Zu Gott schreien, weil Menschen nicht hören

Ines Pohl: Trotz der gerade sehr bleihaltigen Luft traute ich mich auf dem Kirchentag, mich zwischen den Fronten zu bewegen und dort zu einer Bibelarbeit von Ines Pohl zu gehen.

Bei diesem Beitrag handelt es sich um ein Blog aus der Freitag-Community.
Ihre Freitag-Redaktion

Die Chefredakteurin der taz war dazu an einen fernen Ort ganz im Süden von Hamburg-Harburg verbannt worden. Nichtsdestoweniger war dort in Heimfeld die Friedrich-Ebert-Halle gut gefüllt. Eine durchmischte Kirchentagsgemeinde lauschte interessiert, wie die Journalistin den Bibeltext des Tages interpretieren würde, die nicht ganz so populär ist wie Jakob Augstein, auch wenn die taz im Vergleich mit dem Freitag bei weitem mehr Leserinnen und Leser hat.

http://www.pfarrverein-ekbo.de/src/images/464030_403372903103533_1711893035_o.jpg

Es ging um Rechten und Richten. Auszulegen war das Gleichnis vom „Ungerechten Richter“ aus Lukas 18. Dort geht es um eine rechtssuchende Witwe, der aber der zuständige Richter die Justizgewährung verweigern will. Weil sie sich aber nicht abwimmeln lässt, gibt er schließlich nach und spricht Recht –nicht dass sie ihm noch ins Gesicht schlägt.

Mir fiele dazu heute spontan die Unbelehrbarkeit der Jusitz, speziell der bayerischen ein, die wir zuletzt im Vorfeld des NSU-Prozesses, aber auch bei den Ermittlungen selbst oder etwa im Fall Gustl Mollath gerade erst wieder erlebt haben, dass es einen an das dortige Rohrstock-Urteil von 1979 erinnert. In diese frisch im Gedächtinis haftenden Skandale wäre ich mitten hinein gegangen und hätte meine Rolle als 4. Gewalt betont, die den ungerechten Richtern schon des öfteren den Kopf zurecht rücken musste.

Nicht so Ines Pohl. Sie fragt vielmehr nach eigenen Fehlern, sieht sich als Presse in der Rolle der Richtenden, die ebenfalls ungerecht sind und sein können, sie als Chefredakteurin schon gar. Das Gleichnis ist für sie ein Aufruf, nach dem ungerechten Richter in uns selbst zu fahnden. Da gibt es Themen, die sie nerven, die lästig sind, die sie einfach nicht will, denen sie sich am liebsten genauso konsequent verweigert wie der Richter aus dem Gleichnis, weil sie einfach keine Lust hat – nicht etwa, weil es so das Beste wäre. In der Rolle der Witwe sieht sie – im Anschluss an die feministische Theologin Claudia Jansen – jede ledige Frau ohne den (damals erforderlichen) Schutz eines Mannes und damit alle Schutz- und Hilflosen, die, weil sie sich allein nicht schützen können, der Unterstützung und Hilfe derer bedürfen, die Verantwortung tragen. Lassen jene sie im Stich, können sie nur noch zu Gott schreien, weil die Menschen nicht hören wollen – was die theologische Sachebene des nur bildlich gemeinten Gleichnisses zumindest andeutet.

Diese auf eine Selbstprüfung fokussierte Auslegung konnte überzeugen. Verantwortungsträger sollten sich stets vergewissern, dass sie Respekt vor allem und jedem haben, wofür sie Verantwortung tragen – oder andernfalls die Verantwortung abgeben.

Weitere Beiträge zum und vom Kirchentag:

https://www.freitag.de/autoren/joachim-petrick/kirchentag2013-erinnern-an-dorothee-soelle

https://www.freitag.de/autoren/christianberlin/soviel-veraendern-wie-du-brauchst

https://www.freitag.de/autoren/christianberlin/starke-gesellschaft-und-umgang-mit-schwachen

https://www.freitag.de/autoren/christianberlin/wie-ein-demagoge-netzaktivisten-bekehrt

https://www.freitag.de/autoren/christianberlin/mutige-pastoralreferentin-bekam-soelle-preis

https://www.freitag.de/autoren/joachim-petrick/kirchenpfad-mit-friedrich-schorlemmer

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

ChristianBerlin

Theologe (Pastor) und Journalist, Berlin. Mitglied im Journalistenverband Berlin-Brandenburg (JVBB) und im Pfarrverein-EKBO. Singt im Straßenchor.

ChristianBerlin

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden