Alternative zu Altparteien und AfD (5)

BT-Wahl 2017 Wie könnte ein Programm von partei-unabhängigen Direktkandidaten aussehen? Das Mögliche möglich machen. Das Weiterso beenden.

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Folge 5

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5. Was heißt weltoffen?

Weltoffen sein heißt, die Menschheit insgesamt als den Einen Menschen in all seiner Verschiedenheit zu begreifen und dem Fremden mit Toleranz, Respekt vor seinem kulturellen Erbe und gegenseitiger Hilfe zu begegnen, ohne auf das Recht und die Pflege des eigenen kulturellen Erbes in der angestammten Heimat zu verzichten. Weltoffenheit und Weltbürgertum kennen keine absoluten Wahrheiten, kennen keine Superiorität und Herrschaftsansprüche unter den Kulturen sondern zeichnen sich durch das Bemühen aus, die einzigartige kulturelle Diversität unter den Menschen zu schützen und sie für ein friedvolles Einvernehmen und die Fortentwicklung der Menschheit zu nutzen. Weltoffenheit schließt jedoch Toleranz gegenüber religiösem und weltanschaulichem Fundamentalismus aus, der die universalen Menschenrechte leugnet sowie Nationalismus, Fremdenhass, Superioritätsdenken und Diskriminierung des Fremden propagiert.

Bis auf hier und da aufflackernde nationalistische und xenophobe Tendenzen im Zusammenhang mit dem Auftreten von NPD und anderen Neonazis wurde in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg ein gesellschaftlicher Konsens für selbstverständlich angenommen, der das menschenfeindliche Weltbild des Faschismus und eines übersteigerten Nationalismus als weitgehend überwunden ansah. Die deutsche Zivilgesellschaft schien mehrheitlich weltoffen zu sein, wozu

- die Integration Deutschlands innerhalb der EU,

- die Entwicklung Deutschlands zum Exportweltmeister, der seine wirtschaftliche Macht und sein hohes Durchschnittseinkommen, d. h. auch seine „Soziale Marktwirtschaft“, dem Austausch von Gütern und Diensten in einer globalisierten Wirtschaft sowie der Arbeit von Millionen von „Gastarbeitern“ verdankte, und

- der deutsche Massentourismus in alle Welt

beigetragen und so die letzten noch verbliebenden Ressentiments gegenüber dem Fremden aus der Zeit des Dritten Reiches beseitigt haben müsste. Das möchte man meinen. Doch dieser Traum von deutscher Weltoffenheit, der seit Beginn der Aufklärung vor 250 Jahren und der Erklärung und Anerkennung der universalen Menschenrechte durch die UN nach dem Zweiten Weltkrieg endlich erreicht schien, begann sich nach der Wiedervereinigung und besonders nach der Einführung der Agenda 2010 wieder in Luft aufzulösen.

Wie kann es sein, dass geschätzte 20% bis 25% der deutschen Bevölkerung heute wieder latent oder unverhohlen für nationalistische und fremdenfeindliche sowie selbst für faschistische Parolen und entsprechendes Handeln empfänglich sind? Kann es sein, dass dieser hohe Prozentsatz an Ausländerfeindlichkeit seit Gründung der beiden deutschen Staaten inmitten der beiden Zivilgesellschaften stets unter der Oberfläche vorhanden war, jedoch das offene Eintreten für Xenophobie vonseiten der Regierungen und der Mehrheit der Öffentlichkeit sanktioniert wurde? Ich meine, dass Xenophobie, d. h. Fremdenfeindlichkeit sowie Ausländerhass erstens in vielen Elternhäusern in der Nachkriegszeit weiterhin vorherrschte und der Nachkriegsgeneration „vererbt“ wurde, dass zweitens die Sozialpolitik, besonders die Agenda 2010, einen großen Prozentsatz von Niedrigverdienern und „Versagern“, die oftmals nicht einmal einen Schulabschluss erreichen, sozial ausgegrenzt und deshalb für rechte Tendenzen empfänglich gemacht hat, und dass drittens eine völlig verfehlte „Integrations- und Zuwanderungs-Politik“ seit „Gastarbeiter“-Zeiten für das Entstehen von Parallelgemeinschaften gesorgt hat, die nationalistischen Demagogen dienen, um innere Feindbilder in der Zivilgesellschaft aufzubauen.

