Harzer Höhenvieh

Ostharz: Auftrag per Fax - ein Roman in Fragmenten

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Bei Obermeyer liegt eine Zeichnung auf dem Tisch, die der Chef nicht kennt: Ich habe gedacht, Sie arbeiten an den Plänen für die Oberschule... fragt er nach.

Hat der Professor Sie noch nicht angerufen? fragt Obermeyer zurück, die Flächen sind seit letztem Monat nicht mehr als Landschaftsschutzgebiet ausgewiesen, jetzt kann er da oben bauen.... mit sparsam gesetzten Worten beschreibt Obermeyer den bisherigen Planungsverlauf:

Professor Bittmann, ein wohlhabender Zahnchirurg aus Braunschweig hat nach der Wende verschiedene Wald- und Weideflächen auf der Harzer Hochebene zwischen Allrode, Friedrichsbrunn und Bärenrode zurückbekommen.... und verfolgt seitdem das Ziel, sich mitten in seinem geliebten Jagdrevier einen Altersruhesitz zu schaffen.

In seinem Auftrag hat Bauprojekt vor vielen Monaten als Änderung des Flächennutzungsplans beantragt, einen Teil des Landschaftsschutzgebietes als Fläche zur landwirtschaftlichen Nutzung auszuweisen, angeblich warten bereits einige Exemplare des Roten Höhenviehs ungeduldig darauf, die neu ernannten Hofweiden des späten Landjunkers zu erkunden... Obermeyer lächelt wissend, er scheint das agrarische Engagement des Professors nicht sehr ernst zu nehmen.

Vertrag? Nein, da gab es nie einen Vertrag, ich habe die Stunden notiert, Frau Radomsky hat die Rechnung geschrieben.... und Obermeyer zeigt das Fax, das der Professor geschickt hat:

Jetzt muss dringend ein Bauantrag eingereicht werden, bitte fangen Sie umgehend an. Unter dem kurzen Gruß ist eine kleine Skizze mit mehreren Vierecken: Wohnhaus, Gästehaus, Scheune, Stall, Garage hat er bezeichnet, außerdem ist eine gestrichelte Linie weit über das ganze Blatt gezogen... Wasser und Abwasser steht da.

Herr Grabmüller ist vorhin los zur Kommunalen Wasserversorgung, um den Anschluss zu beantragen, sagt Herr Obermeyer noch. Kollege Grabmüller ist der einzige Tiefbauingenieur im Büro und plant hier bei Bauprojekt die Außenanlagen, die Wege und alle Leitungen. Auch hier im neuen Domizil wächst sein Schreibtisch allmählich wieder mit dickbündeligen Papierstapeln zu....

An diesem Abend kommt Besuch in das Alte Wasserwerk, die meisten Mitarbeiter sind schon gegangen. Der Geschäftsführer hat einen neuen Bekannten aus dem Club der Alten Freunde eingeladen, der Clubfreund leitet eine psychiatrische Klinik in der Region.

Nach einem kurzen Rundgang sitzen sie im Besprechungsraum, der Blick des Gastes gleitet über die historischen Seekarten an den Wänden und über die kleinen Schiffsmodelle hinaus in den grünen Park, über die Wiese bis zur Böschung, hinter der die Wilde Bode blitzt: Schön haben Sie es sich hier eingerichtet...

Der Gastgeber dankt für das Kompliment und erzählt von den Anstrengungen der Umzugswochen.... alle Mitarbeiter haben sich bis an den Rand ihrer Kräfte engagiert, sagt er, die größte Herausforderung war das Archiv zu bewegen... vierzehn arbeitsreiche Jahre seit der Wende...

Der Arzt ist heute gekommen, weil der Geschäftsführer darum gebeten hat.... er habe etwas Vertrauliches zu besprechen. Wie kann ich Ihnen denn helfen? fragt er bald.

Vorsichtig beginnt der Architekt jetzt, sein Thema einzukreisen: Ob es wohl möglich sei, dass ganze Gruppen in eine kollektive Depression abtauchen könnten? Er beschreibt die Schwierigkeiten verschiedener Mitarbeiter, die Verzweiflung bei jedem neuen Ereignis, die stille Ablehnung und die unterdrückte Hoffnungslosigkeit..... Meine Erwartung war, dass der Umzug in diese grüne Idylle einige Spannungen löst, aber man denkt, das Büro sei nur wegen der geringeren Kosten hier eingezogen.

Er schweigt für einen Moment.

Am liebsten würde ich einige Mitarbeiter in eine lange Kur schicken, sagt er schließlich, auch wenn es keiner zugeben will, viele bräuchten eine längere Pause... ein anderes Umfeld, andere Gesichter, jeder müsste sich für eine Weile mit anderen Fragen auseinandersetzen.... sagen Sie, lieber Freund, kann man als Arbeitgeber Mitarbeiter krank schreiben lassen?

Der Freund muss lächeln: Nein, das geht nicht.... ein Arbeitnehmer muss freiwillig zum Arzt gehen, wenn er krank ist!

Hier fühlt sich fast jeder unersetzlich.... was in gewisser Weise natürlich stimmt, sagt der Architekt nachdenklich... vor zwei Monaten hat sich unser Tiefbauingenieur mit einer Erkältung krank gemeldet, aber die Kollegen haben ihn am vierten Tag im Einkaufszentrum gesehen, Quedlinburg ist ja sehr klein... am nächsten Tag war er wieder am Arbeitsplatz, alle haben ihm Vorwürfe gemacht, weil sie dringend auf Angaben von ihm gewartet haben... wie soll der Mann auf andere Gedanken kommen?

Solange sich jemand nicht krank fühlt, kann auch keine Krankschreibung erfolgen... wiederholt der Arzt, mit einer Kur ist es ebenso, man muss sie selbst beantragen....

Bald darauf verabschiedet er sich, hinter dem Quedlinburger Schlossberg neigt sich bereits die Sonne....

Drei Wochen später hält der Arzt dort oben auf dem Schloss zum Stammtisch der Alten Freunde einen Vortrag: Wie erkenne ich eine Depression?

Dazu verteilt er einen Fragebogen mit einem Selbsttest zum Ankreuzen:

Ich fühle mich leicht belästigt und verärgert, steht da unter anderem: Ich fühle mich eingeengt und eingeschlossen, Ich fühle mich kraftlos und träge, Ich leide darunter, mir ständig Vorwürfe zu machen, Ich habe ohne Grund Angstgefühle, Ich blicke hoffnungslos in die Zukunft, Ich denke an das Sterben und den Tod....

http://www.selbsthilfegruppe-wunderkind.de/ads,fragebogen,31_60.html

http://www.therapie.de/psyche/info/test/depression/

Hier endet der 344. Eintrag: Dieser Blog mischt Fiktion und Realität. Ähnlichkeiten mit lebenden oder toten Personen sind zufällig und in der historischen Überlieferung nicht verbürgt. Ich bin nur der Navigator, mein Name sei NEMO:

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Geschrieben von

archinaut

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