Mehr als Klimakrise: Für einen ökologischen Realismus
Earth Overshoot Day Die Politik tut so, als gäbe es nur den Klimawandel. Damit macht sie einen großen Fehler: Wollen wir unsere Lebensgrundlagen erhalten, müssen wir sämtliche Ressourcen betrachten, nicht nur das Klima
Zu wenig Sauerstoff: Im Golf von Mexiko breitet sich eine „Todeszone“ aus
Foto: Hector Guerrero/AFP/Getty Images
Der Begriff „nachhaltiges Wirtschaften“ wurde in der Forstwirtschaft geprägt. Nachhaltig bewirtschaftet wird ein Wald, wenn man ihm nicht mehr Holz entnimmt als natürlich nachwächst. Entnimmt man mehr, so verschwindet der Wald nach einiger Zeit, was bleibt, ist ein Grundstück ohne Bäume.
Seit Langem wissen wir, dass die Menschheit mehr Ressourcen verbraucht, als die Erde liefern kann. Wenn wir feststellen, dass der „ökologische Fußabdruck“ der Menschheit größer sei als eins, oder wenn gesagt wird, die Menschheit bräuchte mehr als eine Erde, um weiter so leben zu können, so meint das dasselbe. Das führt zur Frage: Wann denn werden die Ressourcen dieser Erde verbraucht sein? Zwar wird viel vom Klima geredet, a
geredet, aber die Frage, wann die irdischen Ressourcen verbraucht sein werden, wird nicht gestellt. Und vor allem: Was erwartet uns, wenn die Ressourcen der Erde zur Neige gehen?Wann die Ressourcen verbraucht sein werden, lässt sich hingegen ganz gut abschätzen. Am 2. August haben wir den „Earth Overshoot Day“ erlebt. Den Tag also, an dem die Menschheit alle natürlichen Ressourcen verbraucht hat, die die Erde fürs ganze Jahr zur Verfügung stellt. Der Tag verschiebt sich immer weiter nach vorne: 1970 lag er noch Ende Dezember. Sein kleiner Bruder, der „German Overshoot Day“, liegt sogar deutlich früher, dieses Jahr war es der 24. Mai. Wie alle Industrienationen verbraucht auch Deutschland mehr Ressourcen dieser Erde als alle Menschen im Durchschnitt. Trägt man die „Earth Overshoot Days“ in die Tabelle ein, so folgen sie einer geraden Linie (siehe Abbildung). Sie erreicht den 1. Januar, den Zeitpunkt, an dem alle Ressourcen verbraucht sein werden, nicht in Jahrhunderten, sondern bereits am Ende dieses Jahrhunderts, ums Jahr 2100.Heute Geborene könnten das noch erleben. Zwar ist nicht sicher, dass die gezeigte Linie wie bisher geradlinig verlaufen wird. Aber sie tat es fünf Jahrzehnte, plötzlich wird sich ihr Verlauf nicht ändern, denn der Ressourcenverbrauch nimmt weiter zu, weil die Menschheit erst einmal weiter wächst. Bis zum Jahr 2050 von den heutigen acht Milliarden auf dann neun bis elf Milliarden. Ab dann nimmt das Wachstum nach Angaben der Spezialisten wieder ab, die Linie könnte also flacher werden. Allerdings gibt es dann auch weniger Ressourcen. Eine mögliche Konsequenz: Der Abfall erfolgt schneller.Kann der zu große Verbrauch überhaupt noch so weit reduziert werden, dass der „ökologische Fußabdruck“ wieder kleiner wird? Zur Stabilisierung müsste entweder die Anzahl der Menschen halbiert werden – bei uns von 80 auf 40 Millionen – oder weltweit der Ressourcenverbrauch halbiert. So würde erreicht, dass sich der „Earth Overshoot Day“ wieder zum Jahresende verschiebt, das „Ökosystem Erde“ wäre stabil. Auch Mischungen beider Strategien sind denkbar. Andere Wege, mit denen man Stabilität erreichen könnte, sind nicht erkennbar.Aber ist es wahrscheinlich, dass sich die Bevölkerung absehbar halbiert und massiv weniger Ressourcen verbraucht? Nähern wir uns nicht vielmehr lebensbedrohlichen Zuständen, so wie wir es durch die Klimakrise wahrnehmen? Sie ist eng mit dem Problem der Ressourcen verknüpft. Denn