Welche Politik sollten unabhängige Abgeordnete im künftigen BT vertreten, um Weltoffenheit und Weltbürgertum als vorherrschendes Verhaltensmerkmal in der deutschen Zivilgesellschaft fest und auf Dauer zu verankern und der erneuten Ausbreitung von Menschenfeindlichkeit und Fremdenhass vorzubeugen?

(i) Zuerst einmal muss die Angst vor dem Fremden genommen werden.

Das sollte damit beginnen, dass sich die Zivilgesellschaft mehrheitlich mit einem historisch gewachsenen Grundstock von humanistischen, aus der Aufklärung abgeleiteten Werten identifiziert, und dass dieser gesellschaftliche Grundkonsens von der Politik selbst verfolgt und verteidigt wird. Beispiel: Wenn die Jugend im Sinne einer humanistischen, der Umwelt verschriebenen Ethik erzogen wird, hat sich vor allem die Politik in ihrem Handeln im Öffentlichen Raum vorbildlich danach zu richten.

Wenn, wie es aktuell der Fall ist,

- die Politik selbst gegen diese vermittelten Werte verstößt und die Gesellschaft in Habende und Habenichtse teilt,

- ihre Seilschaften hauptsächlich auf Macht und materielle Vorteile bedacht sind,

- die Politik unfähig weil hörig ist, das teilweise unmenschliche und betrügerische Wirken der Wirtschaft zu zügeln (siehe Siemens, Deutsche Bank, Volkswagen u.v.a.m.),

- die Politik selbst ausbeuterische, paternalistische, besserwisserische Außenpolitik betreibt, andererseits als Schoßhund der USA hinterherhechelt,

dann verliert der Bürger die Achtung vor der Politik und kommt zu der Haltung: „Was die da Oben können, kann ich auch“.

Das heißt, ein neuer Bundestag und eine neue Bundesregierung müssen diesen gemeinsamen Grundstock von Werten über Bildung und Ausbildung und im öffentlichen Raum durch Beteiligung zivilgesellschaftlicher Vereinigungen, die Einheimische und Zugewanderte aktiv einbinden, festigen und verteidigen. Die bisherige Praxis, dass Politik und Wirtschaft für ihr Handeln eigene Regeln aufstellen, die mit einem humanistischen Weltbild im Streit liegen, darf vom Wähler nicht länger toleriert werden. Weiß sich aber der einheimische und der zugezogene Bürger in einem partizipativen „Sozial-Humanistischen Vertrag“ mit Politik und Wirtschaft in seinen Interessen geschützt, wird es keinen Grund von beiderseitigen Ängsten geben, da der Einheimische wie auch der Zugezogene den Wertekonsens als Mitbürger im Gemeinwesen akzeptiert.

(ii) Was bedeutet Weltoffenheit im Zusammenleben mit kulturellen, religiösen, ethnischen und sozialen Minderheiten?

Diese Frage ist mit einer anderen eng verknüpft: Welches Gesellschafts-Modell sollte in Deutschland angestrebt werden: a) Die sogenannte „reine“ Gesellschaft (vorwiegend aus Einheimischen bestehend), b) die Gesellschaft mit Parallelgemeinschaften, c) die Gesellschaft als „Melting-Pot“ (Schmelztiegel) oder d) die Gesellschaft als „Integrierende Gemeinschaft“?

Zu a) Zuerst ist festzustellen, dass die Nationalisten im Lande (bestehend aus Mitgliedern von Pegida, AfD und Teilen der CSU/CDU) das Modell a), d. h. die „ethnisch reine“ Gesellschaft, die vorwiegend aus Menschen ohne Migrationshintergrund besteht, befürworten und sich dem Erbe des „Christlichen Abendlandes“ verpflichtet fühlen. Dazu ist zu sagen, dass auch die Menschen „ohne Migrationshintergrund“ sämtlich Migrantenvorfahren aus früheren Jahrtausenden und Jahrhunderten haben. Autochthone gibt es in „reiner“ ethnischer Form überhaupt nicht in Deutschland. Die deutsche Gesellschaft, wie sie sich nach Weltkrieg II in zwei Staaten neu konstituierte, war ein durch Wanderungen und Kriege zusammengewürfelter „Melting-Pot“ (Schmelztiegel). Das einigende Werte-Band der Menschen in beiden deutschen Staaten war die beiderseitige Anerkennung der Ergebnisse der Aufklärung und der Universalen Menschenrechte. Obwohl die Anhänger des Modells der „reinen“ Gesellschaft allesamt Deutsche mit Migrationshintergrund aus vergangenen Jahrhunderten sind und obwohl sie wissen, dass ihre Lebensbedingungen abhängig vom globalen Austausch mit der übrigen Welt sind, meinen sie, sich gegen Zuwanderern aus anderen Kulturkreisen abschotten zu müssen. Als Nationalisten wollen sie die Reichtümer der übrigen Welt genießen, aber ihre eigenen Reichtümer, die aus der Zusammenarbeit mit der übrigen Welt erwachsen sind, nicht mit dieser Welt teilen.

