Nach einer heftigen Zeitungsdebatte waren die Proteste am roten Teppich vor dem Nationaltheater in Oslo via Facebook organisiert. Der Streit hatte sich schnell darin verbissen, ob der Ibsen-Preis – mit 2,5 Millionen Kronen oder rund 300.000 Euro der höchstdotierte Theaterpreis der Welt – an Handke gehen dürfe. Viele meinten nein und verwiesen reflexartig auf Handkes Haltung zu Serbien und Milošević. Eine differenzierte Diskussion war damit eigentlich nicht mehr möglich und das Ganze erinnerte an das Fiasko um den Heinrich-Heine-Preis 2006, den eine Jury im Auftrag des Düsseldorfer Stadtrats Handke zugesprochen hatte, was der Auftraggeber dann aber ignorierte. In Oslo hat freilich niemand seitens des Kulturministeriums in die Entscheidung der international besetzten Jury eingreifen wollen.
Gestritten wurde trotzdem, was Karl Ove Knausgaard, der im Moment meistdiskutierte Schriftsteller in Norwegen und im Nebenberuf Handke-Verleger, in einem langen Aufsatz als Absurdität zusammenfasste: Um Literatur ginge es dabei am wenigsten. Eher um die Maßstäbe von Menschenrechtsorganisationen, die obendrein nicht auf dem neuesten Stand sind. Denn eine Neubewertung der Jugoslawien-Kriege, die Handke in einem halben Dutzend Büchern aus seiner Sicht begleitete, gibt es in Norwegen bislang ebenso wenig wie ein Verständnis dafür, dass sich ein Großteil der Handke-Debatte damals in Deutschland und Frankreich auf die Mechanismen der Medien selbst lenkte.
Andere waren wohl besorgt, dass der erst zum fünften Mal vergebene Ibsen-Preis als eine Art Theater-Nobelpreis Schaden nehmen könnte. Zuletzt erhielt ihn Heiner Goebbels und davor der Norweger Jon Fosse, der wie Handke mit seinen Stücken neue Formen der Bühne erschließt.
Die knapp hundert Protestler beschimpften Handke am Sonntag vor dem Theater als „Faschist“ und „Nazi“, was deutlich von dem Grad der Fanatisierung zeugt, den zumindest diese Gruppe aus zumeist bosnischen Flüchtlingen und Einwanderern ergriffen hat. Ein Plakat zeigte den Schriftsteller mit Hakenkreuz auf einem Bleistift. Mit Bodyguards und der Jury im Gefolge betrat Handke dann das Theater, wo er in seiner improvisierten Dankrede kurz auch den entfesselten Protest als Missbrauch demokratischer Umgangsformen ansprach.
Das härteste Urteil
Vorbereitet hatte er indes Zitate des Sufi-Philosophen Ibn Arabi, in denen es um die Hoffnung auf Frieden geht – deutlich als Geste zu verstehen, dass der Dichter an einem Wiederaufflammen der Serbien-Debatte kein Interesse hat. Einen Teil des Preisgelds wird er für ein Schwimmbads in der serbischen Enklave Velika Hoca weiterreichen, erklärte er nach der Vorstellung von Immer noch Sturm. Die schließlich auch in Oslo gefeierte Inszenierung von Dimiter Gotscheff ist bestens geeignet, Handkes Herkunftsgeschichte im Kontext von Jugoslawien und dessen Zerfall zu verstehen – wenn man denn will.
Am Montag in Ibsens Geburtsort Skien trat Handke dann mit heiterer Gelassenheit und seiner eigentlichen Ibsen-Rede auf in einer kleinen Konferenz ihm zu Ehren. Im Kern zitierte er Ibsens Wort von Dichtung als Gerichtstag halten über sich selbst – mit dem härtesten Urteil, das der Norweger in seinen Dramen verhängt: der Vernichtung. Bei ihm ginge es in vielen Werken im Gegenteil um einen Freispruch, der ein Weiterschaffen ermöglicht. Im Gespräch mit Claus Peymann, der zehn von zwanzig Bühnenwerken Handkes zur Uraufführung brachte, sollte er sich erinnern, wie er zum Theater kam. Suhrkamp-Chef Siegfried Unseld habe ihm nach seinem Prosadebüt geraten, fürs Theater zu schreiben, denn sonst würde er nicht genug Geld verdienen. 1966 kam die Publikumsbeschimpfung in Frankfurt am Main heraus, ein Meilenstein der Theatergeschichte, dem Handke bis heute immer wieder Herausforderungen des Theaters folgen ließ. Gleichwohl sieht er sich nicht als Dramatiker, staunte das norwegische Publikum. Seine Rede begann Handke im Sitzen mit dem Hinweis, er habe nicht vor, eine Rede zu halten, sondern eine „Phantasie“ vorzutragen. Echt Handke, die Verteidigung der Poesie an Ibsens Heimstatt.
