Marlen Haushofer war zwar erfolgreich, doch die Schriftstellerei war in ihrer Familie nicht gern gesehen
Foto: Manfred Haushofer
Genug ist genug. Nachdem ein Rüpel zunächst seine Frau verprügelt und bald darauf seine Kinder getötet hat, will Mutter Erde nicht länger zuschauen und beschließt, ihm eine Wölfin auf den Hals zu hetzen. Dieses amoralische männliche Subjekt könnte man für eine sehr spezielle Ausgeburt des Bösen halten, doch für die 1920 geborene und 1970 in Wien verstorbene österreichische Schriftstellerin Marlen Haushofer repräsentiert er, gewiss ironisch zugespitzt, ein ganzes Geschlecht, weswegen man ihre Geschichte vom Menschenmann durchaus als Parabel lesen sollte. Nur sorgt in den weiteren Texten der Österreicherin kaum noch eine metaphysische Instanz für ausgleichende Gerechtigkeit. Wie die just erschienene Werkausgabe i
erkausgabe ihrer Romane und Kurzprosa dokumentiert, sind die Machtverhältnisse entlang der Gender-Grenzen in der Regel nämlich fest zementiert.Wir tauchen dabei in den verstaubten Kosmos der 1950er und 1960er Jahre ein, in eine Zeit, in der die Frauen dieses Textkosmos auf den gnädigen Obolus ihres Gatten angewiesen sind oder sich selbst noch auf dem Sterbebett Gedanken über die liegengebliebene Wäsche machen müssen. Doch nicht allein der toxische Patriarchalismus hat seinen Anteil an dem Ungleichgewicht, vielmehr wirken weibliche Figuren als Kollaborateurinnen selbst an der Aufrechterhaltung des misogynen Systems mit. So zu studieren in einer der berühmtesten Erzählungen Haushofers, Wir töten Stella, aus dem Jahr 1958. Hierin distanziert sich die Erzählerin auf den ersten Blick von den fatalen Folgen des Seitensprungs ihres Partners. Dass der Suizid seiner Geliebten jedoch auch durch ihr eigenes Handeln begünstigt wurde, wird erst nach und nach deutlich. Der Schriftsteller Clemens J. Setz, der neben einigen anderen Autor:innen den einzelnen Bänden der Kompilation ein persönliches Vorwort voranstellen durfte, spricht daher auch von einer „Zuhälter-Vermittlerrolle“, die der Frau zukommt.Was fasziniert den Schriftsteller an Haushofers düsteren Klassikern? „Hier war jemand, der eine vollkommen Sinn ergebende Geschichte erzählen konnte, eine wie aus dem Alltag.“ Es ist ebendiese stringente Logik des Fatalen, befördert durch den von Setz benannten „Engel der Unumkehrbarkeit“ der Verhältnisse, der Haushofers gesellschaftsanalytisch starke Erzählkunst ausmacht. Dass sie uns fesselt, liegt mitunter auch an der starken Ironie. Bisweilen gewinnen gerade die überforderten oder raufboldigen Männer karikaturenhafte Züge. Würde es einem nicht im Halse stecken bleiben, könnte man sogar hier und da ein wenig lachen. Jedenfalls staunt man über das Zähe all dieser von Machos umgebenen Frauen. Zwar gelingt es ihnen selten, sich aus ihren Beziehungsmiseren zu befreien. Dennoch beeindruckt die Schriftstellerin Angela Lehner, dass „schlussendlich (alle) die Resilienz der verschrumpelten Kartoffel in sich (entdecken). Sie lernen in widrigen Umständen weiterzumachen“.Dieses Durchhaltevermögen hat auch Marlen Haushofer selbst ziemlich lange bewiesen. Durchaus noch mit Elan begann die Tochter eines Revierförsters und einer Kammerzofe ein Germanistikstudium und stieß in der Wiener Szene sogar auf positive Resonanzen, allerdings sah sie sich bald schon auf ein bloßes Hausfrauendasein festgelegt. Während der mit ihr verheiratete Manfred Haushofer erfolgreich eine Zahnarztpraxis führte, war sie vor allem mit der Erziehung der beiden Söhne beschäftigt. Die Schriftstellerei lief trotz honoriger Prämierungen allenfalls nebenher und war in der Familie zudem nicht gern gesehen. Zum Stress der Doppelrolle kamen hinter der fein angestrichenen bürgerlichen Fassade massive Eheprobleme – viel Ballast trugt diese Autorin also mit sich herum, eine Schwere, die in eine Depression führte. Indes trifft diese tragische Wende nicht auf jede ihre Heldinnen zu, zumal hier und da auch einige gegen den Status quo rebellieren. Bereits in ihrem ersten