Was das „Christliche Abendland“ anbelangt, so hat Europa im Zuge der Aufklärung längst das mittelalterliche christliche Weltbild überwunden, hat es modernisiert und hat die Religion in die Privatsphäre der Menschen verwiesen. Die europäischen Zivilgesellschaften sind heute laizistisch und mehrheitlich tolerant ausgerichtet und haben sich dem Leitbild des Respekts vor dem Denken des Anderen verschrieben. Diese Toleranz gegenüber dem Anderen hat ihre einzige Grenze in der Unverletzbarkeit der Universalen Menschenrechte und der Anerkennung des Laizismus als gesellschaftlichen Werte-Grundstock. Unabhängige BT-Abgeordnete haben mit der beschränkten Sichtweise der Nationalisten auf die eigene Nation und ihrer Menschenfeindlichkeit gegenüber dem Fremden nichts gemein und werden ihrem politischen Handeln entschieden entgegentreten.

Zu b) Deutschland und viele andere Länder auf der Erde sind segmentäre Gesellschaften, die aus historisch gewachsenen Gründen parallele Gemeinschaften ethnischer, kultureller, religiöser und sozialer Natur auf ihrem Territorium beherbergen. Solche Gemeinschaften sind, mit Ausnahme sozial benachteiligter Parallelgemeinschaften, durchaus erwünscht, da kulturelle Vielfalt einen außerordentlichen Reichtum für die Gesamtgesellschaft bedeutet, von dem alle Mitglieder der Gesellschaft Nutzen ziehen. Das gilt jedoch nur unter der Voraussetzung einer nicht-diskriminierenden, toleranten und friedvollen Gesamtgesellschaft. Deutschland hat sich nach Weltkrieg II im Gegensatz zu einer nicht-diskriminierenden Gesellschaft zu einer Gesellschaft mit parallelen Gemeinschaften entwickelt, die wegen immer stärker ausgeprägter

- sozialer Diskriminierung (Niedriglohnsektor) oder

- kultureller, ethnischer, religiöser und sozialer Diskriminierung (insbesondere türkische, muslimische Gemeinschaften) den inneren Frieden, die Toleranz und den Humanismus der Gesamtgesellschaft infrage stellen.

Zu c) Die „Schmelztiegel-Gesellschaft“, der allumfassende „Suppentopf“, in dem die unterschiedlichen Gemeinschaften nach und nach verschwinden, ist ebenfalls charakteristisch für die Herausbildung komplexer humaner Gesellschaften. Meistens ist dieser Prozess mit der Vorgabe einer vorherrschenden Weltanschauung vonseiten einer dominanten Gemeinschaft verbunden, dem sich die anderen Gemeinschaften durch Assimilation mehr oder weniger gezwungen sehen anzugleichen. Wie erwähnt, befand sich die deutsche Gesellschaft nach Weltkrieg II in etwa in einer derartigen Situation. Als „Melting-Pot“ wurde insbesondere der gesellschaftliche Vermischungsprozess in den USA überschrieben, in dem die weiße Mehrheit ihr Weltbild und ihre Lebensart den anderen Gemeinschaften aufdrückte. Auch Tito verfolgte im Nachkriegsjugoslawien eine „Melting-Pot“-Strategie unter den verschiedenen jugoslawischen Völkern, ebenso wie die ehemalige Sowjetunion. Doch es stellt sich in der Geschichte immer wieder heraus, dass das Verschwinden humaner Diversität selbst bei Beibehaltung langfristiger Repression durch eine dominante Gemeinschaft nicht gelingt. Anschauliches Beispiel dazu ist auch das heutige China.

