Äpfel, Birnen, Pfirsiche

Debattenkultur Wozu noch reden, wenn keins mehr genau weiß, worüber? Differenzierung ist unbeliebt, aber notwendig

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Wir alle haben davon gehört: Man sollte nicht Äpfel mit Birnen vergleichen. Auch nicht die Bayreuther Festspiele mit dem Oktoberfest, die Schöpfungsgeschichte nicht mit der Evolutionstheorie, und nichts mit dem Holocaust.

Die Gründe hierfür liegen eigentlich auf der Hand: Obschon es sich bei beiden um Obst handelt, weicht, was als Birne gilt, in Form, Farbe, Textur und Geschmack unter Umständen stark von dem ab, was wir von einem Apfel erwarten - was sie zu einem vom Ideal abweichenden Apfel, nicht aber zu einer schlechten Birne macht. Festspiele und Oktoberfest sind zwar beide in Bayern beheimatete Veranstaltungen mit „Fest“ im Titel, aber Personen, die in der Hoffnung auf eine krachende Party bei Wagner landen (oder umgekehrt), werden unweigerlich enttäuscht sein. Bei Genesis 1, 1-2 handelt es sich um eine mythische Metapher zur Entstehung der Welt, die nicht in Konkurrenz zum aktuellen Stand der Naturwissenschaft stehen kann, da sie nach deren Parametern eben widerlegt wäre - was sie aber wiederum als Mythos nicht außer Kraft setzt… Und auf der Singularität des Holocaust bestehen wir unter anderem, um ihn als nicht wiederholbar zu denken: Weil es in unserem eigenen Interesse liegt, dieses Verbrechen nicht unter die menschlichen Entgleisungen zu rechnen, die eben immer mal wieder vorgekommen sind, also auch in Zukunft hingenommen werden müssten…

Vergleiche sind nicht dazu da, Dinge in einen nicht gegebenen Zusammenhang zu bringen oder mittels assoziativer Bildsprache Gemeinsamkeiten zu behaupten. Für sowas ist die Metapher zuständig. Ein Vergleich ist im Gegenteil nur da angebracht, wo zwei Gegenstände unter bestimmten, auf beide anwendbaren Kriterien auf ihre Unterschiede untersucht werden. Vergleichen ist ein Werkzeug der Differenzierung. Und der oft gebrauchte Merksatz von Äpfeln und Birnen weist darauf hin, dass wir daran immer mal wieder erinnert werden müssen.

Differenzierung ist wesentlich für die Sinnhaftigkeit von Debatten (wozu noch reden, wenn keins mehr genau weiß, worüber?) - aber auch unbeliebt beim Einzelnen: Differenzierung fordert Konzentration und kostet eigene Sendezeit. Es ist um ein vielfaches anwenderfreundlicher, sich nicht um Folgerichtigkeit von Gedanken und Aussagen zu kümmern, sondern einfach mit Behauptungen zu arbeiten und sich mit allen Mitteln Bestätigung abzuholen. Für die Debatte selbst, ihre Inhalte, ihre Form, Aufladung und Zielrichtung ist das aber so kontraproduktiv, dass ihr – bei aller Meinungs- und Redefreiheit – manchmal zuträglicher gewesen wäre, wenn sie gar nicht stattgefunden hätte: Weil alles auf den immer gleichen Nebenschauplätzen zerredet wird bist zur Unkenntlichkeit.

Am deutlichsten wird das bei Themen, bei denen zuverlässig alle ausklinken. Letztens zum Beispiel, als Bundesjustizminister Maas den unausgegorenen und sicher fragwürdigen Vorschlag einkippte, sexistische Werbung zu verbieten. Nun ist das Wort „verbieten“ ja eh schon Vielen ein rotes Tuch, und ich zähle sogar dazu… Mal abgesehen davon, dass Herr Maas halt auch nicht genau sagen konnte, wie sich dergleichen praktisch durchführen ließe: Verbote sind nicht das smarteste Mittel der Politik (andererseits wieder: wenn ich mir eins wünschen dürfte, würde ich Werbung generell verbieten lassen, was zwar Millionen Arbeitsplätze kosten würde, aber meine Seele befrieden…). Allein, und völlig abgesehen davon, was eins davon hält: Die Rede war von „sexistischer“ Werbung. Nicht von sexualmoralischer Anstößigkeit, nicht von nackten Körpern, nicht von Sex. Und doch wurde plötzlich überall getitelt und behauptet, der Bundesjustizminister wolle „Sex“ in der Werbung verbieten (was immer eins sich darunter vorstellen mag). Das ist nicht nur mir aufgefallen, sondern auch Margarete Stokowski, die eine aufklärende Kolumne dazu schrieb.

Der Unterschied ist eigentlich klar im Wortlaut und deutlich im Inhalt: Sexismus ist nicht Sex. Sex ist nicht Sexismus. (Wer nicht ganz sicher ist, möge bitte einen Moment darüber nachdenken). Gegen Sexismus zu sein, hat also nicht implizit mit Prüderie zu tun, und die sexistische Qualität einer Reklame nur bedingt damit, wie nackt oder angezogen (so überhaupt vorhanden) die menschlichen Werbeträger sind.

