Eines muss man ihr lassen: Schlagfertig ist die Frau, zumindest beim Kurznachrichtendienst Twitter. „Wenn ich ihre Posts lese, könnte ich kotzen“, schrieb Twitter-Nutzer „Nordlohner“ über die CDU-Bundestagsabgeordnete Erika Steinbach. Ihr Konter: „Hoffe, dass Sie einen Eimer zur Verfügung haben.“
Die Christdemokratin ist das bizarrste Mitglied der Twitter-Gemeinde im politischen Berlin. Fast 17.000 Botschaften hat sie seit Ende 2011 im Internet abgesetzt. Mehr als 13.000 Menschen empfangen ihre 140-Zeichen-Meldungen und ihre Bilder. Niemand versteht es so gut wie Erika Steinbach, auf diesem Weg zu provozieren. Der jüngste Coup der Erzkonservativen ist ein Tweet über die Flüchtlingspolitik der Bundesregierung: „!!Seit September alles ohne Einverständnis des Bundestags. Wie in einer Diktatur!!“ Oft schon hat sie gegen Bundeskanzlerin Angela Merkel gehetzt. Steinbach fordert seit vielen Jahren eine restriktive Flüchtlingspolitik und geschlossene Grenzen – und das als Sprecherin der Unionsfraktion für Menschenrechte und humanitäre Hilfe. Doch erst dieser Tweet brachte die Parteifreunde in öffentliche Wallung.
Erika Steinbach ist ein politisches Fossil, lange Zeit genoss die Frankfurter Direktkandidatin in der Unionsfraktion politischen Artenschutz. Die 72-Jährige ist ein Überbleibsel des nationalkonservativen Stahlhelm-Flügels um Alfred Dregger, der die Verbrechen der Wehrmacht verharmloste und lange Fraktionschef der Union war. Steinbach wirkt mit ihren oft bonbonfarbenen Kostümen und ihrer blonden Haarsprayfrisur auch als Person wie aus der Zeit gefallen. Energisch stemmt sie sich gegen jede Modernisierung. Ob Abtreibungsrecht, Homo-Ehe, Frauenquote oder Zuwanderung – Steinbach ist verlässlich gegen jeden noch so kleinen Fortschritt und lässt die Welt via Twitter daran teilhaben. „Köln: SPD fordert Homo-Ampeln! Man kann es wirklich auf die Spitze treiben!“, echauffierte sie sich.
Geschickt weiß Steinbach jede Gelegenheit zu nutzen, ihre Botschaften in die Welt zu senden. Nach dem Tod des früheren Bundeskanzlers Helmut Schmidt verschickte sie zum Gedenken einen fremdenfeindlichen Satz von ihm: „Wir können nicht mehr Ausländer verdauen, das gibt Mord und Totschlag.“ Im Februar postete Steinbach ein Bild mit einem blond gelockten, hellhäutigen Kind, umringt von älteren, dunkelhäutigen Menschen. Darüber stand „Deutschland 2030“, darunter: „Woher kommst du denn?“ Damit schaffte sie es sogar in die Tagesschau.
Die „Hohlzwitscherin“
Jetzt reißt den Parteifreunden langsam der Geduldsfaden. Darf Steinbach das Regierungshandeln in der Flüchtlingspolitik mit einer Diktatur vergleichen? Unionsgeschäftsführer Michael Grosse-Brömer hält den Tweet für „inakzeptabel“. In der Fraktion stießen Steinbachs Äußerungen auf Unverständnis, sagt er. Ob die Bundestagsabgeordnete ihr Amt als menschenrechtspolitische Sprecherin behält, lässt er offen. „Das müssen wir mal sehen“, sagt er und ergänzt: „Zurücktreten kann jeder.“ Doch die „Hohlzwitscherin“ (Frankfurter Rundschau) denkt gar nicht daran, zurückzutreten. Sie könnte zwar auch abgewählt werden. Doch dafür müssten sich mindestens zwei Drittel der Unionsabgeordneten gegen sie stellen. Daher gilt es als unwahrscheinlich, dass die Fraktionsführung einen Antrag gegen „die größte Krawallnudel der deutschen Politik“ (Spiegel) wagen wird.