Zu d) Die Gesamtgesellschaft als „Integrierende Gesellschaft“ verschiedener Teilgemeinschaften (Segmente) friedvoll und im gesellschaftlichen Konsens zu gestalten, ist wohl die wichtigste Herausforderung der heutigen Zeit. Angesichts von Millionen von Flüchtlingen und Asylsuchenden in Deutschland, von noch mehr Millionen im Niedriglohnsektor und weiteren Abermillionen im sogenannten Bevölkerungssegment mit „Migrationshintergrund“ kann fortdauernde Diskriminierung, Abschottung, Abschiebung und Ausschluss einzelner Segmente der Gesamtgesellschaft nur auf Kosten von Wiederaufleben von Unmenschlichkeit und Zerstörung des Inneren Friedens gelingen, an dem die deutsche Gesellschaft nicht gelegen sein kann. Die offizielle „Integrations-Politik“ der Nachkriegszeit kannte als ausschließlichen Inhalt des Integrations-Begriffes nur die Inklusion im Sinne von Ausnutzung der verschiedenen einheimischen und zugewanderten Bevölkerungssegmente in den deutschen kapitalistischen Arbeitsmarkt. Solange die Menschen unwidersprochen und ohne eigene Forderungen zu stellen Mehrwert erwirtschaften halfen (erst „Fremdarbeiter“, dann „Gastarbeiter“, dann „Zuwanderer“), waren und sind sie wertvoll, sind sie geduldet und können mit Bleiberecht rechnen. Ist ihre Arbeitskraft nicht länger gefragt, gilt für sie wie in US-Betrieben üblich das „Hire-and-fire-Prinzip“: „Dein Wert wird nicht mehr gebraucht, also ab in die Exklusion, d.h. raus aus Deutschland.“

Wie bereits mehrfach erwähnt, kommt eine humanistische Gesellschaft dann dem Ideal menschlichen, friedvollen Zusammenlebens näher, wenn der Mensch in seiner Verschiedenheit als Gleicher respektiert und integriert wird, d. h. gleiche Rechte aber auch gleiche Pflichten besitzt. Dabei richten sich Rechte und Pflichten nach den gesellschaftlich ausgehandelten Normen und Werten, die als historisches Erbe übernommen werden und mit neuen Elementen aufgrund freier Übereinkunft angereichert werden können. Universale Menschenrechte als wichtigstes historisches Erbe der Menschheit bleiben im Integrationsprozess unantastbar und müssen dazu führen, Diskriminierungen aller Art zu beenden und soziale Gerechtigkeit herbeizuführen. Der einheimischen Bevölkerung, wohlgemerkt nicht der jeweiligen Regierung, steht das Privileg zu, frei zu entscheiden, inwieweit zusätzliche Aufnahme von Zuwanderern und Flüchtlingen in die Gesamtgesellschaft toleriert und geleistet werden kann. Ist die einheimische Bevölkerung mehrheitlich dem Ideal einer humanistischen Gesellschaft verschrieben, wird sie sich der Aufnahme von Zuflucht-Suchenden aus Elend und Not im Rahmen ihrer Möglichkeiten nicht verschließen. „Integrierende Gesellschaft“ bedeutet weder „reine-Gesellschaft“ noch diskriminierende „Parallel-Gesellschaft“ noch gleichmacherische „Melting-Pot-Gesellschaft“, sondern sie bedeutet einen unter freier Bürgervereinbarung getroffenen Einschluss von Teilgemeinschaften in die Gesamtgesellschaft, die sich zu einem Grundstock von Werten bekennt. Das sind in Deutschland und Europa die Universalen Menschenrechte.

Welche praktischen politischen Maßnahmen sollten aus diesen theoretischen Überlegungen abgeleitet werden?

