China verbucht fallende Emissionen und will bis 2060 CO₂-neutral sein
Klimakrise Zusammen mit den USA hat sich die Volksrepublik auf eine Weltklimastrategie für Dubai verständigt. Das haben Joe Biden und Xi Jinping in ihrem Sunnyland-Statement formuliert, das in Europa weitgehend unbeachtet blieb
USA-Besuch: Xi Jinpin tritt Joe Biden in Kalifornien
Foto: Imago/Xinhua
Die Präsidenten der USA und Chinas sind nicht persönlich zum Weltklimagipfel gereist. Ist das ein Hinweis darauf, dass sie weder gute Presse noch vorzeigbare Ergebnisse erwarten? Oder versteht man, dass es sich trotz des Medien- und Polit-Tourismus um eine nachgeordnete Veranstaltung handelt, um bereits getroffene Grundentscheidungen zu implementieren?
Während Europa noch rätselt, wie man aus der selbst verschuldeten Denkfalle herauskommt, den Unterschied zwischen Risikomanagement und Feindseligkeit gegenüber China zu entwirren, schaffen die USA längst Fakten: Im Schulterschluss mit der Volksrepublik orchestriert man eine Weltklimastrategie für Dubai. Das betrieben Joe Biden und Xi Jinping sowie deren Emissäre John Kerry und Xie Zhenhua über Mona
2;ber Monate hinweg. Sie haben die gemeinsame Position Anfang November in ihrem Sunnyland-Statement formuliert, das in Europa weitgehend unbeachtet blieb. Umweltgruppen begrüßen die enthaltene Selbstverpflichtung der größten Kohlendioxid-Emittenten. Es ist die Stunde der Administration, nicht die der „großen Linien“.Innovation für KlimaschutzChina begleitet den 28. Weltklimagipfel mit großer medialer Aufmerksamkeit. Man versteht den Aufruf des Gastgebers zum konstruktiven Konsens nicht als Zuweisung von Schuld und Erwartungen an andere Länder, sondern als ein Leitmotiv für das Belt-and-Road-Projekt (BRI), für die Verantwortung gegenüber der eigenen Bevölkerung und der Weltgemeinschaft. Das Land hat in den 1990er-Jahren damit begonnen, die Agenda dieser Verantwortung auszubuchstabieren und als Chance für überfällige Modernisierungen zu begreifen. Dieser Prozess setzte 1978 ein, noch während der Reform-Orientierungsphase, in der das Bedürfnis nach weltbürgerlicher Normalität und Wohlstand, dem die Reformen Deng Xiaopings nachgegeben hatten, in ein politisches Gestalten überging.Ähnlich wie Deutschland begann China zunächst in der Forstwirtschaft auf mehr Nachhaltigkeit zu achten. Sein Waldwirtschaftsgesetz von 1998 sah Maßnahmen vor, um die Ausbeutung der eigenen Baumbestände „schonend und rational“ zu gestalten. Zehn Jahre später folgten erste Gesetze, die ausdrücklich staatliche Nachhaltigkeits- mit Energiepolitik verbanden. Seit dem zwölften Fünfjahrplan baut China das ab 2011 aus. In der laufenden Planungsperiode hat der energiepolitische Umbau erkennbar Priorität. Während Europa für Bilanzierung und Kompensation der sozialen und ökologischen Kosten seiner Industrialisierung zwei Jahrhunderte brauchte, hat China jene Herkulesaufgabe innerhalb einer Generation bewältigt. Auch weil man aus Fehlern gelernt hat, finden wir einander nun auf Augenhöhe wieder.