Grillen als Proteinquelle: Das ist legitimiertes Massensterben fürs Klima

Tierethik Gut fürs Klima, aber schlecht fürs Gewissen? Warum Insekten als neue Proteinquelle die Welt keineswegs zu einem besseren Ort machen
Auch Insekten sind Lebewesen, die Leid und Schmerz empfinden
Auch Insekten sind Lebewesen, die Leid und Schmerz empfinden

Foto: Karen Bleier/AFP/Getty Images

Weniger Fleisch, dafür Insekten. Das klingt, was die Klimabilanz anbetrifft, zunächst klasse, erweisen sich doch die Kleinstlebewesen als lukrative Energiequelle. Auch wenn der Aufschrei über just durch die EU für den Nahrungsmarkt zugelassene Hausgrillen und Getreideschimmelkäferlarven gerade laut ausfällt, sind Kerbtiere keineswegs neu auf unseren Tellern. Wanderheuschrecken und gelbe Mehlwürmer findet man bereits seit einiger Zeit auf der legalen Zutatenliste.

Anlass zur Freude sind sie allerdings nicht. Denn die Öffnung der Konsumpalette für Insekten ist aus ethischer Sicht hochproblematisch und dokumentiert mithin eine Entfremdung, die häufig übersehen wird, nämlich zwischen Klima-, Natur- und Tierschutz. Während erstere vor allem das Funktionieren des Gesamtsystems im Blick haben und dafür auch regulatorisch intervenieren, heißt: mitunter bestimmte Arten reduzieren, um andere zu schützen, richtet letzterer den Fokus auf das einzelne Wesen. Grundsätzlich gilt dabei: Je höher das Schmerz- und Leidensempfinden bei animalen Mitwesen ausfällt, desto höher ist ihr Schutzbedarf.

Kann man dann Tiere, die über weniger komplexe neuronale Strukturen verfügen, leichtfertig töten? Wäre dann unser Gewissen endlich rein? Dem 2017 verstorbenen Ethiker Tom Regan zufolge nicht. Und zwar aus einem so banalen wie einsichtigen Grund. Jede Kreatur, die auf der Welt sei, habe aus Sicht des Philosophen ein Interesse am Weiterleben. Stimmt, es lässt sich keine Art benennen, die nach ihrer Geburt die Absicht hegt, nicht mehr existieren zu wollen. So fern uns Insekten auch sein mögen, haben wir mit ihnen den Wunsch gemein, im Diesseits weiter bestehen zu wollen. Sie also massenhaft zu Burgern zu verarbeiten oder neuerdings bestimmten Speiseartikeln beizumengen, bedeutet letztlich nichts anderes als ein legitimiertes Massensterben.

Dass gegenüber den ethischen Einwänden jedoch massive klimapolitische Argumente Vorrang genießen sollten, da ja durch diese Neuausrichtung der Ernährung eine Reduktion der CO₂-lastigen Fleischproduktion zu erwarten sei, ist nur bedingt richtig. Denn längst erlaubt uns der technische Fortschritt, auf zahlreiche alternative, pflanzliche Proteinversorger zurückzugreifen. Neben dem derzeit leider zu einem großen Teil und mit erheblichem Energieverlust in der gesamten Verwertungskette in die Futtermittelerzeugung gehenden Soja stehen den Verbraucherinnen und Verbrauchern etwa noch Erbsen-, Linsen- und Lupinenprodukte zur Verfügung. Sie sind in der Regel gut bekömmlich, wirken sich positiv auf die Gesundheit aus und zeichnen sich durch verhältnismäßig niedrige Treibhausgasbilanzen aus.

Wir wären gut beraten, uns anderer Methoden als dem Töten zu bedienen, um gut zu leben, zumal wir sie inzwischen auf einfachste Art und Weise nutzen können. Lassen wir uns nicht täuschen von dem hippen Startup-Kult um Hightech-Kitchen und angebliches Super-Food. Wenn wir aus der Mast von Wirbeltieren herauswollen, sollten wir nicht im gleichen Zug eine andere krude, industrielle Maschinerie zur Ausbeutung vermeintlich minderwertiger Lebewesen errichten. Dann hätten wir schlussendlich nichts aus der jüngeren Geschichte gelernt.

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