„The Curse“: Emma Stone ist die Cringe Queen

Serie Wann ist der Begriff „cringe“ eigentlich so allgegenwärtig geworden? Die Serie „The Curse“ ist keine Comedy und so cringe, dass hier womöglich ein neues Genre entstanden ist
Ausgabe 01/2024
Weiße Helme wie Heiligenscheine
Weiße Helme wie Heiligenscheine

Foto: Beth Garrabrant/Paramount+

Die Promotionsvorhaben der Zukunft sieht man schon vor sich: „Die Geburt des ‚Cringe‘ aus dem Geist der sozialen Medien“ oder so ähnlich. Noch aber ist man gefangen in der Unübersichtlichkeit der Gegenwart, in der man sich fragt, wann genau der Begriff „Cringe“ so allgegenwärtig werden und sich als Genre weit über den Comedy-Bereich hinaus etablieren konnte. Die Serie The Curse (zu sehen beim Streaminganbieter Paramount+) jedenfalls ist keine Komödie. Wer über auch nur eine der Figuren oder Situationen lachen kann, tut dies streng gegen eigenes besseres Wissen und moralisches Empfinden. Andernfalls müsste die Gesellschaft vor ihm/ihr/ihnen gewarnt werden.

Das nämlich unterscheidet The Curse von den artverwandten Serien Lass es, Larry! oder The Office: Man gewöhnt und immunisiert sich hier nicht an beziehungsweise gegen die Fremdscham. Sicher, auch Larry David ist in Lass es, Larry! stellenweise nur schwer zu ertragen, wenn er mit bewundernswerter Unempfindlichkeit seine egoistischen Interessen gegen die sozialen Normen durchboxt. Aber erstens kommt er eigentlich nie ganz ungeschoren davon, und zweitens liegt er auf bestimmte Weise auch oft richtig bei seinem Kampf gegen die hohlen Etiketten des Alltäglichen. Whitney (Emma Stone) und Asher (Nathan Fielder) aber, das Paar im Zentrum von The Curse, liegen in allem falsch, sowohl was ihr Selbstbild als auch was ihre Wahrnehmung der Welt um sie herum angeht.

Den roten Faden der zehnteiligen Serie bildet genretypisch eine Serie-in-der-Serie: Whitney und Nathan wollen aus ihrem Leben ein Reality-TV-Projekt machen. Um eine Promo-Pilotfolge zu drehen, hat Asher seinen alten Kumpel Dougie (Benny Safdie) engagiert. Der Titel des Projekts soll „Flipanthropy“ sein, denn die beiden wollen ihr Immobiliengeschäft in New Mexico als Gutmenschenprojekt an der ökologischen Front des Klimaschutzes, der Antigentrifizierung und der Aussöhnung mit indigenem Erbe verkauft sehen. Als sie den Zuschlag dann bekommen und der Dreh stattfindet, gesteht Whitney dem Regisseur Dougie allerdings eine noch bessere Titel-Idee: „The Green Queen“. Cringe, cringier, am cringiesten.

Mit jeder Folge fühlt man sich schlechter

Bis dahin hat man alle Figuren dieser Serie bereits gründlich zu verachten gelernt. Whitney selbst ist die Tochter eines „Slumlords“, die die Sünden ihres Vaters durch Konstruktion von „Passivhäusern“ und Proklamation von Verbundenheit mit indigenen Traditionen wiedergutmachen will. Zugleich ist sie eine schlimme Kombination von „verwöhnt“ und „raffiniert“. Einerseits glaubt sie geschäftsblind, mit ihrem ererbten Geld alles ausgleichen zu können, was das Leben ihr an Unannehmlichkeiten in den Weg stellt, andererseits erweist sie sich als sehr geschickt darin, mit passiv-aggressiver Freundlichkeit jede und jeden um sich herum für ihre narzisstischen Zwecke einzuspannen.

Ihr Mann Asher mag der bessere Geschäftsmann sein – was sie gern zum augenrollenden Vorwurf „Dir geht’s immer nur ums Geld“ nutzt –, er muss seine Pläne aber ohne Whitneys soziales Geschick durchsetzen. Dabei macht er sich eine innere Schamlosigkeit und Erniedrigungsbereitschaft zu eigen, die so ekelerregend ist, dass viele Folgen einen manifest schlechten Geschmack im Mund hinterlassen. Tatsächlich ist seine Figur in den ersten Folgen die „cringieste“. Wenn er versucht, seine Anspannung vor der Kamera mit Witzen aufzulockern, geht das jedes Mal nach hinten los. Whitney bucht ihm einen Comedy-Workshop, aber auch da macht er unter all den Möchtegern-Comedians eine so schlechte Figur, dass man ihn rauswirft. Wo Whitney zumindest noch etwas an ihrem eigenen Öko-Image liegt – wenn auch nicht an den Anliegen per se –, stellt sich Asher als Mann ganz ohne Überzeugungen heraus, der alles und jeden zu verraten bereit ist, wenn es ihm etwas einbringen könnte. Und dann ist da noch Dougie, der schmierige Reality-TV-Regisseur mit Alkoholproblem, der die Skrupellosigkeit zu seinem Beruf gemacht hat. Was aber nicht heißt, dass er besonders gut darin wäre.

Falls das bis hierhin noch nicht klar genug war: The Curse ist das Gegenteil einer Wohlfühlserie. Schlimmer: Mit jeder Folge fühlt man sich hinterher schlechter. So präzise und hochkomplex ist die Beschreibung von Hybris und Heuchelei, von White-Saviour-Komplex und Ignoranz, dass man den titelgebenden Fluch sehnlichst herbeiwünscht.

Eingebetteter Medieninhalt

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Barbara Schweizerhof

Redakteurin „Kultur“, Schwerpunkt „Film“ (Freie Mitarbeiterin)

Barbara Schweizerhof studierte Slawistik, osteuropäische Geschichte und Theaterwissenschaft an der Freien Universität Berlin und arbeite nach dem Studium als freie Autorin zum Thema Film und Osteuropa. Von 2000-2007 war sie Kulturredakteurin des Freitag, wechselte im Anschluss zur Monatszeitschrift epd Film und verantwortet seit 2018 erneut die Film- und Streamingseiten im Freitag.

Avatar

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden