Das „Geiz ist geil-Vergabesystem“

Geflüchtete Sprachkurse und Maßnahmen zur Arbeitsmarktintegration werden vom Staat kostengünstig auf private Träger ausgelagert, wodurch die Qualität der Angebote in Gefahr gerät

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Das „Geiz ist geil-Vergabesystem“

Foto: imago images / Olaf Döring

Maßnahmen zur Arbeitsmarktintegration, aber auch Sprachkurse für Geflüchtete werden in Deutschland von staatlichen Institutionen bei privaten Trägern eingekauft. Neben inhaltlichen Kriterien spielen finanzielle Indikatoren bei der Auftragsvergabe eine wichtige Rolle. Folge dieser Art der Projektfinanzierung sind prekäre Beschäftigungsverhältnisse durch befristete Förderlaufzeiten. Für die Qualität der Sprachkurse und Maßnahmen ist die Art der Auftragsvergabe potenziell ebenfalls problematisch: Teilweise ist es für die Träger unmöglich, Aufträge für Maßnahmen und Sprachkurse zu erhalten, wenn sie ihre Mitarbeitenden nach Tarif bezahlen. Folge sind vor allem in Bereichen mit Fachkräftemangel (z.B. SozialarbeiterInnen, qualifizierte Sprachlehrkräfte) Rekrutierungsprobleme und Prozesse der Dequalifizierung, da von einigen Trägern nur begrenzt qualifiziertes Personal gewonnen werden kann. Darüber hinaus bedingt die Vermarktlichung von Arbeitsmarktdienstleistungen eine unübersichtliche und fragmentierte Förderkette, für die Übergangsprobleme zwischen einzelnen Maßnahmen und Kursangeboten typisch sind. Ein Mitarbeiter des DGB in Niedersachsen charakterisiert die Praxis daher als „Geiz-ist-geil-Vergabesystem‘, der Billigste kriegt den Zuschlag. Das heißt, wir arbeiten überall ohne Qualitätsmerkmale, ohne Kriterien und so weiter. Befristung, prekär und Mangel an Qualifikationen“.[1]

Zentrale Instrumente der Sprachförderung sind Integrationskurse und Kurse der berufsbezogenen Deutschsprachförderung (sog. DeuFöV-Kurse). Der Sprachkurs im Integrationskurs umfasst in der Regel 600, 900 oder 1200 Unterrichtseinheiten von 45 Minuten und läuft auf eine standardisierte Prüfung hinaus, den TELK B1-Test. Die auf die Integrationskurse aufbauenden Kurse der berufsbezogenen Deutschsprachförderung sind in Module aufgeteilt. Ein Basisberufssprachkurs der DeuFöV umfasst in der Regel 400 Unterrichtseinheiten, ist also im Umfang reduzierter. Niveau und Geschwindigkeit sind deutlich höher.

Mit dem deutlich verstärkten Zuzug von Geflüchteten im Jahr 2015 musste das staatlich finanzierte Deutsch- und Integrationskursangebot rasch deutlich ausgeweitet werden. Die Qualität einiger Sprach- und Integrationskursangebote war in der Folge mangelhaft, stellt der Mitarbeiter eines Jobcenters in Niedersachen fest: „Da kann ich auch nur müde lächeln. Dass jetzt festgestellt wird, dass die Sprachkurse vielleicht nicht so eine hohe Qualität haben. Wir hatten 2014, schätze ich mal, siebzig Prozent von dem Bedarf, den wir jetzt haben – oder vielleicht noch weniger – oder den wir danach hatten. Das musste in kürzester Zeit aber hochgefahren werden auf hundert Prozent. Es sind überall neue Träger gekommen und ganz viele Lehrkräfte natürlich auch. Dass das natürlich nicht die Qualität steigert und wahrscheinlich eher senkt, das ist eher normal, würde ich sagen.“

