„Malina“ von Ingeborg Bachmann am Berliner Ensemble: Im Patriarchat nur das Schlimmste
Bühne Die Bühne ist Wohnung und Gedankenwelt zugleich: Fritzi Wartenberg bringt Ingeborg Bachmanns Roman „Malina“ am Berliner Ensemble als psychologische Implosion auf die Bühne – mit drei grandiosen Schauspielerinnen
Rauchen, Lieben, Schreiben: Maeve Metelka, Josefin Platt und Constanze Becker als „Ivan, Malina und Ich“ am Berliner Ensemble
Foto: Jörg Brüggemann
Während die letzten drei Zuschauer:innen noch ins Neue Haus des Berliner Ensembles kommen, steht Maeve Metelka schon auf der Bühne. Sie schreibt an die graugrüne Wand vor ihr, während minimalistische elektronische Musik mit drei Tönen treibend spielt. Sie schreibt schnell, hektisch, immer wieder muss sie die Hand ausschütteln. Dazu kommt Constanze Becker in einem ähnlichen grün karierten Kostüm, Bluse und Rock, schwarze Strümpfe, schwarze Schuhe, eine schwarz gerahmte Brille. Sie sehen einander kurz an, auch sie beginnt zu schreiben. Als Dritte tritt Josefin Platt auf, das gleiche Kostüm als ein Kleid tragend. Das namenlose weibliche Ich aus Ingeborg Bachmanns Roman Malina von 1971 ist in der Fassung und Inszenierung von Fritzi Wartenb
Roman Malina von 1971 ist in der Fassung und Inszenierung von Fritzi Wartenberg dreigeteilt.Sie alle sind die drei Hauptfiguren des Romans: „Ivan, Malina und Ich“ oder, wie sie korrigieren, „Malina, Ivan und Ich“, die in der kleinen isolierten Welt des Ichs leben: in der Ungargasse in Wien. Das Ich, mit dem Schreiben von Briefen, die es nicht abschickt, und vor allem sich selbst beschäftigt, ihr Geliebter Ivan, mit seinen Kindern und der Außenwelt beschäftigt, und Malina, ihr Mitbewohner und männliches Alter Ego mit dem sortierten Leben.Bachmann verstand „Malina“ auch als AutobiografieIn diesem „Ungargassenland“, wie es im Roman heißt, gibt es kein außen. Wartenberg zieht die Konsequenz und lässt die Handlung durch die Besetzung der drei Frauen gänzlich intern werden. Die Bühne ist ein Innenraum, mittig ein Spiegel, ein Tisch, ein Stuhl, Schachfiguren, ein Transistorradio, ein Telefon, gleichzeitig Wohnung und Gedankenwelt des Ichs.Die Besetzung durch drei Frauen unterschiedlichen Alters geht auf. Sie ergänzen und korrigieren einander, wissen mehr als die andere. Die verschiedenen Alter greifen auch die Behauptung Bachmanns auf, mit Malina eine Autobiografie geschrieben zu haben, eine „geistige, imaginäre“ allerdings, als „Nachtexistenz“.Entstanden ist eine Doppelbewegung des Enthüllens und Verrätselns. Ivan und Malina konstellieren sich mit dem unbenannten Ich zu einem Dreieck, werden Projektionsflächen, psychologische Funktionen des Ichs. Wie Ich, Es und Über-Ich kreisen die drei umeinander. Bachmanns Roman hat drei Teile, drei Männer richten das weibliche Ich zugrunde (der Vater ist der „dritte Mann“, wie auch das zweite Kapitel des Textes mit albtraumhaften Sequenzen der Vernichtung überschrieben ist). Auch an das ödipale Dreieck in seiner Fatalität kann man denken. Rechnen darf man bei Bachmann bekanntermaßen nur mit dem Schlimmsten, und so entfaltet sich hier ein Psychogramm einer Pathologie des Wahnsinns, der zunehmend den Alltag bestimmt.Nähe und VernichtungDie drei Ichs sind zunächst noch in ihren Rollen unterscheidbar: Constanze Becker spielt das Ich überdreht und neurotisch, fast schon komödiantisch, Maeve Metelka spielt Ivan in einem grünen Ledermantel, in dem sich die Gesichter der Kinder verstecken (Kostüme: Elena Scheicher), brutal, hart und unempathisch. Josefin Platt legt Malina ebenso ruhig wie wissend und geheimnisvoll an. Zunehmend verwischen jedoch die Grenzen, die Vernichtung in der Auflösung nimmt ihren Lauf.Die drei Schauspielerinnen sind großartig, die Dreieckskonstellation überträgt die im Text immanenten Missverständnisse, Verbindungen und Geheimnisse. Wann immer es an diesem Abend körperliche Annäherung gibt, ist sie immer gleichzeitig zärtlich und gefährlich.Die durchaus szenischen Elemente des Romans – die dreimal neu diktierten Briefe, die ewigen Schachpartien und die abgebrochenen Telefonate – werden Spielanlässe, auch mittels eines riesigen Telefonhörers (Bühne: Janina Kuhlmann). Über die Telefonate, die eine Verbindung zur Außenwelt sein könnten, aber hier durch die Setzung der psychologischen Lesart ebenso scheitern, klammert sich das Ich an Ivan – Abhängigkeit, nicht Liebe. Aus der Beziehung zu Ivan, in der kein „Wir“ möglich ist, wird die Auflösung des Ichs in der Beziehung zu Malina.Lieben, Rauchen, Schreiben: Alles Todesarten im PatriarchatDie Situation des weiblichen Ichs ist prekär und existenziell bedroht, durch männliche Vernichtung ebenso wie durch Nähe; in Malina wird es ausgelöscht werden. Auf der Bühne ist im Radio von einem Femizid die Rede (derer es in Österreich seit Jahresbeginn bereits sieben gab), und doch reduziert die Lesart den Text nicht auf seine emanzipatorischen Aspekte. Sie lässt ihn in seiner Mehrdeutigkeit stehen, lässt ihn leben und seine besondere Sprache wirken. Die Inszenierung bewegt sich nah am Text und bietet letztlich seine konsequente psychologische Deutung an als ein existenzielles Ringen um eine Identität, das scheitern muss. Das Primat dieses wunderbaren Textes tut ihm gut, lässt einzig ein wenig szenische Bilder vermissen.Mit „Todesarten“ war der Roman überschrieben, dem zwei weitere folgen sollten, was der frühe Tod Bachmanns 1973 verhinderte. Die Inszenierung macht klar: Lieben, Rauchen und Schreiben, die Sprache: alles Todesarten im Patriarchat.Übrig vom weiblichen Ich bleiben nur zunehmend verzweifelte Briefe, die es mit „eine Unbekannte“ unterschreibt, so wie von Ingeborg Bachmann nur „letzte Dinge“ (der dritte Teil des Romans) übrig geblieben sind: Briefe, eine Schachtel Nil blau – und Zuschreibungen, gegen deren Vereindeutigungen sie zu kämpfen versuchte.
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