zu den Ressourcen gehört auch die Atmosphäre, die wir mit CO₂ belasten, mit Folgen fürs Klima. Zu den Ressourcen gehört aber noch viel mehr. Die Politik agiert dennoch so, als gäbe es nur das Klimaproblem. Damit macht sie einen großen Fehler: Wollen wir versuchen, die Lebensgrundlagen so lange wie möglich zu erhalten, müssen wir sämtliche Ressourcen betrachten, nicht nur die für das Klima unmittelbar relevanten.Dass der Fokus auf dem Klimawandel liegt, hat seinen Grund. Hier sind die Folgen für uns direkt erfahrbar: Wir hören von Hitzetoten, müssen womöglich im Bekanntenkreis einen solchen Sterbefall beklagen. Auch Bilder von Hochwasserschäden flimmern immer häufiger über die Bildschirme. Auch die Protestformen sind sinnlich erfahrbar. Wenn die „Letzte Generation“ Flughäfen blockiert, so führt das dazu, dass die Klimakrise in aller Munde ist, wir für die anderen Probleme aber blind bleiben.Auch das InsektensterbenWas für Probleme sind denn noch zu befürchten? Zumindest die Älteren von uns haben seit Jahren erfahren: Während früher bei jeder Tankstelle spezielle Schwämme vorhanden waren, um Insekten von der Windschutzscheibe zu kratzen, sind sie heute nicht mehr notwendig: Es gibt kaum mehr Insekten. Dass man die Windschutzscheibe nicht mehr reinigen muss, wird eher als angenehm empfunden. Die Gefahr, die dadurch signalisiert wird, wird nicht gesehen. Wir verhalten uns wie ein Patient, der erst zum Zahnarzt geht, wenn die Schmerzen ihn dazu zwingen.Warum wird das Insektensterben zum Problem? Rund 80 Prozent unserer Wild- und Kulturpflanzenarten sind von Insektenbestäubung abhängig. Noch werden unsere Kulturpflanzen bestäubt. Das kann sich schlagartig ändern, denn das Insektensterben geht weiter. Wir werden erst aktiv werden, wenn es zu spät ist. Es ist wie beim Zahnarzt: Tut der Zahn erst mal weh, ist er meist kaum mehr zu retten.Ein weiteres Beispiel: Die intensive Landwirtschaft führt zu einer Überdüngung der Ackerböden. Riesige Mengen von Stickstoff und Phosphor werden als Düngemittel eingesetzt. Nicht alle Nährstoffe werden von Pflanzen aufgenommen oder im Boden gespeichert, sondern von Niederschlagwasser ausgewaschen und gelangen so ins Grundwasser, von dort in Seen und Küstenbereiche der Ozeane. Sie begünstigen Pflanzenwachstum und tierisches Plankton. Nach deren Absterben werden sie von Bakterien unter Sauerstoffverbrauch abgebaut. Fische können in einem solchen Gewässer nicht mehr leben. Im Golf von Mexiko breitet sich eine „Todeszone“ aus, die inzwischen die zehnfache Größe des Saarlandes erreicht hat. Das bedeutet einen beträchtlichen Verlust an Ressourcen für die menschliche Ernährung.Auch hier ist es so: In den Bereichen, in denen intensive Landwirtschaft betrieben wird – im Fall vom Golf von Mexiko im riesigen Einzugsgebiet des Mississippi –, wird der Schaden, der weit entfernt verursacht wurde, nicht manifest. Warum also sollte man weniger Düngemittel einsetzen?Ein politisches Handeln, das die Lebensbedingungen möglichst lang erhalten will, steht vor einem Dilemma. Einerseits muss in die ganze Erde investiert werden, andererseits in Deutschland. Da unsere finanziellen Mittel limitiert sind, müssen wir Prioritäten setzen. Zurzeit investieren wir vor allem in Maßnahmen, um weltweit das Klima günstig zu beeinflussen.China und die EmissionenSo will die Bundesregierung viele Milliarden für den Klimaschutz ausgeben – etwa mit dem Heizungsgesetz –, obwohl zu erwarten ist, dass das Weltklima dadurch kaum beeinflusst wird. Zwei von mehreren Gründen: Die Menschheit wächst weiter, und