„Ein Glücksfall“ von Woody Allen: Dem Zufall überlassen

Komödie In seinem 50. Film, der zugleich sein erster auf Französisch ist, findet Woody Allen in Hochform zu sich selbst
Ausgabe 15/2024
Alain (Niels Schneider) und Fanny (Lou de Laâge) in Woody Allens „Ein Glücksfall“
Alain (Niels Schneider) und Fanny (Lou de Laâge) in Woody Allens „Ein Glücksfall“

Foto: Thierry Valletoux/Gravier Productions

Humor lasse sich nicht gut übersetzen, heißt es immer wieder. Was natürlich nicht nur für den Wortwitz oder die Sprache im engeren Sinn gilt, sondern für dieses „je ne sais quoi“, das zum Beispiel den in New York spielenden Woody-Allen-Filmen eigen ist. Insofern stellt Ein Glücksfall, oder Coup de chance wie er im französischen „Original“ heißt, ein echtes Experiment dar: Ist ein „typischer Woody Allen“ einfach so nach Paris übertragbar? Nicht nur als Handlungsort, damit hat Allen in den letzten Jahrzehnten viel experimentiert, sondern auch was das Milieu, die Menschen anbetrifft? Bei der Premiere von Ein Glücksfall im vergangenen Herbst auf dem Filmfestival von Venedig war als implizite Antwort darauf an vielen Stellen ein „Das ist der Woody Allen, den wir lieben!“ zu hören.

Tatsächlich müssen viele, wenn nicht gar die meisten Elemente in Ein Glücksfall den Kennern seiner Filme sehr vertraut erscheinen. Er variiert ein Thema, das Allen schon einige Male durchgespielt hat, am erfolgreichsten bereits 1989 in Verbrechen und andere Kleinigkeiten und als eine Art Comeback 2005 dann noch einmal in Match Point. Was, wenn ein Mann mit Mord davonkäme? Wo aber in den früheren Filmen die Krisenbewältigung im unmittelbaren Umfeld der Tat und dann die überraschend erfolgreiche Karriere danach im Vordergrund standen, geht Allen diesmal speziell auf die Rolle des Zufalls ein, dessen großer Einfluss auf den Verlauf der Dinge schon in der Realität oft unterschätzt wird.

Eine Affäre mit „Tagesfreizeit“

Zufällig also begegnen sich in Paris Fanny (Lou de Laâge) und Alain (Niels Schneider) wieder. Sie kennen sich nicht wirklich, sondern haben lediglich vor Jahren dieselbe französische Schule in New York besucht. Aber Alain, das gibt er nun beim Wiedersehen in der herbstlichen Sonne offen zu, habe damals im Stillen immer für Fanny geschwärmt. Sie dagegen hat von ihm wenig mehr als „ein Junge in Jeans und brauner Jacke“ in Erinnerung, wie sie später bei einer Party einer Freundin erzählt. Doch das Treffen hat großen Eindruck bei ihr hinterlassen. Zuerst das Gespräch über die Unwägbarkeit des Lebens, das Alain angeregt hatte angesichts der Unwahrscheinlichkeit ihrer Wiederbegegnung nach all den Jahren. Und dann natürlich der Mann selbst, der auf sehr charmante Weise das völlige Gegenteil zu ihrem eigenen Ehemann darstellt. Der, ein wohlhabender Geschäftsmann namens Jean (Melvil Poupaud), ermöglicht ihr zwar ein luxuriöses Pariser Großstadtleben mit Champagner-Empfängen, geschmackvoll modernisierter Altbauwohnung und Jagdwochenenden auf dem Land. Aber besonders bei Letzteren langweilt sie sich zu Tode. Ihre eigene Arbeit in einer Kunstgalerie scheint sie auch nicht wirklich auszufüllen. Die Anziehung, die sie im Hinblick auf Alain empfindet, ist so sehr Klischee wie vollkommen plausibel: Alain lebt als Schriftsteller-Bohemien in einer kleinen, romantischen Dachwohnung und hat dementsprechend viel „Tagesfreizeit“, um mit ihr mittags in den Pariser Parks ein Sandwich zu genießen. Mit anderen Worten: Ihre Affäre entwickelt sich schnell und stürmisch.

Der Herbst ist noch nicht zu Ende, da will Fanny ihren Mann verlassen. Aber dann verschwindet Alain plötzlich spurlos. Hat Jean etwas damit zu tun? In einer der vielen raffinierten Wendungen, die der Film nimmt, ist es ausgerechnet Fannys krimi-lesende Mutter Aline, gespielt von einer großartigen Valérie Lemercier (Die Besucher), die Verdacht schöpft. Aline nämlich glaubt nicht an Zufälle, weshalb sie die Tatsache, dass ein Geschäftspartner von Jean unter mysteriösen Umständen ums Leben kam, während Jean selbst finanziell profitierte, sehr misstrauisch macht.

Zu den Klängen eines perligen Jazz-Soundtracks erzählt der Film seine im Grunde fast abgedroschene Geschichte. Aber durch Vittorio Storaros grandiose Kameraführung, die nah an den Figuren bleibt, ohne je zu verwackeln, und durch das ungeheure Tempo, das die Regie vorlegt, bekommt der Film etwas Rasantes und Unterhaltsames. Die französischen Konversationen mit ihrer wortreichen Redeverliebtheit tun ihr Übriges dazu. Mit einem Humor, der ohne Klamauk oder Slapstick auskommt und sich ganz aus dem trockenen Rhythmus der Dialoge und Situationen ergibt, macht Ein Glücksfall gerade durch die französische Übersetzung wirklich so etwas wie eine „Woody-Allen-Essenz“ erkennbar.

Ein Glücksfall Woody Allen Frankreich / Großbritannien 2023, 93 Min.

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Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

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