Ursprünglich gehörte sie, sagt Steinbach heute über sich, „wohl zu den unpolitischsten Wesen dieser Republik“. Sie las lieber Goethe und Kleist als politische Kommentare. Ihren Beruf als Violinistin musste sie aufgeben, weil der kleine Finger ihrer linken Hand steif wurde. Anschließend wurde sie Diplomverwaltungswirtin. Doch dann stand sie in der Frankfurter Innenstadt immer wieder im Stau. Angeblich wegen der „Straßentyrannei“ der 68er und ihrer Nachfolger. Steinbach trat 1974 in die CDU ein – wegen des Ex-NSDAP-Mitglieds Alfred Dregger, den sie auch heute noch einen „Leuchtturm“ in der hessischen Landespolitik nennt. 13 Jahre war sie in Frankfurt Stadtverordnete, bevor sie 1990 in den Bundestag gewählt wurde.
Bei der nächsten Bundestagswahl 2017 wird die Seniorin nicht noch einmal antreten, wie sie im vergangenen Sommer bekannt gab. Nur mit Mühe hatte sie sich bei der Kandidatenkür 2013 durchsetzen können. Erika Steinbach ist in politischer Altersteilzeit. Das Amt, das die „rechte Flügelstürmerin“ (taz) bundesweit bekannt machte, hat sie bereits 2014 aufgegeben. Seit 1998 war sie Vorsitzende des Bundes der Vertriebenen , der nach dem Zweiten Weltkrieg von Alt-Nazis gegründet worden war. Als Obervertriebene setzte Steinbach das umstrittene „Zentrum gegen Vertreibungen“ durch. Die dazugehörende Stiftung macht heute vor allem durch interne Querelen von sich reden. Den Vorstandsposten des Vertriebenenverbandes hat Steinbach an den offen schwulen CSU-Politiker Bernd Fabritius abgegeben.
Steinbach selbst ist Gesinnungsvertriebene. Sie ist 1943 im sogenannten Reichsgau Danzig-Westpreußen geboren. Der aus Hameln stammende Vater war dort als Besatzungssoldat, die aus Bremen kommende Mutter Luftwaffenhelferin. Der Vater kam in sowjetische Kriegsgefangenschaft, die Mutter floh mit ihren beiden Töchtern in den Westen. Dort erlebte Erika Steinbach als Flüchtlingskind Missachtung, Demütigung und bittere Not. Und das ist das Abstoßende an dieser Frau, die Eichendorff-Gedichte, Schumann-Lieder und Bach-Kantaten liebt: Sie zeigt keinerlei Mitgefühl mit den heutigen Flüchtlingen.
Sie solle doch zur AfD gehen, rufen ihr Kritiker zu. Aber für die Kalte Kriegerin Steinbach ist die AfD keine Option. Die neuen Rechtspopulisten setzen auf Russland. Steinbach wird ihren Lebensabend daher wohl politisch heimatlos verbringen.
Kommentare 13
Sorry – aber mehr als von links aufgeschäumter Latte macchiato ist das nicht. Jeder weiß, dass Steinbach im rechtskonservativen Lager einer der letzten Dinosaurier ist. Ebenso weiß jeder ernsthafte, politisch denkende Mensch, dass Twitter nicht wirklich für voll zu nehmen ist. Eine Nachricht sind sogenannte Twitter-Tweeds wohl vor allem für diejenigen, die Twitter zur Förderung ihrer beruflich-politischen Karriere nutzen – also zur Imagepflege.
Wie nannte man das früher? Selbstreferenzialität. Selbstreferenziell sind sicher die Kurzmitteilungen von Erika Steinbach. Ebenso selbstreferenziell sind allerdings die Tweeds ihrer Gegner. So letztlich auch dieser Beitrag, der sich selbstreferenziell auf selbstreferenzielles Getwittere bezieht. Und versucht, dieses so lange aufzuschäumen, bis daraus eine Nachricht entsteht.