(iii) Politische Maßnahmen zur Stärkung von Weltoffenheit und Weltbürgertum

Die erste Bedingung, die unabhängige BT-Abgeordnete in ihrer Einmischung in die Politik erfüllen müssten, ist, im Gegensatz zur herrschenden politischen und wirtschaftlichen Klasse, mit gutem Beispiel voranzugehen, um eine freiheitliche, pazifistische, humanistische, nachhaltige und weltoffene Politik glaubwürdig zu vertreten unter dem Motto: Das Mögliche möglich machen und das Weiterso beenden. Ihre Wählerschaft hat die Verantwortung, die von ihr gewählten Abgeordneten nicht nur mit Vorschlägen zu versorgen, sondern sie auch in ihrem politischen Handeln an ihren Prinzipien zu messen und sie zu kontrollieren. Was die Weltoffenheit anbelangt, ist es Allgemeingut, dass eine solche, ebenso wie Fremdenfeindlichkeit, nicht angeboren sondern eine Sache der Erziehung und der Sozialisation ist. Ist das politische Ziel einer Gesamtgesellschaft das Erreichen von Humanismus, friedvollem Zusammenleben und Weltoffenheit, dann steht der Verfolgung und dem Erreichen dieses Zieles nichts im Wege, es sei denn, dass die politischen und wirtschaftlichen Seilschaften (in Deutschland die BT-Parteien und die hinter ihnen stehenden wirtschaftlichen Eliten) dieses Ziel wegen Verfolgung eigener politischer und wirtschaftlicher Macht einfach nicht erreichen wollen. Und das Volk, d.h. die Mehrheits-Gemeinschaft und die verschiedenen Parallel-Gemeinschaften sind entweder zu indifferent und/oder unter sich zu zerstritten, um dem politischen Machtmonopol der BT-Parteien und ihrer auf Eigennutz bedachten Politik ein Ende zu bereiten. Dieser Zustand kann und muss beendet werden.

Unabhängige BT-Abgeordnete sollten im nächsten Bundestag die folgenden politischen Maßnahmen zur Förderung von Weltoffenheit und Weltbürgertum vorschlagen (einige Maßnahmen wurden bereits erwähnt):

a) Angst vor dem Fremden wie auch Angst vor dem Einheimischen dadurch nehmen, dass beide Teilgruppen einen gemeinsamen Grundstock von Werten des Zusammenlebens respektieren und bei Zuwiderhandlung gegen diese Werte (ethische Verhaltens-Prinzipien, universale Menschenrechte) mit Sanktionen rechnen müssen. Wie bereits erwähnt, ist dazu ein obligatorischer Ethik-Unterricht für Jugendliche einzuführen sowie Erwachsenbildung über NROs zu fördern, die sich dem Thema des friedvollen, interkulturellen Zusammenlebens annehmen. Kein/e Einheimische/r und kein/e Zugewanderte/r sollte sich herausreden können, er/sie wüsste nicht, was der gesamtgesellschaftliche Werte-Konsens ist.

b) Apropos Werte-Konsens: Unabhängige BT-Abgeordnete sollten sofort nach Zusammentreten des neuen Bundestages darauf dringen, dass ein von der Zivilgesellschaft gebildeter überparteilicher, unabhängiger „Deutscher Werte-Rat“ (nicht mit dem vom BT und Bundesrat eingesetzten Deutschen Ethikrat zu verwechseln, der insbesondere Möglichkeiten und Grenzen der Forschung zu beurteilen hat) zusammentritt und spätesten am Ende der kommenden Legislaturperiode einen Werte-Konsens-Vorschlag vorlegt, der durch Volksabstimmung rechtskräftig werden sollte. Dieser Vorschlag sollte nicht nur die Werte-Inhalte definieren sondern auch ihre Implementierung vorschlagen.

c) Kinder und Jugendliche der verschiedenen Parallelgemeinschaften sollten grundsätzlich in interkulturellem Kontext gemeinsam lernen und studieren. Darüber hinaus können selbstverständlich Gemeinschaften fakultativ Ausbildung anbieten, die das kulturelle Erbe der spezifischen Gemeinschaften fortführt. Einzige Einschränkung ist dabei das Konterkarieren des gemeinsamen Wertekonsenses der Gesamtgesellschaft. Für jugendliche Flüchtlinge und Jugendliche aus sozial benachteiligen Familien ist möglichst eine gemeinsame Ausbildung und ein gemeinsames Leben in interkulturellen Einrichtungen einzurichten (wie bspw. in Studentenwohnheimen), um gegenseitiger Diskriminierung vorzubeugen.

d) Was die Einwanderungspolitik anbelangt, sollte Deutschland als weltoffenes Land Zuwanderer aus aller Herren Länder willkommen heißen und Aufenthaltsrecht erteilen, wenn sie dafür die materiellen Voraussetzungen mitbringen, d. h. entweder ein Studienstipendium besitzen, eine Arbeitsstelle vorweisen können oder ein ausreichendes Eigenkapital mitbringen. Auch hier gilt wieder als einzige Einschränkung die Anerkennung des deutschen Wertekonsenses. Der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit sollte bereits nach fünf Jahren möglich sein. Die Möglichkeit einer doppelten Staatsangehörigkeit für Zuwanderer sollte ebenfalls nach fünf Jahren gegeben sein.