„Innovation für Klimaschutz“, das zählt zu den politisch und wirtschaftlich flankierten Großkampagnen, mit denen die deutsch-chinesische Zusammenarbeit ungebrochen floriert. Die seit über 40 Jahren im Auftrag von sechs Ministerien in China tätige Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) funktioniert trotz schriller Töne aus der deutschen Politik beeindruckend geräuschlos. China versteht die Dekarbonisierung sowohl als Auftrag seiner Zukunftssicherung wie als Investitionsprojekt mit einem Mehrwert, der sich für die Wirtschaft, Forschung und Gesellschaft auszahlt.Als industrieller Spätzünder profitiert das Land zugleich von Nachholeffekten und der gegenläufigen Entwicklung in Europa, wo Kapital und Kompetenzen abwandern, Investitions- in Subventionspolitik umschlägt. Es bieten sich dennoch einzigartige Chancen für eine intelligente Zusammenarbeit, in der beide Seiten arbeitsteilig von den Stärken des jeweils anderen profitieren. Während China diese Dynamik entschlossen nutzt, zögert und hadert Europa – ganz zum Unverständnis derer, für die Eurasien ein Jungbrunnen der globalen Humanisierung werden soll. Dabei dürfte China – als Herausforderung und möglicher Partner – die einzige realistische Hoffnung Europas sein, sich von der „woken“ Benebelung politischer Urteilskraft zu erholen.Irrationale NichtstrategieChinas aktuelle Klimabilanz stellt sich so dar: Nach Angaben der Weltbank hat das Land pro Einwohner im letzten Referenzjahr 2020 etwa 7,8 Tonnen CO₂ emittiert. Nach einem rasanten Anstieg von drei auf sieben Tonnen seit 2003 flacht die Kurve nach 2013 stark ab. Im Vergleich dazu kommen führende Industrieländer von deutlich höheren Ausgangswerten her, die China nie erreicht hat. Australien lag 2020 bei 14,8 Tonnen, Kanada bei 13,6, die USA bei 13,0. In Deutschland sind es 7,3 und in den Vereinigten Arabischen Emiraten, dem COP28-Gastgeber, 20,3 Tonnen pro Einwohner und Jahr.China setzt neben Kohle und Kernkraft zunehmend auf alternative Energieträger und technologische Innovation. Im Unterschied zu Europa sind chinesische Ausgaben in diesem Bereich so strukturiert, dass sie zugleich einen vielfachen volkswirtschaftlichen Mehrwert ergeben, weil sie mit den anstehenden Modernisierungen der Verwaltung, Gesetzgebung und Technologieentwicklung einhergehen.Das US-Institut Climate Policy Initiative (CPI) beziffert die Ausgaben Westeuropas im Jahr 2022 für die Energiewende auf 26 Prozent der weltweiten Gesamtsumme. Das CPI analysiert China nicht im Detail, merkt aber an: „Chinas inländische Klimaschutz-Finanzierung war größer als die aller anderen Länder zusammen und machte 51 Prozent der weltweiten inländischen Investitionen für Klimamaßnahmen aus.“ Daraus ziehen die Chartbook Carbon Notes den Schluss, dass Chinas Beitrag zur Mobilisierung inländischer Ressourcen sein Drittel an den globalen Treibhausgasemissionen übersteigt. Er ist dreimal so hoch wie sein Anteil an den Emissionen und doppelt so hoch wie sein Anteil am globalen Bruttoinlandsprodukt (BIP). Im Ergebnis seien es 2021 bis 2022 „die Investitionen in Europa und China, die die globale Energiewende vorantreiben“.Seit Juli 2021 können Firmen Emissionsrechte innerhalb des Emission Trading Systems (ETS) austauschen. In der chinesischen Selbstdarstellung heißt es zum neuen Instrument des Emissionshandels: „Die größte Herausforderung besteht darin, dass China bereits in einem relativ frühen Stadium der wirtschaftlichen Entwicklung mit der Verringerung der Kohlenstoffemissionen beginnen und die Netto-Null-Emissionen sehr schnell erreichen muss.