Eventuell, nicht auszuschließen, mit dem Hintergedanken, dass diese sich wieder in neue, selbstreferenzielle Twitter-Tweeds umsetzen lässt.
Frage: Gibt es keine anderen Probleme?
2 anmerkungen(rügen):
-"gesinnungsvertriebene" ist wohl aus einem wort-"schatz", den man sich nicht zu eigen machen sollte.
-das "abstoßende"(meint wohl: kaum nachvollziehbare):
sie zeigt keinerlei mitgefühl mit den heutigen flüchtlingen.
hat sie sich gegen mitgefühl aus-gesprochen? hätte sie ihr mögliches mitgefühl öffentlich aussprechen müssen?
ja, das öffentliche bekennen von mitgefühl ist tatsächlich die voraussetzung/bedingung geworden für die teilnahme am moralisierenden diskurs.
wie ging es ihnen damit, wenn sie brutalo-beiträgerin genannt würden?
Auch die Dummheit wurde vom Herrn gegeben.... Sie ist nicht böse. DerGebrauch der Dummheit kann Böses bewirken.....
Interessant zu wissen, wem die CDU so alles Heimat und Stimme gibt!
"Die Kommentare anderer Leute:teils Verschwörer der übelsten Sorte,teils dumpfbackige, hirnlose Beuteeiner versponnenen, verbohrten Kohorte."
In seinem Song "Der Tastatur-Revoluzzer" hat Sigismund Ruestig das hemmungslose Posten und Kommentieren in den digitalen Medien - wie derzeit speziell bei Flüchtlingsthemen anschaulich in vielen Communities dokumentiert - aufs Korn genommen:
http://youtu.be/sBom50KrkBk
Viel Spaß beim Anhören.
Bleibt die Frage ob man Erika Steinbach wirklich so einen breite Plattform geben sollte. Ja sie ist wohl ein Relikt aus einer dunkleren Zeit, aber ohne die ständige mediale Wiederkäuerei wäre ihre Relevanz für aktuelle gesellschaftliche Debatten gleich Null.
Es ist doch immer wieder beobachtenswert, wie einstmals hochbeachtete Personen, als sie noch so richtig in die Hetze gegen die damalige Rote Armee, Flucht und Vertreibung in folge eines von D entfesselten Krieges in Stellung gebracht und für die Rückeroberung der verlorenen Gebiete gebraucht wurde. Das Leittier ist alt, hat seine Aufgabe gut gemacht und ist nun zum Abschuß aus allen Richtungen freigegeben. Auch das ist Hass!
"Interessant zu wissen, wem die CDU so alles Heimat und Stimme gibt!"
Das, so meine ich, ist die entscheidende Diagnose. Sie schmeichelt nicht der CDU/CSU!
Was Steinbach "als Sprecherin der Unionsfraktion für Menschenrechte und humanitäre Hilfe." von sich gibt, zeigt ihr mangelhaftes Leseverständnis. Wenn das noch kein Journalist bemerkt hat, sollte das künftig zu beachten sein. Was Helmut Schmidt sagte, war zur damaligen Zeit und ausdrücklich auf "Ausländer", nicht auf existenziell vertriebene Mitmenschen gerichtet! Er sprach über einen völlig anderen Sachverhalt.
<„Wir "können nicht mehr Ausländer verdauen, das gibt Mord und Totschlag.“>
Eine derart dumpfe Haltung wäre unter seinem intellektuellen und menschlichen Niveau gewesen. Was benötigt der Mensch, um es fertigzubringen, die vertriebenen Menschen "wieder" in irgend eine Hölle zurückzutreiben?