Dass aber eine Mehrheit (zumindest in Internetforen) an der Trigger-Silbe „Sex“ einrastet und sämtliche Buchstaben im Umkreis nicht mehr wahrnimmt, weil offenbar nur an das Eine denken kann: Anhand der Kommentare unter Stokowskis Kolumne ließe es sich empirisch belegen. SPIEGEL-Leser wissen mitnichten mehr… Woher auch: "Heiko Maas will Verbot sexistischer Werbung", so lautete die ursprüngliche Meldung (SPIEGEL), im gedruckten Heft unter dem Titel "Werbung ohne Sex" kritisiert Stokowski den eigenen Laden zu Recht.

Sicher, einigermaßen aufmerksame Zeitungsleser*innen kennen das: Wenn Schlagzeilen und Anreißer nur noch in ihrer Teaser- Funktion gedacht werden, können sie schon mal das Gegenteil dessen behaupten, was darunter gemeldet wird. Gut wäre aber, diese Fälle als peinliche Ausrutscher wahrnehmen zu können und nicht als Kollateralschäden eines Prinzips, das gar nicht in Frage steht. Hier wäre meiner bescheidenen Einzelmeinung nach wirklich mal der journalistische Ethos gefragt - und im Zweifelsfalle die tätige Prioritätensetzung gegen die mächtigen Marktmechanismen, Quoten und Klickzahlen: Wer professionell die Geschehnisse berichterstatten und zu ihrer Erklärung beitragen möchte, sollte es vermeiden, noch Verwirrung zu stiften. Nicht zuletzt, weil dies vom kritischen Teil der Leserschaft als Zeichen der bösen Absicht verstanden werden kann - aber auch, weil es einfach schlechte Arbeit ist.

Ein anderes Beispiel für den Bedarf an Differenzierung ist in den letzten Wochen als „Causa Böhmermann“ in beeindruckender Relevanz verhandelt worden: Über die ganze „Staatsaffäre“ ist die ursprüngliche Debatte der Frage, wie die „Schmähkritik“ –Nummer im NEO Magazin Royale denn nun gemeint war, keineswegs erlahmt, sondern dauert bis heute an. Es war nie so offenbar, dass die ganze Sache mit den verschiedenen Ebenen des Sprechens und Meinens nichts ist, das man als jeder erwachsenen Person geläufig voraussetzen könnte… Dabei ist unsere Online- Kommunikation seit Jahren geflutet von zwinkernden Smileys, unser Alltag voll von uneigentlichen Äußerungen und Botschaften. Auch das Vorhandensein verschiedener Kontexte (Beruf, Kneipe, Familie, Fußball) überfordert uns im richtigen Leben nicht ... Und doch muss das alles noch mal besprochen werden - und es scheint, als gäbe es tatsächlich keine letztendliche Eindeutigkeit, die sich allen vermitteln ließe… Es ist ein Wunder, dass wir uns überhaupt noch verständigen können.

Gerade in der post-postmodernen Wirrnis ist der Wunsch nach Vereinfachung und Klarheit nicht zu überhören, der Ruf nach dem Glaubhaften, wirklich Gemeinten. Wir gehen gern davon aus, unser Interesse gälte dem Wahren und Echten, das es irgendwo hinter den Spiegeln zu sehen gäbe - und dies sei gleichzeitig die Lösung des Rätsels, mit der dann unweigerlich alles gut würde…

Nun leben wir aber in einer Welt, in der auf genau diese Gültigkeit kein Verlass ist. In irritierend ambivalenter Gleichzeitigkeit existieren die verschiedenen Dimensionen, Kontexte und Ebenen von Wirklichkeit, Denken und Sprechen. Sie kommen laufend zur Anwendung. Wir können ihre Kenntnisnahme verweigern, aber damit werden wir sie nicht aus der Welt schaffen – es wird uns nur zusätzlich erschwert, uns in ihr zu orientieren, weil wir auf Schritt und Tritt in unseren Erwartungen enttäuscht werden. Dabei kommt zwangsläufig Frustration auf: Wir fühlen uns belogen, hintergangen, verhöhnt von einer Wirklichkeit, in der nie gemeint ist, was gesagt wird, und dies wieder nicht getan. Die Energie aber, die es uns kostet, diese Frustration zu nähren, sollten wir sinnvollerweise in die Konfrontation mit der komplexen Realität investieren. Das ist zwar anstrengend und nicht unmittelbar befriedigend, kann aber tatsächlich zu mehr Orientierung führen, zu weniger Verwirrung, vielleicht sogar zu irgendeiner Art Fortschritt in der Sache.

