Eine Ode an das Schwimmen: Das kristallklare Buch „Wasserzeiten“ von Kristine Bilkau
Rezension Seit ihrer Kindheit übt Schwimmen eine Faszination auf die Autorin Kristine Bilkau aus. In „Wasserzeiten“ schreibt sie über ihre Liebe zum kühlen Nass
„Ich vergesse meinen Körper, bestehe nur noch aus Energie und Leichtigkeit. Fast ist es wie Träumen (....)“
Foto: Streeter Lecka/Getty Images
Unter allen Elementen ist das Wasser dasjenige, mit dem wir am selbstverständlichsten unmittelbar in Berührung kommen und umgehen. Welche Magie das Wasser aber tatsächlich in sich birgt, beobachtete D. H. Lawrence in seinem Gedicht The Third Thing: „Wasser ist H₂O, zwei Teile Wasserstoff, ein Teil Sauerstoff. / Aber da ist noch etwas Drittes, das erst macht es zu Wasser, und niemand weiß, was dieses Etwas ist.“
Wenn die 1974 geborene Kristine Bilkau, Autorin der Romane Die Glücklichen und Nebenan, mit dem sie 2022 auf der Shortlist des Deutschen Buchpreises landete, in ihrem neuen Buch ausgerechnet diese etwas esoterischen Verse zitiert, hat das einen guten Grund: Kristine Bilkau ist eine Schwimmerin. Wer selbst zu dieser Zunft gehört, wird sc
zu dieser Zunft gehört, wird schon während, spätestens aber nach der Lektüre von Wasserzeiten unverzüglich ein Gewässer aufsuchen wollen, um mit Bilkau neu zu fragen: „Schwimmen, der Körper, die Gedanken, der Ort. Was hat es damit auf sich? Woraus genau setzt sich dieses großartige, erhebende, erfüllende Erlebnis zusammen?“Kristine Bilkau geht der Frage nach der Faszination des Schwimmens in essayistischer Form nach. Sie umkreist schreibend die Zustände, in die man schwimmend gerät: „Nicht jeder Schwimmtag ist gleich gut. Doch heute mag mich das Element und nimmt mich freundlich auf. Eine Bahn nach der nächsten lege ich zurück und gerate in diesen schwerelosen Zustand. Jede Bewegung geschieht von allein, ich vergesse meinen Körper, bestehe nur noch aus Energie und dieser Leichtigkeit. Fast ist es wie Träumen, wenn sich auch die Gedankenräume von allein öffnen, sich neue, überraschende Verbindungen bilden, ein Gewebe aus Erinnerungen und Ideen, wenn alles eine Sanftheit hat und zugleich kristallklar scheint.“Schwimmen, um dem Stillstand der Pandemie zu entkommenDieses „Gewebe aus Erinnerungen und Ideen“ bringt einen Text solch kristallklarer Qualität hervor: Bilkau erinnert sich an besonders einprägsame Schwimmorte auf Bornholm, an ihre Schwimmbaderfahrungen in der Zeit der Pandemie, in denen die Zeiträume im Internet vorgebucht werden mussten und die Zeit im Wasser einer der wenigen Momente war, in denen man der klebrig-zähen Empfindung des Stillstandes entkommen konnte. Es geht ums Eisbaden, um den Ladies’ Pond im Londoner Stadtteil Hampstead Heath, um die soziale Praxis des Schwimmens und ihre emanzipatorische Kraft, verkörpert von den „swimming suffragists“ oder der Australierin Annette Kellerman, die 1905 bei einem Wettkampf in Paris gegen 16 männliche Konkurrenten zusammen mit Thomas Burgess als Erste das Ziel erreichte und auch den praktischen einteiligen Badeanzug für Frauen entwarf.Die Erinnerung, vom eigenen, verstorbenen Vater Schwimmen beigebracht bekommen zu haben, erscheint als Akt der Liebe und Fürsorge, die Bilkau an ihren eigenen Sohn in der Weise weitergegeben hat, dass sie ihm zwar nicht Schwimmen, aber das Ausdauerschwimmen beigebracht hat: „Kraft plus Langsamkeit plus Geduld, das ergab Ausdauer“, und der Weg, auf dem das Kind zum Bronze-Schwimmabzeichen geführt wird, ist weit: „Es hatte mit einer Mischung aus Langsamkeit und Geduld zu tun, versuchte ich ihm zu erklären. Langsamkeit war bei den Kindern vor allem mit Langeweile verbunden, in bestimmten Situationen sogar mit Schwäche, denn auf dem Schulhof oder im Sportunterricht wollte fast niemand langsam sein. Geduld war auch nicht besonders erstrebenswert, sie hing zwangsläufig mit Situationen zusammen, in denen das, was man sich wünschte, nicht passierte oder es bis dahin zumindest ziemlich lange dauerte.“Alle Schwimmer, überhaupt Sportler, werden sich mit erinnern, was es bedeutet, Ausdauer zu lernen. Und nicht nur die. Denn das Schwimmen wird in diesem Buch zu einer Tätigkeit, die gleichermaßen lebenspraktisch wie weltentrückend ausgeübt wird, durch deren Praxis man tiefere Einsichten ins und Abstand zum Alltagsleben gewinnen kann. Für Bilkau ist von da aus die Verbindung zwischen Schwimmen und Schreiben nicht weit, und so denkt sie auch nach über den Wandel vom mühsamen Ins-Schreiben-Kommen, hin zum leichten Gleiten des Schreibens, das nach einer oft mühsamen ersten Phase des Trainings einsetzt.Der Text fließt wie WasserMan begreift: Hier ist eine Autorin wirklich in ihrem Element, schwimmend wie schreibend. Der Textfluss der Wasserzeiten ist einer, der vor Glück darüber sprudelt, etwas zu tun, das dem eigenen Naturell entspricht. Wasserzeiten erzählt aber auch davon, dass einem auch das Glück nicht immer geschenkt wird, selbst wenn man sich in seinem Element befindet.Kristine Bilkau ist zwar nicht die erste Autorin, die der Faszination des Schwimmens nachgeht. Monika Rinck, ebenfalls passionierte Schwimmerin, hat in ihrer ersten münsterschen Poetikdozentur intensiv über das Schwimmen und seine Implikationen nachgedacht. Weltbekannt: John von Düffels Vom Wasser. Ulrike Draesner schilderte in ihrem Roman Kanalschwimmer (der Freitag 41/2019) mit dem Durchschwimmen des Ärmelkanals die Herausforderungen des Schwimmens und die Möglichkeit, schwimmend etwas zu verwandeln.Dass Bilkau mit einem Appell zum Erhalt und zur Pflege öffentlicher Bäder auch in Zeiten leerer Kassen der Kommunen und gestiegener Energiepreise schließt und dass sie dafür plädiert, das Angebot zu schwimmen so niedrigschwellig wie möglich zu halten, erscheint dabei, Glück hin, Glück her, aus ihrer Perspektive nur folgerichtig, gar unabdingbar.Placeholder infobox-1
×
Artikel verschenken
Mit einem Digital-Abo des Freitag können Sie pro Monat fünf Artikel verschenken.
Die Texte sind für die Beschenkten kostenlos.
Mehr Infos erhalten Sie
hier.
Aktuell sind Sie nicht eingeloggt.
Wenn Sie diesen Artikel verschenken wollen, müssen Sie sich entweder einloggen oder ein Digital-Abo abschließen.