e) Die Flüchtlings- und Asylpolitik in Deutschland und Europa hat im Jahr 2015 an Dramatik gefährlich zugenommen. Der einsame und autoritäre Merkel-Beschluss „Wirschaffendas“ traf Deutschland und Europa unvorbereitet und beschwor eine gefährliche Abkehr von humanistischen Werten in Deutschland und einen politischen Zerfall Europas herauf, der sich bereits seit dem Merkelschen Spardiktat 2010 angebahnt hatte. Was war geschehen? Die Flüchtlingskrise zeichnete sich schon lange vor dem verhängnisvollen Merkel-Diktat an, mit dem die Kanzlerin ohne die deutsche Öffentlichkeit und die übrigen europäischen Regierungen zu konsultieren vermeinte, dem Gebot der Nächstenliebe gegenüber Menschen in Not Genüge leisten zu müssen. Generell sind in der Flüchtlings- und Asylpolitik zwei Menschenrechte miteinander verknüpft: Einmal das ethische Gebot zur Hilfe von Menschen, die sich in äußersten Notlagen befinden, seien sie menschenverursacht (durch Krieg oder materielle Not) oder naturverursacht (durch natürliche Katastrophen); andererseits gilt das Gebot, dass die helfende Gesellschaft dieses ethische Verhalten nicht von Regierungsseite bzw. der Kanzlerin aufgezwungen bekommt, sondern dass sie diesem Gebot in freiem Entschluss nachkommen sollte. Die Regierung, die Kanzlerin kann staatlichen Behörden, der Polizei oder auch der Bundeswehr befehlen, Hilfe zu leisten. Sie kann das gegenüber der deutschen Zivilbevölkerung nur in Ausnahmefällen (Notstand) tun, wenn bspw. eine plötzliche Naturkatastrophe oder ein Krieg ausbricht. Im Falle der befohlenen Grenzöffnung konnte es nur einen nachträglichen Appell geben: „Leute, bitte helft mir, meine diktatorische Entscheidung umzusetzen. Ohne Euch bin ich aufgeschmissen und müsste zurücktreten.“

Es gab in der deutschen Zivilgesellschaft (im Gegensatz zur Politik) und auch in anderen europäischen Zivilgesellschaften seit 2014 eine große Bereitschaft, den in Lampedusa und Süditalien ankommenden Flüchtlingen zu helfen. Die deutsche Regierung wie auch die europäische Kommission und das europäische Parlament hätten statt der damaligen unmenschlichen Abschottungspolitik des Kontinents mit polizeilichen und militärischen Mitteln einen Konsens mit den Zivilgesellschaften suchen müssen, um der Flüchtlingsproblematik in menschenwürdiger Weise zu begegnen. Die Bevölkerungen deutscher und europäischer Städte und Landkreise hätten gefragt werden müssen, ob und in welcher Größenordnung Hilfsbereitschaft vorhanden sei. Entsprechend hätten diese Bevölkerungen in Zusammenarbeit mit lokalen Behörden dem ethischen Gebot der Hilfe nachkommen und sagen können: „Wir machen das so und so, wir verantworten das und wir schaffen das auch“. Der plötzlicher Kanzler-Beschluss in Wir-Form war diktatorisch und stiftete Chaos und Xenophobie. Letztere ist zwar latent in gewisser Weise vorhanden, sie wurde aber durch den Merkel-Beschluss ins Unerträgliche gesteigert.

