Non-Disclosure Agreemets, kurz NDA, sollen für Harvey Weinstein eine Art „Geheimwaffe“ gewesen sein. Solche Verschwiegenheitsvereinbarungen verpflichten die Unterzeichner:innen dazu, sich über bestimmte Dinge nicht zu äußern. Tun sie es doch, drohen Vertragsstrafen.
NDA, so heißt nun auch eine neue Podcast-Reihe des Spiegel. Der Anspruch: Geschichten recherchieren, die nicht erzählt werden sollen. Seine erste Staffel widmet sich der Geschichte von Kasia Lenhardt und Jérôme Boateng. Von der dürften viele in Deutschland zumindest am Rande schon einmal gehört haben: Sie, ein Model, er ein Fußballstar, nach der öffentlichen Trennung folgt das, was man oft abgedroschen „Schlammschlacht“ nennt. Kurz darauf nimmt sich Kasia Lenhardt das Leben.
Der Suizid des Models ist in der Folge oft mit dem Cybermobbing in Verbindung gesetzt worden, dem Kasia Lenhardt nach der Trennung ausgesetzt war. Die Journalistinnen Maike Backhaus und Nora Gantenbrink legen ihren Fokus dagegen auf die Vorwürfe von häuslicher Gewalt, die Kasia Lenhardt gegenüber Jérôme Boateng erhoben hat – genauso wie schon eine andere ehemalige Partnerin des Fußballers.
So ist ihr Podcast Die Akte Kasia Lenhardt – der reißerische True-Crime-Titel ist da leider wenig hilfreich – ein intensiver Blick auf Gewalt gegen Frauen in der Partnerschaft und auch auf die Rolle, die Prominenz und Machtungleichgewicht dabei spielen. Besonders intensiv wird das, weil die Journalistinnen und ein Team neue Dokumente, vor allem aber bisher unveröffentlichte Chatnachrichten, und 25 Stunden Sprachnachrichten ausgewertet haben.
Die Verzweiflung, die Machtlosigkeit, aber auch das Abwiegeln und Wegerklären der mutmaßlichen Gewalt durch Kasia Lenhardt selbst zu hören, ist auf mehreren Ebenen verstörend. Einerseits, weil so das Schicksal der jungen Frau auf einer neuen Ebene erzählt wird. Eindringlich und bewegend wird eine Welt beleuchtet, die sonst im Dunkeln bleibt – wenn es sein muss mit NDAs, wie ihn auch Kasia Lenhardt unterzeichnet hat. Es geht in dieser Welt um Berater, Anwälte, Angst vor Überwachung, verletzte Gefühle und verletzte Körper.
Die Privatheit von Kasia Lenhardts Aufnahmen klingt immer durch
Diese O-Töne aus Sprachnachrichten verstören aber auch deshalb, weil die Privatheit der Aufnahmen permanent durchklingt. Kasia Lenhardt kommt zu Wort, ohne wirklich zum autonomen Subjekt und der Erzählerin ihrer eigenen Geschichte werden zu können. Die Fragen, die ihr Fall aufwirft, kann sie nicht mehr selbst beantworten.
Es ist ein schmaler Grat, auf dem sich der Podcast hier bewegt. Wo ist das entblößend, wo notwendig für die Aufklärungsarbeit? Denn fest steht: Die Akte Kasia Lenhardt erhärtet die Vorwürfe von Partnerschaftsgewalt gegen Jérôme Boateng. Und ein großes Medienhaus wie der Spiegel hat dabei sicher mehr Möglichkeiten als eine durch einen NDA eingeschüchterte Einzelperson. Insofern erfüllt der Podcast den eigenen Anspruch.
Welche Herausforderung das auch juristisch ist, wird in jeder Folge hörbar. Denn jedes Mal wird das gleiche Statement von Boatengs Anwältin verlesen: Er bestreite die Gewaltvorwürfe, die Informationen der Journalistinnen seien falsch oder einseitig.
Trotz dieser Einschränkungen bleibt der Podcast ein aufrüttelndes Zeugnis mutmaßlicher häuslicher Gewalt. Eines, das Fragen über strukturelle Probleme aufwirft. Warum so wenig Frauen derartige Übergriffe anzeigen. Oder warum Fußballvereine und Verbände ihre Sportler immer in Schutz nehmen. Antworten auf diese Fragen werden zwar angedeutet, aber nicht wirklich ausgearbeitet. Das ist umso bedauerlicher, weil Maike Backhaus die Strukturen in anderen Recherchen intensiv beleuchtet hat. Sie hätten ebenfalls in Die Akte Kasia Lenhardt gehört.
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