A-Z Liefern uns bald Drohnen Medikamente? Apotheker:innen fürchten, zum Auslaufmodell zu werden. Zur Not plündert man die Hausapotheke, mit der kennen sich nicht nur die Rolling Stones aus. Unser Lexikon
Apothekerinnen hatten einst einen sicheren und angesehenen Job
Foto: Max Galli/Laif
A wie Alarm
Das ist ja eine Apotheke!, pflegte meine Mutter zu schimpfen, wenn sie sich über einen Laden mit hohen Preisen ärgerte. Die Apotheke war schon immer etwas Besonderes, dazu gehörte auch, dass sie krisenfest ist und nicht pleitegehen kann. Doch nun ist die Zahl der Apotheken in Deutschland erstmals unter 18.000 gesunken. Auch in meinem Kiez beobachte ich ein trauriges Siechen. Aus ehrwürdigen, alteingesessenen Sitzen gähnt Leere, Passanten eilen an blinden Fenstern vorbei. Dass Apotheker für höhere Pauschalen streiken wie zuletzt, hat man auch noch nicht gehört. Zu viel Mehrarbeit, stöhnen die Inhaber:innen, die wegen Lieferengpässen aufwendig nach Medikamenten fahnden müssen und dafür gerade 50 Cent erhalten, die sie auc
die sie auch noch bürokratisch beantragen müssen. Dazu kommt die Konkurrenz durch Online-Apotheken und die aus dem Boden schießenden Ketten. Pillendrehen ist kein Zuckerschlecken mehr, und den Protest auf Rezept gibt es nun kostenlos. Ulrike Baureithel F wie FontaneZu den geheimen Brutstätten der deutschen Intelligenz gehören die Apotheken. Zwischen Salben und Pasten, Heroinund Eucerin kam so mancher auf die Idee, den Mörser beiseitezulegen und zu Feder oder Stift zu greifen. Erich Mühsam zog es sogar in die Politik; Georg Trakl konnte indes nie ganz vom Medikamentenschrank lassen (→ Hausapotheke).Doch der berühmteste Apotheker unter den deutschen Schriftstellern ist fraglos Theodor Fontane. Noch immer ist in seinem Geburtshaus in Neuruppin die einst väterliche Löwen-Apotheke untergebracht. Seine eigene Ausbildung absolvierte er jedoch in Berlin. Doch schon wenige Jahre nach der Approbation hängte er den Beruf an den Nagel und arbeitete fortan als Theaterkritiker, Journalist und schließlich Autor so zu Recht berühmter Werke wie Effi Briest oder Der Stechlin. Leander F. BaduraH wie HausapothekeManchmal hilft schon der Gang zum Plattenschrank, um sich daran zu erinnern, dass man die Apotheke im Haus hat. Die Rolling Stones, in Sachen Subtilität nicht grade Helden, reimten in Mother’s little helper die Worte „not really ill“ und „little yellow pill“ (→ Pillen-Willy), flugs ist Mama geholfen. Herbert Grönemeyer wusste in Alkohol: „Der Apotheker nimmt Valium und Speed“. Heuse & Zeus x Crona (feat. Emma Sameth) verschlucken in ihrem Song Pill einfach gleich das ganze Gegenüber: „So I choke you down just like a pill“. Und selbstverständlich geht das Angebot an Betäubungs-, Rausch- und Schmerzmitteln im Plattenschrank weit über das Sortiment einer Apotheke hinaus: Vom Shit Hit (Ton Steine Scherben), dem Opium Tea (Nick Cave) über LSD in Lucy in the Sky with Diamonds (The Beatles) und Mutter, der Mann mit dem Koks ist da (Falco), Sister Morphine (The Rolling Stones) bis hin zum Golden Brown (The Stranglers) oder Heroin (The Velvet Underground) ist alles zu haben, was high macht. Beate Tröger K wie KrimisIn Krimis zählen Apotheker zum