Kommentare 8
Peter Handke hätte das Geld nehmen sollen- demonstrativ!!
Was macht denn das Wörtchen Eklat da am Anfang? Davon kann doch wohl nicht die Rede sein, denn schließlich ist Peter Handke ja nicht wutentbrannt auf die Demonstranten losgegangen wie einst Helmut Kohl, sondern hat seinen Preis entgegengenommen, seine Meinung gesagt und gut is'. Ob er den Ibsen-Preis nun aber verdient hat oder nicht, hängt allerdings auch nicht von Handkes politischen Ansichten ab, sondern ausschließlich von der Qualität seiner Theaterstücke, auch wenn ich es grundsätzlich nachvollziehen kann, daß Bosnier sich einen Adressaten für ihre Wut suchen. Allerdings ist eine Demonstration ein grobes Mittel und sicher nicht geeignet, um miteinander über Politisches zu kommunizieren, wenn das denn überhaupt jemand wollte. Ich denke, es bleibt dabei, daß man Künstler allein für ihr Werke feiern sollte, wenn diese das qualitativ hergeben – oder käme jemand auf die Idee, Knut Hamsun nicht zu lesen, weil der Hitler-Verehrer war oder Halldór Laxness zu meiden, weil er Kommunist gewesen ist? Wohl kaum!
Zitat:
"...oder käme jemand auf die Idee, Knut Hamsun nicht zu lesen, weil der Hitler-Verehrer war oder Halldór Laxness zu meiden, weil er Kommunist gewesen ist?"
-> Aber sicher. So läuft es in der Welt. Deswegen gibt es auch keine Hoffnung auf sowas, wie Versöhnung. Jedenfalls nicht ohne Schaden an der Persönlichkeit des Einzelnen.
Ich verstehe nicht ganz, warum Sie der Ansicht sind, es gäbe deswegen keine Versöhnung – was ich jedenfalls damit sagen wollte ist, daß das Werk eines Künstlers für sich steht und, wenn es höchste Qualität hat, etwas dezidiert Eigenständiges besitzt, über die sozusagen leibliche Existenz ihres Schöpfers hinaus.
Was Peter Handkes politische Ansichten angeht: soweit ich Handke verstanden habe, sieht er die Versöhnung grad deswegen gefährdet, weil in der Politik in bezug auf den Balkan sehr oft ein Schwarz-Weiß/Gut-Böse-Denken vorherrscht, das immer nur zu weiterer Aggressivität führt und eben nicht zu Gesprächen, zu einer Versöhnung und Aufklärung der Taten. Wir kennen das aus der Nachkriegszeit mit diesem fürchterlichen Blödsinn von der These der deutschen Kollektivschuld, hinter der sich die Täter prima kollektiv verstecken (und weitermachen) konnten und mit der Unschuldige und Widerständler gleich noch mal gedemütigt wurden.
Ja und?
Angesichts deiner Erklärung hätte auch ein ""ja, du hast recht" gereicht.
Oder hast du nicht mal gemerkt, dass du mir in deinem Antwortkommentar in der Sache zugestimmt hast?
In solchen Szenen zweifle ich an der Menschheit. Und wollte lieber ein Alien sein - in irgendeiner fernen Galaxie.
Ein bißchen deutlicher und ausführlicher hätte Ihr erster Kommentar schon ausfallen müssen, finde ich, denn aus kryptischen Sätzen läßt sich immer, zumindest wenn sie nur schriftlich vorliegen und nicht mit Mimik, Gestik und Tonfall verbunden sind, allerhand Unterschiedliches heraulesen. Aber jetzt ist ja alles klar!
Handke ist zu Recht Preisträger und hat Recht: Wo es keine Versöhnung gibt, wo demokratische Umgangsformen missbraucht werden, ist Phantasie für das Weiterleben nötig.
Peter Handke ist das Beispiel par excellence für Mobbing & Bashing, wenn Mensch sich nicht verführen lässt zum Hass & zur Hetze, Empathie & Verstand nicht irregeleitet werden auf seelenlosen, propagandistischen Spuren der Kriegstreiber. Für diesen Mut allein erweist sich Handke einer Auszeichnung würdig _ wie Knausgaard vorschlägt, verdient er gar den Nobelpreis.
Der norwegische PEN-Chef William Nygaard zog nach der Verleihung seine nicht fundierten Aussagen über Handke zurück. Immerhin…