Fuer mich waeren existenziell vertriebene Menschen das auf der Müllkippe in Manila geborene Kind, die Kinder der verbrannten Textilarbeiterinnen aus Bangladesch oder die Bäuerin in Äthiopien, die nicht weiß ob sie nach einem Tagesmarsch zum Brunnen mit Wasser zurück kommt. Nicht existenziell Betroffene sind die, die fuer Schlepper tausende Dollar zahlen und mit Viktoryzeichen aus sicheren Ländern und Unterkünften zu uns kommen.
Ihre Logik verstehe ich nicht. Sie benennen die Menschen, die die schwächsten, hilflosesten und mittellosesten sind. Und glauben im Ernst, dass die Bessergestellten sich aus relativ guten Verhältnissen auf diesen Höllentrip der Flucht machen, weshalb, wenn es ihnen gut geht?
Logisch ist, dass jene, die sich gut standen ggf. rechtzeitig ihr Vermögen und sich in Sicherheit brachten, und zwar auf normalen Reisewegen der Finanzen und Personen! Diese werden Sie auch nicht in den Flüchtlingslagern finden. Auch nicht die, die sich in den jeweiligen Ländern wohlhabend einrichteten und diese Verbindungen u. Bedingungen weiterhin nutzen und abwarten.
Warum sollten diese denn Schlepper bezahlen, für eine Höllenfahrt, wenn sie selbst eine Yacht haben und wofür ihr Leben und das ihrer Familie auf's Spiel setzen?
Diese Logik möchte ich gerne verstehen.
Ich hoffe doch sehr in 10 Jahren, dass sich "Flüchtlinge", dann mit einer guten Ausbildung, um Frau Steinbach im Altenheim kümmern werden.
Das schaffen wir
Für die Sorte mit Victory - Zeichen gibt es das Stichwort "predatory immigration ."
Ob Erika Steinbachs "Freunde in der Union" von ihr wirklich gestört sind (wie im Untertitel behauptet)? Den Beweis tritt Anja Krüger nicht an. Vielmehr malt sie in ihrem Artikel das Bild einer liberalen CDU, das so schon immer falsch war!
Zum einen war und ist der rechte Flügel der CDU sehr mächtig. (Er besteht nicht nur aus ein paar "Stahlhelmern" und Wehrmachts-Soldaten, die aus Dreggers Zeit noch übrig geblieben seien...) Die NSU und ihre Unterstützung durch den Staat lassen grüßen! Dieser Flügel war bisher stets klug genug, in die zweite Reihe zurückzutreten, wenn z. B. zu Wahlen wieder ein liberales Bild der CDU benötigt wird. Jedoch eröffnet der Niedergang der SPD und das Aufkommen der AfD diesem Flügel neue Möglichkeiten, die Steinbach auch sofort begrüßte.
Wenn die aktuelle Personalie der "Brutalo-Twitterin" nur ein Altershobby wäre, wie Anja Krüger unterstellt, dann hätte die CDU sie von dem Posten längst entfernt - oder?! Da die Union sie weiter als ihre Sprecherin für Menschenrechte auftreten lässt, wären zwei Thesen aufzustellen: Welche der beiden Thesen stimmt?
1. Die Bedeutung der Menschenrechte ist für die CDU so drittrangig geworden, dass sich außer als Altershobby keine CDU-Prominenz mehr für einen solchen Posten findet. Auch der liberale Flügel will wegen der Menschenrechte nicht das innerparteiliche Machtgefüge neu aushandeln.
2. Seit dem Fall der Mauer hält die CDU jeglichen Anschein, dass die Menschenrechte für alle gälten, für überflüssig, denn Erika Steinbach vertritt die Menschenrechte rein taktisch (ähnlich wie z. B. auch Gauck): Wenn sie mir gegen "Kommunisten" nutzen, setze ich mich für Menschenrechte ein. Wenn sie meinen "eigenen Leuten" schaden, weil diese dagegen verstoßen, schweige ich. So hat es die CDU z. B. zu Nicaragua und Südamerika oft praktiziert. Blüm war die Ausnahme!