Extremwetter Es wird wärmer – die Ozonschicht wird wieder dünner. Ohne Sonnencreme oder Nussöl könnte es Ihnen wie Audrey Hepburn und Albert Finney an der Côte d’Azur gehen. Unser Lexikon
Beim Sonnenbaden – ob kurz oder lang: Eincremen nicht vergessen!
Foto: Anais Boileau
A
wie Assoziation
„Sonnenschutz“ – so redete ja niemand. Das Wort klingt in meinen Ohren noch heute seltsam akademisch. Meine Mutter cremte uns mit Nivea ein. Wir sagten „Tempo“ zum Papiertaschentuch. In meiner Erinnerung dufteten die Sommer meiner Kindheit nach Nivea, Heu und Pommes vom Kiosk im Freibad. Das ist meine Assoziation. Und so manche Erinnerung trügt bestimmt. Freitag-Autor Arno Frank erzählt vom Trügerischen der Erinnerung in seinem „Freibad-Roman“ Seemann vom Siebener. Während meine Mutter uns ständig ermahnte, briet sie selbst mittags eingeölt mit → Nussöl hinter dem Haus auf einer Liege – damals ein fast schon rebellischer Akt. Als die Enkel kamen, war die Sonnenanbetung längst tabu
ie Enkel kamen, war die Sonnenanbetung längst tabu für sie. Das sah ich als Mutter genauso. Auf der anderen Familienseite (darunter Ärzte) hingegen wurden die natürlichen Schutzmechanismen der Haut weiter gepredigt. Ich wurde darüber oft rot vor Rage. Aber nichts geht über die Großeltern: Ihr gut dosierter Beschützerinstinkt ist besser als der beste Sonnenschutz. Katharina SchmitzBwie Baz LuhrmannIm Pop ist vieles möglich. Sogar eine Aneinanderreihung von banalen Lebensweisheiten kann zum Hit taugen. So geschehen 1997, als der australische Film- und Theaterregisseur Baz Luhrmann mit der Vertonung einer Kolumne der Chicago Tribune zum Popstar avancierte. Er engagierte einen Sprecher, der mit sonorer Stimme Dinge aufzählte, die man bitte unterlassen oder unbedingt tun sollte: unter anderem viel Kalzium einnehmen, alte Liebesbriefe aufbewahren – oder sich vor der Strahlkraft der Sonne schützen. Der Elektro-Track Everybody’s Free (To Wear Sunscreen) ist eine Litanei aus Ratschlägen und Warnungen, die in England sogar den ersten Platz der Hitparade belegte. Der Erfolg beruhte auch auf der Tatsache, dass der Text über eine Ketten-Mail bekannt wurde, die auch Luhrmann erreichte. Und so gilt das Stück als erster Nummer-eins-Hit, den das Internet geschaffen hat. Marc PeschkeFwie FlorentinerDas Mandelgebäck mit Karamell und einer Schicht Schokolade ist köstlich. In der Sonne dürfte es indes klebrig werden, selbst wenn man einen Florentiner trägt. Gemeint ist ein Hut mit breiter Krempe, gefertigt meist aus Weizenstroh und verziert mit Bändern aus Rips oder Seide, einst gar mit einem Blumengesteck. Passend zum Hut gibt es eine gleichnamige Filmkomödie aus dem Jahr 1939 mit Heinz Rühmann in der Hauptrolle. Der Florentiner Hut ist ein vortrefflicher Sonnenschutz, nur könnte man sich lächerlich machen, so ohne Trabrennbahn. „Overdressed“ zu sein war bis Mitte des 20. Jahrhunderts kein Problem. Mit Hut fühlten sich feine Damen erst „angezogen“. Aufrecht schritten sie einher. Wie sie ihren Kopf neigten, konnte reizvoll erscheinen und geschah doch aus Not. Mit Hut, ich weiß es aus eigener Erfahrung, musst du nämlich auf den Wind achten, damit er dir nicht unter die Krempe fährt. Sonst rennst du dem Ding hinterher, und ein galanter Herr, der dir den Florentiner mit großer Geste aufhebt, ist nicht zur Stelle. Irmtraud