Standardinventar der Verdächtigen, kommt ihr Beruf dem Bild des Giftmischers doch am nächsten. Meisterlich inszenierte dies Ingrid Noll in Die Apothekerin. Darin mordet sich eine Pharmazeutin ihr Leben zurecht. Das Buch schlug 1994 als Bestseller ein und wurde mit Katja Riemann in der Hauptrolle verfilmt. In den vergangenen Jahren wandelte sich das Image: Immer mehr Apotheker gehören nun zu den Guten. Es gibt eine Apotheken-Krimi-Buchreihe, da kommt der Kommissar ohne Hilfe einer Apothekerin nicht weiter. Und in den ZDF-Friesland-Krimis tritt eine Apothekerin als Hauptermittlerin auf, genervt vom Tinkturenmixen klärt sie nebenbei Morde auf. Ein bisschen wie der heilkundige Mönch Bruder Cadfael, den Ellis Peters im 12. Jahrhundert Giftmorde aufklären und Adelshäuser retten ließ. Tobias Prüwer L wie LogoEnde der 1920er Jahre wurde in Deutschland über ein einheitliches Zeichen für Apotheken nachgedacht. Bis dahin verwendeten viele das weiße Kreuz auf rotem Grund, aber die Schweiz wollte diese Nutzung einschränken. Es gab einige Entwürfe, wie das Drei-Löffel-Logo, das drei übereinander gesetzte Löffel vor einem Fläschchen zeigt und das bekannte „dreimal täglich“ visualisiert. 1936 gab es einen Designwettbewerb, da die drei Löffel wenig der NS-Ästhetik entsprachen. Der prämierte Vorschlag des Grafikers Paul Weise, ein rotes Fraktur-A mit weißem Kreuz, wurde durch den Reichsapothekenführer verändert und das Kreuz wurde eine germanische Rune. Das rote A erfuhr schnelle Verbreitung, da es kostenlos an alle Apotheken als Schild versandt wurde. Nach dem Krieg wurde die Weiterverwendung heftig diskutiert und schließlich die Rune durch das bekannte Kelch-Schlange-Symbol ersetzt. Der Kelch steht für die giftigen Stoffe, die Schlange verweist als antikes Zeichen auf den Heilgott Äskulap. Susann Massute N wie NotfallSie alle kennen diese Luke mit der typischen Form, eingelassen in eine Glastür. Dahinter eine müde, kitteltragende Person. In der Spitzenzeit des Schnupfens gar selber krank. Jeder stand schon bibbernd, aber nicht wegen der klimatischen Temperatur, vor einer Apotheke, die verpflichtend einen Notdienst anbieten muss. So sind in der Bundesrepublik rund 1.300 Apotheken jede Nacht geöffnet. Für manch einen eine Rettung. Wenn der Durchfall pressiert, die Migräne im Kopf kickt wie ungestüme Kreisligaspieler oder was danebengegangen ist. Das Geschäftsmodell der Apotheke ist nahezu obsolet (→ Alarm), das kann man sehen. Doch bei der Pille danach ist sie Rettung für Frauen. Irgendwann wird aber auch dieser Gang obsolet sein: Dann kommt die Pille per Drohne, denn die wird niemals müde. Jan C. Behmann P wie Pillen-Willy„Da kann ich gleich zum Pillen-Willy gehen“, hat sich als Spruch in der ganzen Familie eingebürgert, und gemeint ist natürlich die Apotheke mit ihren berüchtigten „Apothekenpreisen“ (→ Alarm). Eine „absurd“ teure Tasse Kaffee zum Beispiel, „wo man für das Geld im Laden ja fast ein Pfund Kaffee kriegt!