Es fehlte nicht nur an erfahrenen Projektträgern, sondern auch an qualifiziertem Personal: „Es ist einfach so, dass Gelder freigesetzt wurden, Bildungsträger natürlich auch wirtschaftlich handelnde Organe sind, die an diese Gelder ran wollten. Man musste ad hoc Sprachkurse konzipieren. Wir hatten die Situation, dass man teilweise auf dem Arbeitsmarkt tatsächlich keine Sozialpädagogen und auch keine Sprachmittler mehr finden konnte und dann ist man natürlich dahin gegangen, dass man die Qualitätsansprüche auch ein bisschen gesenkt hat. Lerninhalt kann nur funktionieren und kann nur übermittelt werden, wenn die Person, die das übermitteln soll, auch qualifiziert ist“, erklärt der Mitarbeiter einer Handwerkskammer in Niedersachsen. Der Mitarbeiter des DGB formuliert eine ähnliche Erfahrung in zugespitzter Form. Die Leute, meint er, „kriegen scheiße wenig Geld, das heißt, ich kann auch nicht die Kompetenz erwarten“.

Nach Angaben der GEW liegen die Honorare von Sprachlehrkräften teils deutlich unter 30 Euro pro Unterrichtseinheit; nur für Integrationskurse gilt seit 2016 ein Mindesthonorar von 35 Euro. Kaum eine Sprachlehrkraft erzielt auf Basis von Honorarverträgen ein Einkommen, das dem einer festangestellten Lehrkraft entspricht: Um nach Abzug aller Sozialversicherungsbeiträge und Steuern auf das Einkommensniveau einer Lehrkraft in der EG 11 des Tarifvertrages für den öffentlichen Dienst (TVöD) zu kommen, müssten – je nach Berufserfahrung – 42 bis 68 Euro pro Unterrichtseinheit bezahlt werden; um auf das Niveau der EG 13 des TVöD zu kommen, 53 bis 76 Euro. Viele Träger sind aber nicht tarifgebunden. Die GEW fordert als gesetzliche Vorgabe, dass sozialversicherungspflichtig beschäftigt werden muss, wer „dauerhaft und überwiegend“ für einen Auftraggeber tätig ist.

Prekäre Beschäftigung und fehlende Ausbildung erschweren es den Lehrkräften, ein qualitativ gutes Sprachkursangebot zu gewährleisten. Die LehrerInnen, so die Erfahrung der Mitarbeiterin eines hessischen Projektträgers, „sind ja selbst nicht wirklich qualifiziert und die, die qualifiziert sind, die sind einfach überfordert. Also der gleiche Lehrer, der arbeitet bei drei, vier verschiedenen Sprachschulen“. Eine Weiterqualifizierung wird den Lehrkräften nur bei wenigen Trägern ermöglicht, berichtet der Mitarbeiter des Jobcenters: „Ich war in einer Schulung zum Thema Traumata, da waren drei Sprachkurs- Lehrkräfte dabei. Das fand ich sehr gut, dass die dabei waren, die waren von der Volkshochschule. Von privaten Trägern würde man da keinen sehen. Die Volkshochschule ist der einzige Träger, der tatsächlich sagt: ‚Eine Lehrkraft macht einen Kurs am Tag und nicht morgens einen und nachmittags einen. Der muss sich auch noch vor- und nachbereiten, das geht nicht. Und das hat natürlich auch mit Qualität zu tun.“ Der Übergang zwischen einzelnen Sprachkursen gestaltet sich schwierig, konstatiert ein Mitarbeiter einer hessischen Agentur für Arbeit: „Man schickt ständig die Kunden von A nach B, dann haben sie was erreicht, dann fangen sie wieder mit einem anderen Sprachkurs an, die Stringenz ist da nicht gegeben. Die sind sowieso schon den ganzen Tag unterwegs, um irgendwelche Behördenauflagen zu erfüllen, und da brauche ich eine Bescheinigung und da brauche ich das. Das verstehen die erst mal alles gar nicht. Und dann kommt noch dazu, dass wir sie in der Gegend rumjagen, von einem Kurs in den nächsten, oder sie sollen sich die selber suchen.“