GutschkeIwie IkarusDie Götter Griechenlands scheinen es geahnt zu haben: Der Mensch an sich neigt zu Übermut und Hybris. Deshalb war es keine schlechte Idee, ihm das Feuer vorzuenthalten. Prometheus schmuggelte die Flamme bekanntermaßen trotzdem auf die Erde. Zur großen Freude des Homo sapiens, denn der liebt das Zündeln. Und wenn er nach oben will, dann kennt er keine Grenzen, wie das Beispiel des unglückseligen Flugamateurs Ikarus zeigt, der sich schutzlos der Sonne näherte, so dass seine Flügel aus Wachs schmolzen. Allen Warnungen seines Vaters Daedalus zum Trotz. Dieser geniale Erfinder wusste, was für fatale Folgen die leichtfertige Erprobung neuer Technologien haben kann. Aber es fehlte ihm wohl an Überzeugungskraft. Was wenig wundert, wenn man auf die Geschichte der Menschheit schaut. Vielleicht rührt daher die anhaltende Popularität des Mythos. Joachim FeldmannJwie JalousieEx oriente Sonnenschutz: Die Jalousie stammt aus dem Orient, wo kunstvoll verzierte Jalousien vor allem dem Sichtschutz dienten. Sie verwehrten Einblicke von außen in die Paläste, während der Blick auf Gärten und Höfe frei blieb. Vor Sonne schützten sie auch. Auf Deutsch zieht man wenig prosaisch die Rollläden runter. Das französische Wort für „Eifersucht“ bezieht sich auf ihren damaligen Einsatz in Harems. Wann das Architekturelement nach Europa (→ Florentiner) kam, ist nicht überliefert. Auch nicht, wann das ornamentale Design zugunsten vertikaler Lamellen aufgegeben wurde. Lange waren sie starr in die Fensterläden eingelassen und schirmten gegen Sonneneinstrahlung von oben ab. Eine mit verstellbaren und wendbaren Brettchen (Lamellen) designte Jalousie meldete der französische Tischler Cochot im Jahr 1812 zum Patent an. Seitdem kann man die Lamellen je nach Sonnenstand drehen, so dass immer Schatten herrscht oder auch nur ein schönes Zwielicht. Ob das Licht nun aus dem Westen kommt oder aus dem Osten. Tobias Prüwer Nwie NussölDie einen schwören auf literweise Karottensaft, die anderen auf den Extrakt von Walnussschalen. Es gilt die Synthese des Hautpigments Melanin zu beschleunigen, um so rasch wie möglich braun zu werden und dem Schönheitsideal hautnah zu kommen. Der Sonne aussetzen muss man sich aber dennoch. Und das kann böse enden. Die „gesunde Bräune“, von der in einschlägigen Werbetexten immer noch die Rede ist, gibt es bekanntlich nicht, zu viel Sonne fördert Krebs (→ Assoziation). Wacker hält sich die Legende vom sorgenfreien Turbobräunungseffekt mithilfe von Nussöl, zum Beispiel aus Tirol, das auch vor Sonnenbrand schützen soll. Noch schneller geht es zusammen mit Beta-Carotin. Nach mehreren Wochen Karotten-Verzehr oder per Kapsel soll die Haut tatsächlich brauner werden. Allerdings mit einem Stich ins Gelbliche. Joachim FeldmannOwie OzonlochKurzzeitig hatte man aufatmen können. Endlich hatten die Menschen begriffen, dass chlor- und bromhaltige Verbindungen wie zum Beispiel die in Deos und Kühlschränken verwendeten Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) oder organische Verbindungen wie Halone (in Feuerlöschern) die Ozonschicht schädigen, und die ozonschichtabbauenden Treibgase wurden verboten. Der natürliche Schutz vor Sonnenstrahlen (→ Piloten), der besonders über der Antarktis geschwunden war, schien sich zu erholen. Seit dem Jahr 2000 verkleinerte