Déjà-wuff

Literaturadaption Julian Pölsler verfilmt Marlen Haushofers „Wir töten Stella“
Ausgabe 03/2018
Der vornehme Wiener Außenbezirk, in dem Pölsler den Film ansiedelt, ist Schauplatz einer grausamen Verdrängungskultur
Der vornehme Wiener Außenbezirk, in dem Pölsler den Film ansiedelt, ist Schauplatz einer grausamen Verdrängungskultur

Foto: epo-film

Zu Beginn unterbricht ein Störgeräusch das rhythmische Klackern von Annas Schreibmaschine. Ihr Mann Richard ist mit den Kindern übers Wochenende weggefahren. Zwei Tage hat Anna für sich, um aufzuschreiben, was passiert ist. Und dann sitzt ein junger Vogel in ihrem Garten und schreit, vielleicht ist er aus dem Nest gefallen. Anna bleibt am Fenster stehen, sieht alles, tut nichts. Was könnte sie auch ausrichten? Das Verharren ist symptomatisch für den Film, der nach Die Wand (2012) Julian Pölslers zweite Adaption einer Vorlage von Marlen Haushofer ist: der Novelle Wir töten Stella (1958).

Eine „schlechte Gewohnheit“ nennt Anna ihr Starren in den Garten. In der Natur manifestieren sich, wie oft bei Haushofer, Widersprüche, die die Hauptfiguren in ihren Lebensentwürfen zu spüren bekommen: eine trügerische Zuflucht, eine bedrohliche Idylle. Stella (Mala Emde) kommt uneingeladen in Annas Leben. Die 19-jährige Tochter von Bekannten soll in Wien studieren, Stella wird nicht gefragt, was sie von dem Arrangement hält. Die eigenen Kinder sind Hausfrau Anna und Anwaltsmann Richard (Matthias Brandt) fremd.

Die unscheinbare Stella bringt die bürgerliche Familie allein durch ihre Anwesenheit aus der Balance. Kaum angekommen, wird sie neu eingekleidet, schön gemacht, der Umgebung angepasst. Richard spricht hinter verschlossenen Türen abfällig über sie, kurz darauf geht er mit ihr aus. Sie trägt das neue rote Kleid wie ein Alarmsignal. Dann wird Stella schwanger, und Richard weist sie zurück.

Der vornehme Wiener Außenbezirk, in dem Pölsler den Film ansiedelt, ist Schauplatz einer grausamen Verdrängungskultur. Seine Intensität entfaltet der Film gerade nicht in den Sequenzen mit Annas Träumen, deren brachiale Bildsprache nicht zum subtilen Horror der Literaturvorlage passen will. Sondern eher in Richards beherrschten Gesten und Annas Schweigen – einer „monströsen Mischung von Engelsgesicht und Teufelsfratze“, die Anna in ihrem Mann zu sehen glaubt, die aber auch ihre eigene Spaltung beschreiben könnte.Dabei weiß man von Anfang an, wie der bourgeoise Albtraum endet.

In seiner Verfilmung lässt Pölsler auch Haushofers letzten Roman, Die Mansarde, anklingen. Und Die Wand ist präsent; dass es wieder Martina Gedeck ist, die eindrucksvoll spielt, stellt eine eigenartige Verschwisterung zwischen den Vorlagen her, die Drehorte überschneiden sich, da tappt ein Hund durchs Bild, der einem aus dem vorigen Film bekannt vorkommt. Das rückt unübersehbare Parallelen in den Vordergrund, etwa die Perspektive einer Ich-Erzählerin, die in ihrem bürgerlichen Alltag an – keineswegs nur imaginierte – Mauern stößt. Pölsler hat übrigens vor, noch Die Mansarde eigenständig zu verfilmen.

Den Originaltext lässt der Film in langen Passagen, häufig aus dem Off, für sich selbst sprechen. Allerdings überträgt er Wir töten Stella aus den 1950er Jahren in die Gegenwart, Annas Schreibmaschine und der Computer ihres Sohnes stehen unter einem Dach. Wenn man die Familienverhältnisse, in denen Nähe unmöglich ist und Selbstverwirklichung Männersache, aus dem gesellschaftspolitischen Kontext ihrer Zeit nimmt, lockert sich der Zugriff auf Haushofers Novelle.

Eingebetteter Medieninhalt

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Wir töten Stella Julian Pölsler Österreich 2017, 90 Minuten

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