerseits der puren Freude über die Musik, andererseits erfüllt von Trotz, wenn er nicht im Mittelpunkt des Geschehens steht. Wenn Wenzel Banneyer dann mit verschränkten Armen mit den Augen durch die Gegend flimmert, ist der bevorstehende Gefühlsausbruch vorprogrammiert.Wie würde die Geschichte zwischen Bridgetower und Beethoven heutzutage ausgehen? Wie würde die Öffentlichkeit reagieren? Vielleicht bildet die Uraufführung in Leipzig einen Anstoß. Für eine Veränderung, besser: für eine Korrektur. Vielleicht spielt man sie dann nicht mehr nur im Schauspiel, sondern auch im Konzert: die Bridgetower-Sonate.