auch die zwei bis drei Milliarden Menschen, die es bis zum Jahr 2050 auf der Erde mehr geben wird, werden zusätzlich Ressourcen verbrauchen. Oder man denke an China, dessen Beitrag zu den CO₂-Emissionen vor zwei Jahren 30 Prozent betrug, es darf als Entwicklungsland seine Emissionen um 50 Prozent erhöhen. Wenn wir unsere zwei Prozent Anteil an den weltweiten Emissionen noch weiter absenken, so kann das kaum ins Gewicht fallen.Aber die Regierung ist hier nicht frei. Sie muss sich nach dem Bundes-Klimaschutzgesetz von 2019/2021 richten. Sein Zweck ist es, „zum Schutz vor den Auswirkungen des weltweiten Klimawandels die Erfüllung der nationalen Klimaschutzziele sowie die Einhaltung der europäischen Zielvorgaben zu gewährleisten“. Es ist ein Gesetz, das vorschreibt, wie die Treibhausgase im Vergleich zum Jahr 1990 zu reduzieren sind. Auch hier: Um wirklich wirkungsmächtig zu werden, müsste das Bundes-Klimaschutzgesetz in ein Gesetz geändert werden, in dem sämtliche Ressourcen berücksichtigt sind. Erhebliche Defizite bleiben, selbst wenn das Klima günstig beeinflusst würde. So droht uns, um ein Beispiel zu geben, dass unsere Obstplantagen ertraglos werden, weil es kaum noch Insekten gibt und wir nichts gegen das Insektensterben unternehmen.Wie könnten wir uns für die Zukunft vorbereiten? Was das Insektensterben angeht: Biotope könnten zum Artenschutz eingerichtet werden, was zulasten der Landwirtschaft gehen müsste. Hinsichtlich der zu befürchtenden weiteren Klimaänderungen könnte die Landwirtschaft auf Trockenzeiten vorbereitet werden. Von Israel könnten wir lernen, wie Maßnahmen zur Sicherung von Trinkwasser ergriffen werden könnten (Zisternen, Fernleitungen). Löschwasser-Seen könnten in brandgefährdeten Bereichen angelegt werden. Für Transport in Flüssen mit Niedrigwasser könnten Schiffe mit geringerem Tiefgang gebaut werden.Noch scheint es abwegig, aber bei sich anbahnenden dramatischen Entwicklungen könnte erwogen werden, große Kühlräume einzurichten, vergleichbar den Luftschutzbunkern in Kriegszeiten, in die sich alte Menschen zurückziehen können, um die Hitze zu überleben. Wenn möglich, müssten Klimaanlagen für Altenheime und Klinken eingerichtet werden.Wir müssen abwägen, in welchen Bereich wir investieren: Sind Milliardenbeträge gerechtfertigt zur Reduktion von Treibhausgasemissionen, die sich kaum auswirken können und nur das Klima betreffen – dabei aber die Bevölkerung finanziell erheblich belasten und uns die Möglichkeit nehmen, in erheblichem Umfang Maßnahmen zu ergreifen, um unser Land auf kommende Folgen der unvermeidbaren weiteren Klimaänderung vorzubereiten?Man darf in Erinnerung rufen, dass sich die Minister durch Eid dazu verpflichtet haben, den Nutzen des deutschen Volkes zu mehren und Schaden von ihm zu wenden – nicht den der ganzen Erde. Sie haben sich auch nicht dazu verpflichtet, dass Deutschland zum Vorbild werden müsse, wofür die Wähler wohl auch kaum bereit wären, Milliarden auszugeben. Durch das Abschalten unserer Atomkraftwerke können wir in den Augen unserer Nachbarn sowieso nicht mehr zum Vorbild werden.Die Konsequenzen dessen, was jetzt für unsere Zukunft entschieden werden muss, sind für uns alle tiefgreifend. Eigentlich sollten die Wähler nun über den richtigen Weg entscheiden. Dazu wäre es aber notwendig, dass die Alternativen mit Vor- und Nachteilen erklärt werden, sonst ist ja eine begründete Entscheidung nicht möglich. In der politischen Diskussion geht es bisher immer nur ums Klima, nicht aber um Ressourcen. Die Debatte beleuchtet Entscheidendes nicht.