Ein drittes Beispiel hängt mit dem zweitgenannten zusammen (und wurde von mir auch dort schon mal thematisiert). Es betrifft unsere Vorstellungen von und Wünsche an verschiedene Berufsgruppen, namentlich Politiker, Journalisten und Kulturschaffende - und die Tatsache, dass da oft einiges durcheinander gerät. Eine geradezu klassische Äpfel-und –Birnen- Konstellation, nur dass noch eine dritte Obstsorte - sagen wir: Pfirsiche - für diesen (metaphorischen!) Vergleich gebraucht würde …

Die drei Berufe unterscheiden sich durch ihre Aufgaben, ihre Arbeit und ihre Kontexte. Weil aber alle drei mit gesamtgesellschaftlicher Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit zu tun haben, sind sie in der Praxis nicht voneinander trennbar und bewegen sich zum Teil in denselben Koordinaten. Zudem haben sich alle drei in Teilen den Mechanismen der Werbebranche verschrieben, was ihrer äußeren Erscheinungsform eine immer größere Ähnlichkeit verleiht …

Aber auch wenn Politik und Journalismus mit den Mitteln der Inszenierung arbeiten, Kulturbeiträge sich mit Medienkritik und politischen Vorgängen befassen und Journalismus sich mit Politik und Kultur nicht nur auseinandersetzt, sondern auch dazu beiträgt: Es sind verschiedene Branchen. Leute, die in einer davon arbeiten, wissen das. Personen, die in mehreren davon tätig waren oder sind, wissen es noch besser. Aber die vielen Anderen, die beruflich weder in der Politik tätig sind noch irgendwas mit Kunst oder Medien machen - die Mehrheit, der Markt, die Zielgruppe, das Publikum, für das letztendlich gearbeitet wird: Sie sind sich darüber zum Teil offenbar gar nicht im Klaren.

So kommt es zum manchmal bedenklich ernstgemeint klingenden Stoßseufzer, dieser Künstler oder jener Journalist solle mal besser an die Regierung – aber was sie da genau sollen, inwieweit ein Berichterstatter ein Rentensystem sanieren oder Poesie in der EU-Politik hilfreich sein könnte, ist in dem Fall doch nicht ein reiner Ausdruck zynischen Miesmachertums, sondern eine wichtige, berechtigte Sachfrage…

So kommt es dazu, dass eins irgendwann gar keine Nachrichten mehr liest, weil es sich die Welt viel lieber von Oliver Welke, Volker Pispers, Christoph Sieber und Hagen Rether erklären lässt und für den amtlichen Durchblick die Anstalt schaut – in völliger Verkennung der Tatsache, dass wir es hier mit einer nach Unterhaltungkriterien erstellten groben Vereinfachung der Informationen zu tun haben, einer Übertragung ins Metaphorische: Einer Inszenierung, die bestenfalls Verhältnisse aufzeigen, aber eben selbst auch nicht ändern kann (wie die durchaus selbstreferenziell befähigten Anstalt- Protagonisten eigentlich in jeder Folge kleinlaut zugeben). Schon, weil die Arbeiter im Weinberg des Kulturbetriebs wie wir alle Teil eben jener Verhältnisse sind... Aber weil es im Rahmen von und für die Dauer der Inszenierung alles so überschaubar schien, hängen wir emotional an der Idee, es wäre tatsächlich eigentlich alles ganz einfach: Man müsste nur tun, was Claus von Wagner sagt. (Der echte Herr von Wagner würde dem wohl vehement widersprechen, aber der wird von unserer Erwartung an die Bühnenfigur ja auch nicht gefragt) …

So kommt es dazu, dass wir uns von Politikern wünschen, mehr so zu sein wie Kabarettisten: Profilierter. Pointierter. Lustiger. Nicht so trocken, nicht so umständlich, nicht so langweilig. Mit Botschaften, die unserer Aufmerksamkeitspanne entsprechen und deren Inhalt Wohlgefühl in uns auslöst. Die uns vermitteln, dass für uns gedacht wird und uns mit Details in Ruhe lassen… Auch Journalisten messen wir mehr und mehr an ihrer Unterhaltsamkeit und ziehen den charismatischen Auftritt der fachkompetenten Kleinteiligkeit vor...

Zugegeben: Claus Kleber hat seine besten Momente, wenn er mal rumkaspert, und die Bundespressekonferenz dürfte manchen allein durch die (echt lustigen) Clips der Jung&Naiv Ultras überhaupt ein Begriff sein … Aber genau das ist das Problem: Ohne untergelegten Beat und pointenreiche Inszenierung sind wir gar nicht mehr zu interessieren. Es geht uns gar nicht um Informationen, wir wollen auch nicht wissen, wie die Probleme zu lösen sind: Wir wollen, dass sie irgendwer löst, und in der Zwischenzeit wollen wir unterhalten werden. Wir wollen die Welt im Entertainment-Format - und beklagen uns zwischendurch bitterlich, dass alles nur noch Show ist.

Das alles ist zutiefst infantil. Werden wir erwachsen.

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Geschrieben von

Charlie Schulze

"Bei meinen Feinden, zuweilen, finde ich Zuflucht vor meinen Genossen." (Peter Rühmkorf)

Charlie Schulze

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