Beide Augen des Kunstjournalismus sind auf das Verbrechen in der Kunstwelt gerichtet
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Wir decken auf, worüber die Kunstwelt nicht so gerne spricht“, sagt der Kulturredakteur beim Deutschlandfunk, Stefan Koldehoff. Es ist der Slogan des Podcasts Tatort Kunst, und ganz stimmt das nicht. Denn es scheint so, als würde der Kunstjournalismus seit einiger Zeit über kaum etwas so gerne sprechen wie über Gaunereien und Verbrechen. Der NDR hat seine eigene Version mit dem Titel Kunstverbrechen, dessen dritte Staffel im November startet. Auch unzählige englischsprachige Podcasts bewegen sich an der Schnittstelle von Forensik und Journalismus.
Es ist das Unterphänomen eines Makrotrends – der True-Crime-Podcast. Oft grausige Verbrechen werden in diesem Format in knapp unter 45 Minuten erzählt. Dabei gibt es natürlich eine lange Traditio
ausige Verbrechen werden in diesem Format in knapp unter 45 Minuten erzählt. Dabei gibt es natürlich eine lange Tradition der Kriminalgeschichte. Zwei Ebenen überlagern sich darin, sagt der Literaturwissenschaftler Tzvetan Todorov: die Geschichte der Ermittlung und die Geschichte des Verbrechens. Letztere endet, bevor die Ermittlung beginnt. Und die Ermittlung ist eine kognitive Aufgabe, eine Nacherzählung der vergangenen Geschichte. Der Detektiv agiert wenig. Er hört zu, sucht Beweise, findet Dinge heraus.Vielleicht lässt sich so die Gemütlichkeit erklären, die sich bei den in sich geschlossenen Welten der klassischen Kriminalgeschichten einstellt. Es hat etwas Beruhigendes, Täter*innen werden am Ende überführt, Fall abgeschlossen. Aber das Versprechen lautet: Es geht immer weiter, denn diese Geschichten werden in Serie erzählt.Auch Tatort Kunst ist eine Serie, auch hier treten die Typen auf, die eine Kriminalgeschichte ausmachen. Stefan Koldehoff und seine Kollegin Rahel Klein als ermittelndes Duo, außerdem eine ganze Reihe von Kunsthistoriker*innen, Zeitzeug*innen, Erb*innen. Der Kunstfälscher Wolfgang Beltracchi wird herangezogen, um Einsichten zu einem mutmaßlich gefälschten Bild von August Macke zu geben, fast wie ein Hannibal Lecter für Kunstdelikte. Dieser Fall bleibt aber ungeklärt.Rätselhaft bleibt auch der Kunstfund 2012 bei Cornelius Gurlitt, der in seiner unscheinbaren Etagenwohnung in München-Schwabing Gemälde hortete, die er von seinem Vater Hildebrand Gurlitt geerbt hatte, der als Kunsthändler für die Nazis sogenannte entartete Kunst ins Ausland verkaufte und Kunst für ihre Sammlungen ankaufte. In diesem Fall rücken Elemente aus einem anderen Krimi-Subgenre in den Blick. Die Geschichte spielt ins Register des Noir, alle Gemütlichkeit verfliegt. Gruselig ist Gurlitts Einfamilienhaus in Salzburg, dessen Tür kaum aufzubekommen war, so viel Abfall stapelte sich im Erdgeschoss. Im Obergeschoss dann: Monet, Manet, Cézanne, Rousseau, Corot, verschwunden oder verbrannt geglaubte Gemälde. Die unheimliche Rückkehr des Vertrauten, in diesem Fall der kanonischen Kunst, die vermutlich gestohlen und enteignet wurde. Kurz nach der Entdeckung verstarb Gurlitt, und er konnte keine Auskunft darüber geben, woher diese Bilder stammen.Aber meistens, so finden Klein und Koldehoff heraus, hängt das Verdrängte gar nicht so versteckt im Museum. Oft sind die Werke auf verschlungenen und bewusst unkenntlich gemachten Wegen in die Institutionen gekommen, nicht selten wurden sie unter den Nazis jüdischen Sammler*innen gestohlen und weiterverkauft. Die Museen konnten oder wollten die Provenienz lieber nicht so genau prüfen.Noch ohne PodcastEin anderes Beispiel – bisher noch ohne Podcast – ist Frans Franckens Bild Bergpredigt. Hildebrand Gurlitt kaufte das Bild 1943 in Frankreich für Hitlers geplantes „Führermuseum“ in Linz. Zuvor war das Bild einer jüdischen Sammlerin gestohlen worden. Als das flämische Barockgemälde vor einigen Wochen in München zur Auktion gebracht wurde, sprach die Süddeutsche Zeitung von einem „Cold Case“ der Raubkunst. Die True-Crime-Sprache schwappt über in die journalistische Berichterstattung über Kunstverbrechen.Fälle, die auf ihre Bearbeitung als Krimistoff nur zu warten scheinen, gibt es zuhauf. Sei es der jüngst aufgedeckte Diebstahl eines Mitarbeiters im Deutschen Museum, der ein Gemälde von Franz von Stuck einfach durch eine Kopie ersetzte, um das Original zu verkaufen. Oder der Fall von Inigo Philbrick, dem jungen, charismatischen Großen Gatsby des Kunstmarkts, dessen Galerieimperium auf Betrug aufbaute und mit seiner Festnahme einkrachte. Die True-Crime-Geschichten und die angrenzende Berichterstattung haben über die Aufklärung hinaus jedoch den Nebeneffekt, dass sie Vorurteile und Klischees über die Kunstwelt bestätigen – sie sind voll mit Figuren, die gierig, neurotisch und eitel sind.Wenn es aber so etwas wie einen Blockbuster unter den True-Crime-Podcasts über Kunst gibt, dann ist das Death of an Artist, geschrieben und erzählt von Helen Molesworth. Die US-Kuratorin ging im vergangenen Jahr dem ungeklärten Tod der Künstlerin Ana Mendieta nach, die 1985 bei einem Streit mit ihrem Mann, dem minimalistischen Bildhauer Carl Andre, aus dem 34. Stock fiel oder, was wahrscheinlich scheint, gestürzt wurde. Der New Yorker Kunstbetrieb wollte nicht gegen ihn aussagen. Der Chefermittler sagte damals, es herrsche ein Schweigen wie sonst nur bei der Mafia, und schließlich wurde Andre freigesprochen. Der Podcast erzählt viel über Macht und Geschlechterverhältnisse im Kunstbetrieb, und damit bringt er noch eine weitere Dimension ins Spiel. Denn die eine wichtige Frage, wie die Kunstwelt gerechter werden könnte, ist kein Fall, der sich so leicht knacken lässt.
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