Wie hat sich die Flüchtlings- und Asylpolitik, von der Regierung jetzt auch Integrationspolitik genannt, bis heute entwickelt? Inzwischen ist das enorme Sozial- und Human-Kapital (die Fähigkeit der Zivilgesellschaft mit einem besonders schwierigen sozialen Problem fertigzuwerden) in der deutschen Gesellschaft verspielt worden, und das auf typisch deutsche undemokratische, paternalistische und behördliche Weise. Bis zum Frühjahr waren die staatlichen Behörden weitgehend unfähig, mit der Flüchtlingsproblematik umzugehen und waren auf das ehrenamtliche Engagement der Zivilgesellschaft angewiesen. Doch dann musste der Zivilgesellschaft die Protagonisten-Rolle aus der Hand geschlagen werden. Die Nationalisten kamen zunehmend frecher daher, sprachen von Überfremdung und trieben Regierung und Kanzlerin in ihrer Abschottungs- und Abschiebepolitik vor sich her. Die weltoffene „Welcome-Gesellschaft“ mutierte zur „Abschottungs-Gesellschaft“ mit einer aus früheren Jahrzehnten bekannten „Integrations-Politik“, die notleidende Menschen zu reinen Arbeitskräften degradiert. Integration hört sich schön an, wer die Wirklichkeit der Flüchtlinge und Asylanten kennt, weiß, dass sie mit ihrem Schicksal allein gelassen werden, selbst wenn sie Brot bekommen und ein Dach über dem Kopf haben. Welcher Flüchtling, welche/r Asylant/in kann sich glücklich schätzen, einen deutschen Freund oder eine deutsche Freundin oder eine deutsche Gastfamilie zu haben? Gottseidank haben sie ihre Handys. Einige von ihnen werden aus Verzweiflung in den Terror getrieben werden und sich an der Gastgesellschaft rächen wollen. Und die Große Koalition? Gottseidank hat sie im Verein mit der EU-Kommission, mithilfe von Erdogan und mit Nato einen schwimmenden Kordon im Mittelmeer errichten können. Stolz kann man den Nationalisten im eigenen Land und in Europa verkünden, das Abendland ginge nicht unter. Die Flucht nach Europa sei weitgehend gestoppt.

Was können, was müssen unabhängige, weltoffene BT-Abgeordnete im neuen Bundestag tun, um die Flüchtlings- und Integrations-Politik wieder menschenwürdig zu gestalten und um diese Politik nicht länger den Nationalisten quer durch die Parteien zu überlassen?

- Die Zivilbevölkerung in Landkreisen und Städten sollten nach Beratung und demokratischer Entscheidung selbst bestimmen, ob und in welcher Größenordnung Flüchtlinge aufgenommen werden können. Dabei wird es keine Unterschiede zwischen Kriegs- und sogenannten Wirtschaftsflüchtlingen geben dürfen. Letztere flüchten ebenfalls aus unhaltbaren materiellen Verhältnissen und nicht, um ein Leben als Sozialschmarotzer zu fristen. Das UN-Flüchtlingswerk wird dabei helfen müssen, die Bedürftigsten aus den Lagern auszusuchen. Mit den Behörden vor Ort, den Kirchen, den Gewerkschaften und vor allem den lokalen gemeinnützigen NROs und interkulturellen Vereinigungen ist die Aufnahme und Integration in die örtliche Zivilgesellschaft zu planen und zu organisieren. Ganz wichtig ist, den örtlichen Parteienfilz dabei außen vor zu lassen. Denn Integration ist inzwischen in Deutschland zu einem lukrativen Geschäft ausgeartet, an dem teilzunehmen auch lokale Parteigrössen nicht abgeneigt sind.

- Die beispielhafte Organisation von Flüchtlingsaufnahme in Deutschland durch demokratische Entscheidungen der Bevölkerungen in Landkreisen und Städten kann auf andere europäische Länder ausgedehnt werden. Die Hauptaufgabe der Länderregierungen wäre die Beschaffung und Verteilung der zur Flüchtlings-Aufnahme und –Integration notwendigen finanziellen Mittel.

- Die hastig vorangetriebene Asyl- und Integrationsgesetzgebung ist zu überarbeiten, um vom Abschottungs- und Abschiebeprinzip wieder zu einer Politik zu kommen, die den Menschenrechten und der Genfer Flüchtlingskonvention Rechnung trägt.

- Flüchtlings- und Integrationspolitik kann letztlich nur erfolgreich sein, wenn sie von den sozial Benachteiligten der einheimischen Bevölkerung akzeptiert und mitgetragen wird und nicht deren xenophobe Tendenzen verstärkt sondern diese abbaut. Das geschieht am ehesten über die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE), die Beteiligung an Initiativen im Bereich der Solidar-Wirtschaft und die aktive Einbindung dieser Bevölkerungsschichten in die lokale Flüchtlings- und Integrationspolitik.