sich das Ozonloch stetig. Jedoch reißt es aufgrund von Luftströmen wie Polarwirbeln immer wieder auf. Diese werden unter klimawandelverursachten Extremwetterbedingungen unsteter. Das sich ändernde Klima ist wohl auch die Ursache für das Abnehmen der Ozonschicht auf anderen Längen- und Breitengraden. So wird sie über Deutschland ebenfalls dünner. Das muss sich breiter herumsprechen. Immerhin ist das Ozonloch ein Symbol dafür, dass der Mensch die Umwelt schützen kann, wenn er denn einsichtig ist und will. Tobias PrüwerPwie PilotenEntgegen der überidealisierten Darstellung in den sozialen Medien, nach der Piloten ein allumfassendes Traumleben leben, herrschen im Cockpit Gefahren durch Sonneneinstrahlung. Denn wer tagtäglich in der knallenden Sonne sitzen muss und sich mit Sunshields (und den Cockpitscheiben) nicht komplett dagegen schützen kann, hat ein erhebliches Gesundheitsrisiko für die Erkrankung an Hautkrebs. Ideal wäre es, das fliegende Personal betriebe Hautschutz wie am Strand: Sunblocker drauf, regelmäßig auffrischen. Doch wer macht das schon? Sie ahnen es: die wenigsten (→ Ikarus). Wie bei der Feuerwehr: Jahrzehntelang galt es als ein heroisches Signet, mit der verrauchten Einsatzkleidung zur Wache zu fahren. Die hohen Krebszahlen sorgten für die Conclusio, dass in der heroischen Geste der Tod liegt. Cremen Sie um Ihr Leben! Jan C. BehmannSwie SonnenhandFür die 1960er Jahre, das Jahrzehnt der Jugendkultur, war Stanley Donens Zwei auf gleichem Weg (1967) ein viel zu erwachsener Film. Heute gilt er als Donens Meisterwerk: Audrey Hepburn und Albert Finney spielen das in die Jahre gekommene Ehepaar Joanna und Mark Wallace, das sich eigentlich trennen will und nun auf einer Reise in den Süden Frankreichs an all die Male erinnert wird, die sie diese Strecke vorher schon einmal gefahren sind. Darunter auch das erste Mal, als eine Reihe von Zufällen und Missgeschicken dazu führte, dass sie überhaupt als Paar an der Côte d’Azur landeten. Mark hatte ursprünglich Jackie (Jacqueline Bisset) bevorzugt. Doch dann liegt er mit Audrey gemeinsam am Strand, sie warnt noch vor zu viel Sonne (→ Ozonloch), er prahlt, er hätte eine „Haut aus Asbest“ (heute eine nicht mehr jugendfreie Aussage), und sie schlafen ein. Später stehen sie in ihrer Absteige vor dem Spiegel, beide sind krebsrot, auf seinem Bauch zeichnet sich ihre Hand als weiße Fläche ab. Mit Anfassen ist für die Frischverliebten dann ein paar Tage Pause. Barbara SchweizerhofZwie ZweckmäßigDas filmische Potenzial der Sonnencreme beschränkt sich meist auf das verführerische Eincremen am Strand (→ Nussöl), der Lichtschutzfaktor ist hier Mittel zum Zweck: Die Hauptfiguren können sich unter unschuldigem Vorwand nackt berühren. In Christopher Nolans Film Tenet (2020) ist im Finale ein weiterer zweckmäßiger, gar mörderischer Gebrauch der Sonnencreme zu sehen. Kat, die entfremdete Ehefrau des russischen Oligarchen und Waffenhändlers Andrei Sator, verschüttet (vermeintlich) aus Versehen Sonnencreme auf dem Schiffsdeck, beginnt dann besagte verführerische Eincreme-Aktion, hält inne (sowie eine Racherede) und erschießt schließlich den halbnackten Bösewicht, mit nicht verteilter Creme auf dem Rücken. Ein guter Plan: Nun lässt sich der leblose Körper ganz einfach über das rutschige Deck ins Wasser schieben. Susann Massute