“ Langfristige Zusagen werden mit kurzfristigeren Zielen und politischen Maßnahmen verknüpft, um die Glaubwürdigkeit der Klimaschutzverpflichtung der Regierung in Peking zu erhöhen und das Vertrauen der Öffentlichkeit zu steigern. Außerdem wird hier ein „politischer Anker“ gesehen, der für die Erwartungen der verschiedenen Wirtschaftsakteure – Unternehmen, Verbraucher und Kommunalverwaltungen – bei ihren Planungen maßgebend ist. Schließlich wird der Fahrplan regelmäßig aktualisiert, um den sich verändernden wirtschaftlichen Realitäten begegnen zu können.Chinas Emissionsrechtehandel funktioniert anders als der EuropasMa Jun, Leiter der nichtstaatlichen Umweltschutzorganisation IPE in Peking, erläutert: „Mit diesem System will die Regierung verdeutlichen, dass China entschiedener als bisher die Kohlendioxid-Emissionen reduziert, nachdem Präsident Xi Jinping angekündigt hat, dass der Ausstoß ab spätestens 2030 zurückgeht und das Land bis 2060 kohlenstoffneutral wird.“ Chinas Emissionsrechtehandel funktioniert anders als der Europas: Man konzentriert sich auf die Emissions-Intensität. Entscheidend ist, wie viel CO₂ pro Kilowattstunde Strom ausgestoßen wird. So belohnt China Effizienzzuwächse der Kraftwerke. Zu erwarten ist – nachdem besonders die Solar-Kapazität um 210 Gigawatt (GW) ausgeweitet und Wind (70 GW), Wasserkraft (sieben GW) und Kernkraft (drei GW) weiter ausgebaut wurden –, dass in der Folge die Emissionen zurückgehen werden. Mit dieser diversifizierten und regional angepassten Strategie entstehen Ökostädte, der Verkehr wird modernisiert und die gesamte Wirtschaft auf das Ziel der Kohlenstoff-Neutralität bis 2060 ausgerichtet.Der internationale Streit, wer denn das alles weltweit bezahlen soll, dreht sich einmal mehr um die Einschätzung, wie man China richtig beschreibt und seinem Entwicklungsstand gerecht wird. Auf den ersten Blick liegt die Ansicht nahe, ein immer stärker werdender Staat müsse sich auch entsprechend engagieren. Doch sorgt China bereits durch die eingeleiteten innenpolitischen Maßnahmen und sein globales Engagement materiell und immateriell dafür, dass die Schäden reduziert werden, wie sie momentan noch die Umwelt beeinträchtigen. Dabei wäre zu beachten, Chinas Status ist bei Weitem noch nicht stabilisiert. Seine Ökonomie kann sich die konjunkturellen Schwankungen des für Europa und Nordamerika bekannten Ausmaßes schwerlich leisten.Tatsächlich haben wir es noch immer mit einem Entwicklungsland zu tun. Gemessen an den Dimensionen der selbst gesetzten Ziele sind die bisherigen Erfolge zwar immens, freilich bisher eher eine grundlegende Etappe für nachhaltig gesicherte Krisenfestigkeit. Was der Bundesrepublik Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg zum „Wirtschaftswunder“ verhalf: ein hoher Basis-Entwicklungsgrad, eine weltweit führende Bildungs- und Wissenschaftskultur, ein etabliertes Nationalbewusstsein, eine massive Unterstützung von außen, vorrangig aus den USA – fast nichts davon stand China in vergleichbarer Weise zur Verfügung, als es vor 45 Jahren vorsichtig marktwirtschaftliche Mechanismen ausprobierte. China hat sich am Münchhausen’schen Schopf selbst aus dem Sumpf gezogen und tastet nach festem Grund.In Dubai geht es um das Kleingedruckte, aber auch um die Fähigkeit zur Realpolitik. Wer sich dieser bislang verschließt durch eine irrationale Nichtstrategie der Verweigerung und Diffamierung gegenüber China als Partner, das ist ein Großteil des institutionellen Europas. Diese Einheitsfront schwindet jedoch allmählich unter dem Druck der Wirklichkeit.
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