f) Vorbeugende Flüchtlingspolitik im außereuropäischen Ausland

Die wohl größte Herausforderung im Bereich weltoffener und humanistischer Flüchtlingspolitik ist die Politik der Prävention, ist die Beseitigung der Ursachen von Flucht. Da wird sich langfristig erweisen, ob die Menschheit innerlich zerreißt oder ob sie eine Chance zur friedlichen Zukunft haben wird. Eine Analogie zum Ausstieg aus der Atomkraft liegt auf der Hand. Erst Tschernobyl und Fukushima haben die Augen geöffnet, dass die Menschen auf einer Zeitbombe sitzen, von der man nicht weiß, ob sie jemals entschärft werden kann und mit welchen Kosten. Die Neokolonisierung der peripheren Länder nach Weltkrieg II ist damit vergleichbar. Wie die Atomkraft scheinbar unbeschränkte billige Energiereserven offerierte, so schien die unbegrenzte Ausbeutung der mineralischen und pflanzlichen Ressourcen dieser Welt eine Akkumulationsquelle von Reichtum unerschöpflichen Ausmaßes und füllte Kapital und Politikern weltweit die Taschen. Selbst die deutsche „Soziale Marktwirtschaft“ labte sich reichlich an dieser Quelle. Jetzt erweist sich dieser Neokolonialismus und die durch ihn ausgelöste weltweite Flucht immer mehr als eine monströse menschliche Bombe, die ähnlich wie die Atomkraft unbeherrschbar scheint. Wissenschaftler und Praktiker haben seit Jahrzehnten vor dieser Ausbeutung und ihren Folgen für Mensch und Natur gewarnt, doch der Eigennutz von Kapital und Politik machte blind und verhinderte eine langfristige Sicht. So kommt erst jetzt die Bundesregierung auf den Trichter, dass ihre glitzernde Industrie und Exportweltmeisterei etwas mit chaotisch anschwellender weltweiter Flucht und Elend von Millionen von Menschen auf dem Erdball zu tun haben könnte.

Unabhängige BT-Abgeordnete werden verpflichtet sein, den Bundestag und die Regierung zu ungeheuren finanziellen Anstrengungen zur Bekämpfung weltweiter Fluchtursachen aufzufordern. Wenn das nicht geschieht und sich auch die übrigen europäischen Länder einer Ursachenbekämpfung von Flucht verweigern, dann werden die Kriege an den Außengrenzen Europas unweigerlich zunehmen sowie Krieg in Form von vermehrtem Terror in die europäischen Metropolen getragen werden. Die wichtigsten Präventivmaßnahmen müssen sein:

- In politisch und sicherheitspolitisch stabilen Ländern muss die Rohstoffausbeutung ersetzt werden durch die technische und finanzielle Hilfe für den Aufbau von Wissens- und Ausbildungszentren, die in den betreffenden Ländern nach einer zehnjährigen Aufbauphase die endogene Entwicklung möglich machen, wie es in China, Indien und den asiatischen Tiger-Ländern gelang.

- Die bereits bestehenden weltweiten Flüchtlingslager sind im Zusammenwirken mit den UN so zu stabilisieren, dass in ihnen neben der Ernährungs- und Gesundheitsversorgung die Erziehung und berufliche Ausbildung bis zum Universitätsstudium möglich ist. Durch Abkommen mit dem Gastland sollte ebenfalls verarbeitende Produktion, die auf Rohstoffen des Gastlandes basiert, eingerichtet werden. So werden im Friedensfall und bei Auflösung der Lager die Flüchtlinge auf die Rückkehr und den Wiederaufbau ihres Landes vorbereitet.

- Menschen, die sich weltweit auf der Flucht vor Krieg oder wirtschaftlicher Not befinden und keinen Zugang zu den bereits bestehenden Lagern haben, sollten am besten in Nachbarländern in neu einzurichtende Lager flüchten können, die ausreichende Lebensbedingungen garantieren, inklusive beruflicher Ausbildung und produktiver Aktivitäten. Auch diese Maßnahmen sollten zwischen der UN und den Gastländern ausgehandelt werden.

Abschließend ist festzuhalten, dass sich der neue Bundestag, die neue Bundesregierung und die deutsche Zivilgesellschaft das Folgende ins Stammbuch schreiben sollten:

Das Eintreten für Weltoffenheit und Weltbürgertum ist friedensfördernd.

Das Eintreten für Nationalismus und Xenophobie ist friedensverhindernd.

Ende der Folge 5 und des Programm-Vorschlages

Noch ein schönes Wochenende in D, CE

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Costa Esmeralda

35 Jahre Entwicklungsberater, Lateinamerika, Afrika, Balkan. Veröff. u.a. "Abschied von Bissau" und "Die kranke deutsche Demokratie".

Costa Esmeralda

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