Übergänge sind zudem teilweise mit langen Wartezeiten verbunden, die das bereits erreichte Sprachniveau gefährden. Wie der Mitarbeiter eines Projektträgers in Baden-Württemberg berichtet, habe er „jetzt momentan einen, der ganz dringend einen B1-Kurs sucht, der jetzt warten muss bis in den Januar. Er ist im Oktober aus der Schule gefallen und ist jetzt zum Nichtstun verdammt. Da verliert sich einfach so vieles in dieser Zeit“. Geflüchtete werden dadurch demotiviert, so die Erfahrung eines hessischen Sprachkursträgers: „In den Anfängen hatte ich das Gefühl, dass achtzig Prozent der Leute hoch motiviert waren. Ich habe den Eindruck, dass mittlerweile dadurch, dass diese Programme so laufen, wie sie laufen, die Motivation sehr abnimmt. Das sieht man auch an den Teilnehmerlisten, die werden immer löchriger. Ich finde, da werden die Leute wirklich über lange Zeit verbrannt, durch diese Scheißkurse.“

Ähnliche Probleme wie in den Sprachkursen lassen sich auch in Maßnahmen zur Arbeitsmarktintegration beobachten. Das Vergabesystem der staatlichen Institutionen setzt auf quantitative Indikatoren wie Vermittlungszahlen und Kostenindikatoren, also den Preis der Dienstleistung, erklärt der Mitarbeiter des Jobcenters: „Wenn ein Angebot ist, und der sagt: ‚Wir machen alles, was ihr sagt, und alles, was ihr fordert, sind aber dreißig Prozent günstiger als die anderen, dann kriegen die die Maßnahme“. Aus der Erfahrung eines Projektträgers in Hessen führt dies de facto dazu, dass „die monetären oder finanziellen Strukturen höher bewertet werden, weil es gibt eine Formel und wenn du aus einem so genannten Kennzahl-Korridor raus bist, bist du raus, ob du ein super Konzept hast, ist scheißegal. Dann kriegst du dann als lapidare Antwort: ‚Ja, sie sind nicht im Kennzahl-Korridor drin, und sie haben nicht das wirtschaftlichste Angebot abgegeben‘“. Ziel der Projektfinanzierung sei in vielen Fällen „eigentlich nur, die Kosten zu minimieren“. Kurze Projektlaufzeiten, kritisiert er, erschweren es den Trägern, qualifiziertes und motiviertes Personal zu gewinnen: „Du musst es jährlich beantragen, was letztendlich bedeutet, dass du natürlich prekäre Arbeitsverhältnisse schaffst. Das heißt automatisch eine hohe Fluktuation von Mitarbeitern. Meistens sind das auch Berufsanfänger. Also du kriegst auch keine gestandenen Sozialpädagogen. Es ist halt jetzt nicht unbedingt etwas, was Perspektive bietet. Und dementsprechend ist das natürlich ein schwieriges Feld. Auch gerade was die Motivation der Mitarbeiter betrifft.“

Quantitative Indikatoren wie Vermittlungszahlen können Fehlanreize zur Folge haben, stellt der Mitarbeiter der Handwerkskammer fest: „Das Damoklesschwert der Vermittlungszahlen schwebt über den Kollegen und Kolleginnen, beispielsweise bei den Bildungsträgern. Wenn du beim Bildungsträger angestellt bist und du hast einen befristeten Arbeitsvertrag und du weißt, du musst im Jahr fünfzig Leute in den Arbeitsmarkt integrieren und es sind noch drei Monate und dir fehlen zehn Leute, dann, glaube ich, brauche ich nicht weiter erläutern, wie du da weiter verfährst? Fallzahlen können die Qualität von Arbeit nicht messen. Wir haben auch oftmals die Situation, dass Betriebe uns kontaktieren, die nicht über uns an die Flüchtlinge herangekommen sind in Anführungsstrichen, sondern über irgendwelche Bildungsträger oder sonstige Akteure, und nach fünf Minuten ist klar, wenn man sich die Konstellationen anguckt, hier ging es einfach darum, den irgendwie in diesen Betrieb zu vermitteln, weil man offensichtlich diese Vermittlungszahl gebraucht hat.“

