Kunst und Kolonialismus: Das Ideal des weißen Mannes
Ausstellung Die Royal Academy in London ist nicht das erste Museum, das sich seiner Kolonialgeschichte stellt. So fesselnd und überzeugend wie hier gelang es noch nie
Lubaina Himids „Naming the Money“ (2004): Hier kommt man nicht daran vorbei, auch die Rückseite ihrer Figuren zu beachten
Foto: Guy Bell/Alamy
Schon der erste Raum ist frappierend: In einer abgedunkelten Rotunde werden prunkvolle Gemälde aus dem 18. Jahrhundert angestrahlt. Ignatius Sancho, Schauspieler, Autor, Komponist und der erste Mann afrikanischer Herkunft, der in Großbritannien wählen durfte, wurde von Thomas Gainsborough in Bath porträtiert. Francis Barber, Diener und später Erbe des Universalgelehrten Samuel Johnson, saß dem Maler Joshua Reynolds in dessen Atelier am Leicester Square Modell.
Alle Porträtierten auf diesen Gemälden sind Schwarz (darunter auch Kerry James Marshalls zeitgenössische Vorstellung des versklavten afroamerikanischen Künstlers Scipio Moorhead, über den nur wenig durch ein flüchtiges Lob in einem Gedicht von 1773 überliefert ist). In d
ist). In der Royal Academy gab es das noch nie. Und so ist die Rotunde der ideale Auftakt für diese dramatische, fesselnde und radikale Ausstellung, die das Museum und seine 256-jährige Geschichte auseinandernimmt. Ihr Ziel ist es, so die Kuratorinnen, zu untersuchen, welche grundlegenden Auswirkungen der Kolonialismus auf die Royal Academy und ihre Geschichte hatte, und gleichzeitig die Erfahrungen Schwarzer und Brauner Menschen in diesen Jahrhunderten abzubilden. Und so hängen nun William Turners Gemälde von tosenden Ozeanen, in denen so viele bei grausamen Sklaventransporten umkamen, neben Ellen Gallaghers nur scheinbar abstrakten Bildern, auf denen sich winzige Details als Gliedmaßen und Gesichter Ertrinkender herausstellen.So schockierend wie klug ist die Auswahl historischer Werke. Da ist etwa Johann Zoffanys Porträt der Familie Young von 1769. Sir William – Gouverneur von Tobago und Sklavenhalter – thront im Mittelpunkt am Cello, und neben dem blondesten, hellhäutigsten Young-Spross, der engelsgleich gen Himmel blickt, hat der Maler einen jungen Sklaven platziert, um einen infamen Kontrast zu erzeugen. Und bevor jemand auf die Idee kommt, Sir Joshua Reynolds, der erste Direktor der Royal Academy, sei ein uneingeschränkter Gegner der Sklaverei gewesen, sollte man sich sein Porträt von George IV. als Thronfolger ansehen, dessen Seidengewänder von einem Schwarzen Bediensteten zurechtgerückt werden, dessen Gesicht, wie könnte es anders sein, nicht erkennbar ist.Etwas später stoßen wir in einer historischen Vitrine auf einen Malkasten aus Mahagoni, wie ihn sowohl Reynolds als auch Turner benutzten. Tatsächlich handelt es sich um ein bissiges Modell von Keith Piper, Gründungsmitglied der BLK Art Group in den 1980ern. Jeder Farbtopf ist sehr präzise – wie für einen britischen Sklavenaufseher – mit der Schattierung eines Hauttons gekennzeichnet.Was die Ausstellung so packend und intelligent macht, ist, dass die Kunst selbst die ihr zugrunde liegenden Überlegungen zum Ausdruck bringt, anstatt mit instruktiven Wandtexten zu erschlagen. Es gab eine Reihe solcher Selbstbefragungen in jüngster Zeit, etwa die neue Hängung in der Tate Britain im Licht ihrer Kolonialgeschichte. Nichts dort reichte an die erschütternde Direktheit heran, die das Zusammenspiel von Werken der Royal Academy erzeugt, die dem Weiß-Sein huldigen. Das Thema selbst ist vielschichtig und reicht von Darstellungen der Baumwollfelder, auf denen versklavte Menschen zum Teil schon als Sechsjährige arbeiteten, bis zu Gemälden wie William Mulreadys The Toy Seller (1863), auf dem ein Schwarzer Mann ein verängstigtes weißes Kleinkind schief anblickt. Sofort schaut man auch mit anderen Augen auf das gigantische Baumwolltischtuch, an dem die Mitglieder der Auswahlkommission der Royal Academy auf Frederick William Elwells Porträt von 1938 zum Speisen Platz genommen haben. Oder auf Frank Dicksees abstoßendes Bild Startled von 1892, auf dem zwei nackte hellhäutige, rothaarige Mädchen versuchen, sich mit weißen Leintüchern vor lüsternen Blicken zu schützen. Dicksee, der später Direktor der Royal Academy wurde, lehrte seine Studenten: „Unser Schönheitsideal muss das des weißen Mannes sein.“Ihm gegenüber hängt auf einer Leine ein makelloses weißes Leintuch. Darunter ist ein Bügeleisen an ein Bügelbrett gekettet – seine Form erinnert plötzlich an die grafischen Darstellungen von Sklavenschiffen. Diese Installation der fast 100-jährigen Künstlerin Betye Saar ist rein formal so konzis, dass einem das KKK-Monogramm auf dem Leintuch beinahe entgeht.Lubaina Himids bunte, lebensgroße Scherenschnitte versklavter Afrikaner, die, nach Bristol verschleppt, im 18. Jahrhundert gezwungen waren, als Hundetrainer, Tänzer oder Spielzeugmacher zu arbeiten, sind über zwei Räume verteilt, sodass neben der Lebensfreude, die sie ausstrahlen, endlich auch Verweise auf ihre tragischen Schicksale auf ihrer Rückseite sichtbar sind.Womit wir wieder bei einer Frage wären, die fast unmerklich am Beginn der Ausstellung steht. Denn Dorothy Price und ihre Ko-Kuratorinnen zeigen Kerry James Marshalls imaginäres Porträt von Scipio Moorhead nicht allein wegen seiner künstlerischen Qualität. Wer von uns hat von diesem verschollenen Maler schon gehört? Wer weiß wirklich, wer Francis Barber war, den Joshua Reynolds porträtierte? Geht man aufmerksam durch diese Ausstellung, dann erlebt man, wie Kunst die Geschichte auf den Prüfstand stellen kann: Wer missachtete die Menschlichkeit, die Identität all dieser längst verloren Geglaubten?Placeholder infobox-1Placeholder authorbio-1
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