“. Dass in die Tasse neben Bohnen auch Kosten für Personal, Miete, Strom geschüttet wurden, davon konnte der „kosmopolitische Teil“ der Familie inzwischen auch die (Nach-)Kriegsgeneration überzeugen. Indes – den „Pillen-Willy“ gibt es wirklich, er betreibt immer noch die einzige Apotheke im Kurort. Schon die Mutter war Apothekerin. Jahrzehnte stand man gemeinsam hinter dem Tresen. Die gute alte Frau Z., Gott hab sie selig, wurde über 100 Jahre alt. Berühmt war sie für ihre blasierte Art hinter einem großen Brillengestell. Z. hatte eine Monopolstellung, aber das war ja wahrlich kein Grund, so dermaßen unfreundlich zu sein. Der alteingesessene Hausarzt Dr. Neumann war liebenswürdig. Und auch der Pillen-Willy ist ein angenehmer Mensch. Katharina SchmitzR wie Rote FleckenVier Zentimeter in der Armbeuge, und es juckt. Zum Hautarzt? Keine Termine frei. Ob Erkältung, Kopfschmerzen, Durchfall, Apotheken sind oft erste Anlaufpunkte für akute Beschwerden (→ Notfall). Eine Riesenverantwortung für die Apotheker: Ist schnelle ärztliche Hilfe vonnöten oder ist es mit einem rezeptfreien Medikament getan? Wobei detaillierte Beratung, anders als bei Ärzten, nicht vergütet wird. Jede Apotheke hat ein Labor, um Fertigarzneimittel stichprobenartig zu prüfen und Rezepturen – nach Bedarf des Patienten – selber herzustellen. Bei Allergien zum Beispiel. „Privatmischung“ steht dann auf solch einer Körperlotion. Überhaupt ist personalisierte Pharmazie im Kommen. Bei mir war es allerdings nicht so kompliziert. Die spezielle Heilsalbe war vorrätig und hat sofort geholfen. Irmtraud GutschkeT wie TankstelleRezeptpflichtig ist vieles, was die Leute auf Trab hält. Den anderen Treibstoff unserer Kultur, das Benzin, gab es nie auf Rezept – aber früher mal in Apotheken: Petroleum, Benzol, Fleckenwasser, ein Leichtbenzin. Bertha Benz kaufte es 1888 beim Apotheker Willi Ocker auf der berühmten Fahrt von Mannheim nach Pforzheim mit ihres Gatten Motorwagen. Karl Benz hatte das Gefährt mit einem Verbrenner auf Leichtbenzinbasis ausgestattet. Mit solchen Hausmitteln kannte Frau Bertha sich aus. Apotheker und Drogisten verkauften sie flaschenweise – und immer mehr davon. Gastwirte, Hoteliers stiegen in das Geschäft ein, stellten die ersten Tanksäulen für ihre automobilen Gäste auf. In den 1930ern machte der Designer Walter Teague für Texaco aus den kleinen Gas Stations strahlend schöne Supermärkte, die bald alles, auch Medikamente, verkauften. Die Tanken hierzulande würden heute gern diesen Markt bedienen. Die Apotheken verloren das Spritgeschäft schon vor langer Zeit, das Tablettenmonopol wollen sie noch behalten. Michael SuckowZ wie ZoologieEindruck schinden, Neugier stillen – die eigene und jene der Kunden: Historische Apotheken waren voll wundersamer Dinge: Einhörner, Schlangen und Krokodile hingen von der Decke. Kokosnüsse, Mineralien, Tränengefäße und Opfermesser waren in Regalen sortiert. Womöglich begann es mit einem Herbarium als Studienobjekt und weitete sich aus, weil Apotheker:innen über große Korrespondenznetzwerke verfügten. Jedenfalls konnte eine Apotheke zur Sehenswürdigkeit werden und zum Vorläufer eines Museums. Im späten 17. Jahrhundert etwa begann die Leipziger Apothekerfamilie Linck ihre über drei Generationen anwachsende zoologische Sammlung, die weltberühmt wurde, weil sie haufenweise Tierpräparate beherbergte, vom ausgestopften Faultier bis zum Seestern – und dem Horn eines Einhorns. TP