Das Angebot an Maßnahmen wurde ebenfalls in kurzer Zeit stark ausgeweitet, erzählt die Mitarbeiterin einer Industrie- und Handelskammer in Bayern: „Es war in der Zeit von 2015 schon so, dass viele Töpfe frei gemacht wurden, dass es einen Markt gab auf einmal, wo verschiedene Initiativen auch hochgeploppt sind. Das war ein Geschäftsmodell. Und das macht es natürlich in der Praxis sehr schwer, wenn man nicht genau weiß, wer da jetzt wie aktiv ist, und dann kriegt man es irgendwie hintenrum mit, was es da alles gibt.“ Die Vielfalt an Trägern und Maßnahmen hatte eine unübersichtliche Förderstruktur zur Folge, erzählt der Mitarbeiter des Jobcenters in Niedersachsen: „Bei dem Maßnahmen-Management hatten wir eine Situation, dass der persönliche Ansprechpartner gesagt hat: ‚Ich habe überhaupt keinen Überblick mehr.‘ Also wir haben tausend Maßnahmen, wir wissen nicht mehr, wann wir was machen müssen, dann hören wir von irgendwelchen Leuten: ‚Die Maßnahme ist nicht voll, die muss besetzt werden‘. Wir wissen nicht mal – zum Teil –, was die ist, und wir brauchen da was anderes.“

Für Geflüchtete schafft die Diversität „die Problematik: ‚Äh, wo gehe ich denn jetzt nun hin?“, stellt der Mitarbeiter einer sächsischen Beratungsstelle fest. Passgenaue individuelle Lösungen für die Geflüchteten werden dadurch eher erschwert, meint die Mitarbeiterin einer Beratungsstelle in Hessen: „Das ist ja ein kaum noch zu überblickender Dschungel an Möglichkeiten. Es ist Geld da, es ist Angebot da, aber es wird meiner Wahrnehmung nach viel investiert in Maßnahmen, von denen die einzelnen Jugendlichen dann letztendlich nicht profitieren: Ab in die Maßnahme, die Maßnahmen müssen befüllt werden, die Maßnahmen sollen auch zu Ende geführt werden. Das hat alles mit Geld zu tun. Und da wird dann manchmal nicht so viel Wert gelegt auf Sinn und Zweck der Veranstaltung.“ Der Mitarbeiter des hessischen Projektträgers ist vor diesem Hintergrund skeptisch, ob die staatliche Auftragsvergabe an private Träger sinnvoll ist: „Da kann man dann wirklich im wahrsten Sinne des Wortes sagen: ‚Viele Köche verderben den Brei.‘ Weil du dann halt kein kohärentes System mehr aufbauen kannst. Weil die Träger, die sich dann darauf bewerben, die sehen das häufig aus ihrem Eigeninteresse heraus und sagen: ‚Wir haben das und das‘, und dann kommt meistens ein Konzept raus, wo du sagen kannst: ‚Das ist alles andere als zielführend.“

[1] Die Zitate sind Interviews entnommen, die im Rahmen des durch das BMBF geförderten Forschungsprojekts „Willkommenskultur und Demokratie in Deutschland“ (www.welcome-democracy.de, Laufzeit: 10/2017-11/2020) geführt wurden. Sie wurden sprachlich geglättet.

Eine gedruckte Version des Beitrags ist in der Zeitschrift express erschienen.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Doreen Bormann / Nikolai Huke

Wir forschen im durch das BMBF geförderten Projekt "Willkommenskultur und Demokratie in Deutschland" zur Arbeitsmarktintegration von Geflüchteten.

Doreen Bormann / Nikolai Huke

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