Roman Eine Handvoll Leben von 1955 schildert Haushofer die Vita einer jungen, sich langsam emanzipierenden Protagonistin. Aufgewachsen im Heim, fingiert sie später ihren Tod, da sie nur so dem biedermeierlichen Korsett der Ehe zu entkommen weiß. Am Ende ist sie lediglich frei im existenzialistischen Sinne, aber eben haltlos. Denn „das Leben war einfach zu stark, um bewältigt zu werden“.Position von Haushofer: Der Faschismus lebtMit all dieser Härte des Daseins muss auch die Heldin in Haushofers bekanntestem Roman umgehen, Die Wand (1963). Als sie von einem Ausflug in die Berge zurück in die Zivilisation kehren will, sieht sie sich urplötzlich mit der titelgebenden, unsichtbaren Barriere konfrontiert. Die Wildnis wird ihr fortan zur Bewährungsprobe. Charakteristisch für das Textgenre der Robinsonade beginnt sie auf einer Alpenhütte ihr Überleben zu sichern und das Vieh zu pflegen, wobei sie stets mit den klassisch-männlichen Praktiken wie etwa der Jagd hadert. Soweit es ihr die Umstände ermöglichen, reduziert sie Gewalt und durchbricht dabei die Unterdrückungslogik des Menschen gegenüber der Natur. Tiere behandelt sie wie Freunde und Gleichgesinnte: „Wir waren also zu viert, die Kuh, die Katze, Luchs und ich. Luchs stand mir am nächsten, er war bald nicht nur mein Hund, sondern mein Freund; mein einziger Freund in einer Welt der Mühen und Einsamkeit. Er verstand alles, was ich sagte, (…) und versuchte auf seine einfache Art mich zu trösten.“Wenn sie ferner zu der Einsicht gelangt: „Der einzige Feind, den ich in meinem Leben gekannt hatte, war der Mensch gewesen“, dann erweitert das zugleich den diskursiven Rahmen von Haushofers gesamtem Werk, mithin sogar der feministischen Literatur. Scharfsinnig fragt Die Wand als einer der ersten Prosatexte nach dem Einfluss des Geschlechts auf Klima und Umwelt. Gehen Männer anders, dominanter mit Flora und Fauna um als Frauen? Oder liegen in diesen Zuschreibungen nicht wiederum neue Stereotype begründet? Haushofers Position ist in dem regen Debattenfeld klar. Obgleich auch ihre Heldin – im Gegensatz zu der idealisierenden Verfilmung des Romans durch Julian Pösler – vergeblich auf Erlösung wartet, gelingt es ihr (trotz eines gewaltsamen männlichen Eindringlings am Ende des Textes), im Kleinen eine friedliche Koexistenz des Menschen mit der Natur unter dezidiert weiblicher Lenkung zu entwerfen.Ein Davor deutet sie nur an: Hinter der Wand erblickt ihre Heldin einmal erstarrte Menschen im Tal, ganz so, als hätte ein Atomschlag zur Auslöschung jedweder Vitalität beigetragen. Wie so oft in ihren Texten wabern Krieg und Zerstörung des 20. Jahrhunderts im Hintergrund und zeugen dabei in kritischer Absicht von der Verdrängungsgesellschaft nach 1945. Abseits des Risses, der durch die gespaltene Frau jener Epoche verläuft, zeigt sie somit gleichsam die Bruchlinien im damaligen sozialen und historischen Gefüge auf. Ihre Botschaft lautet: Der Faschismus, er lebt selbst nach dem Sturz des Hitler-Regimes in vielerlei Formen der Repression fort.Sei die Repression gegen Frauen, Kinder oder gegen Tiere gerichtet – wo immer sie sich offenbart, nimmt sie Haushofer mit einem stilistischen Seziermesser auseinander, dessen Klinge die Temperatur von Polareis angenommen hat. Ihr ist ein so schonungsloser wie bestechender Blick auf die traurigen Schicksale ihrer Figuren zu eigen. Bar allen Mitgefühls mutet die Unerbittlichkeit dieser von starren Gegensätzen regierten Welt, die die meisten ihrer Figuren in eine untotengleiche Haltung der Resignation versetzt, umso grausamer an. Doch gerade dieses beklemmende Schweigen, das sich an eine illusionslose Annahme der Wirklichkeit knüpft, erweist sich wie ein schriller, schmerzverzerrter Schrei. Heute ist er noch immer hörbar und, bezogen auf die gegenwärtigen Verhältnisse, nach wie vor eindrücklich. Er stammt von einer der wichtigsten Autorinnen der Moderne, die zugleich ihre bescheidenste gewesen sein dürfte.Placeholder infobox-1
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