Zecken von A bis Z: Die kleinen Blutsauger breiten sich aus
Lexikon Blutsaugerin und Überträgerin von Krankheiten – die Zecke hat einen denkbar schlechten Ruf. Neonazis diffamierten der Tradition des NS folgend ihre Gegner so. Wie heroisch sie sein kann, beweisen The Tick und der FC St. Pauli
Forscher:innen schlagen Alarm: Die Zecke macht keine Winterpause mehr. Das Jahr 2024 dürfte wegen des Klimawandels und der zu milden Temperaturen zum Zeckenjahr werden. Aus Baden-Württemberg wurden bereits in diesem Februar zahlreiche FSME-Infektionen gemeldet, was bedeutet, dass – bei einer Vorlaufzeit von rund vier Wochen – die Betroffenen bereits im Januar von den blutsaugenden Ektoparasiten gestochen wurden. Somit wird die Frühsommer- Meningoenzephalitis zur Ganzjahres-Meningoenzephalitis. Zeitgleich breiten sich der Gemeine Holzbock und seine Artgenossen konstant Richtung Norden aus. Was einst als rein süddeutsches „Problem“ galt, betrifft mittlerweile auch Nordrhein-Westfalen, Niedersachsen und Brandenburg. Die Zecke gehört s
e Zecke gehört somit zu den eindeutigen Gewinnerinnen der Erderwärmung. Was das perspektivisch für Auswirkungen haben wird, gilt abzuwarten. Von einer Zeckensaison im Sommer und Herbst kann keine Rede mehr sein. Sie bleibt nun das ganze Jahr. Ji-Hun KimBwie BauchnabelSo ein schlaues Vieh! Als hätte die Zecke gemerkt, dass man sie dort kaum finden würde, hat sie sich durch mehrere Kleidungsschichten gewühlt und war dort nun verborgen zwischen Hautfalten. Im Spiegel waren nur eine Rötung und eine Schwellung zu sehen. Dabei war es so ein schöner Sonntagsspaziergang gewesen. Nun muss ich in die dunkle Nacht. Bis Montag warten? Unmöglich. Ich hätte nicht schlafen können, im Gedanken, dass sich so ein Blutsauger an mir zu schaffen macht. Peinliche Panik: Im Unfallkrankenhaus warteten doch ernstere Fälle. Endlich machten sich zwei junge Ärztinnen an mir zu schaffen. „Die hat sich aber gut versteckt! … Da habe ich sie!“ Die Zecke klebte an einer Pinzette und bewegte sogar noch die Beine. „Nabelschau nach Mitternacht“, dachte ich belustigt. Erst um fünf Uhr früh lag ich in meinem Bett. Irmtraud GutschkeEwie Erste HilfeAls Ausbilder für Erste Hilfe kann ich versichern, Sie sollten nicht alles glauben. Zecken sollten auf gar keinen Fall erhitzt oder mit Kleber „erstickt“ werden! Rund 10 bis 30 Prozent der Zecken können eine Borreliose, rund fünf Prozent FSME übertragen (Impfstoff verfügbar). Durch unsachgemäße Entfernung der Zecke kann es erst recht zum Risiko kommen. Die Zecke soll so zeitnah wie möglich zum Beispiel mit einer Zeckenkarte gemäß Herstellervorgaben komplett entfernt werden. Vermeiden Sie ein Quetschen oder Abreißen der Zecke! Merken Sie sich die Stelle und notieren den Zeitpunkt. Wenn Unsicherheiten bestehen, ob die Zecke vollständig entfernt wurde, Ihnen die Entfernung nicht gelingt oder Sie sich unsicher sind, suchen Sie einen Arzt auf. Bei einem etwaigen Symptomauftritt gehen Sie umgehend zum Arzt! Diese Glosse kann das Thema nicht allumfassen, doch die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung bietet wichtige Informationen kostenfrei als PDF in der DGUV Information 214-078. Jan C. BehmannHwie HeldenDass Zecken nicht nur ätzende Plagegeister sind, sondern auch heroisch sein können, beweist der Superhelden-Comic The Tick. Erfunden wurde The Tick 1986 von Ben Edlund und war ursprünglich als Parodie auf den bestehenden Mainstream-Superhelden-Kanon gedacht. The Tick trägt Knatscheng-Blau, ist superstark und fast unverwundbar. Er bekämpft Bösewichte und Untergrundorganisationen, ist aber sonst auch ziemlich durchgeknallt. Die Comic-Satire wurde mehrfach verfilmt, unter anderem als Cartoon von 1994 bis 1997 und zuletzt als Live-Action-Serie von 2016 bis 2019 mit dem britischen Schauspieler Peter Serafinowicz in der Hauptrolle. Im Vergleich zu den klassischen Helden von Marvel und DC ist The Tick erfrischend, weil anders, witzig und dreist. Wieso The Tick nicht so bekannt wurde wie Spider-Man? Zecken haben einfach keine gute Lobby. JHKEingebetteter MedieninhaltMwie MordwerkzeugBislang hat die Ratte ihr Näschen vorn. Der possierliche Nager mit dem bemerkenswerten Sozialverhalten ist der Star reißerischer Krimititel. Aber die Zecke holt auf. Schließlich hat die winzige Parasitin metaphorisch so einiges zu bieten. Schon eine kurze Recherche fördert drei Die Zecke betitelte Romane zutage, welche die vielseitige Verwendbarkeit des Wortes belegen. Mal stehen die Nöte eines Finanzbeamten im Mittelpunkt, mal geht es um raffinierte Kampfdrohnen. Aber gelegentlich darf die achtbeinige Blutsaugerin auch sein, wer sie ist. Dann taugt sie sogar zum Mordwerkzeug, wie ein Regionalkrimi des fränkischen Autors Werner Rosenzweig zeigt. Ausgerechnet im idyllischen Seenland sterben arglose Zeitgenossen am tückischen Krim-Kongo-Fieber, übertragen durch Hyalomma-Zecken. Und das ist kein unglücklicher Zufall, sondern böse Absicht. Natürlich wird der Täter von zwei Amateurermittlerinnen zur Strecke gebracht. Aber bis dahin herrscht „Zeckenalarm im Karpfenland“. Joachim FeldmannÖwie ÖkologieAuch die Zecken – die immer nur mit Parasitentum und hoher Gesundheitsgefahr verbunden werden – haben im Kreislauf der Natur eine nützliche Funktion. Zum einen sind sie Nahrungsquelle für andere Tiere. Vögel zum Beispiel bedienen sich am hohen Zeckenaufkommen. Sie sind Wirt für kleine Pilze. Auch Würmer nutzen sie und eine Wespenart legt ihre Eier in den Zecken ab. Zum anderen dient der in unseren Wäldern sehr hohe Wildtierbestand den Blutsaugern als reichliches Wirtsangebot und fördert damit ihre Vermehrung. Eine Folge davon ist, dass Rehe, Wildschweine und andere Tiere an Krankheiten sterben, die durch die Zecken übertragen wurden. So regulieren die kleinen Parasiten mit ihrem Stich Populationen. Damit sie das nicht auch beim Menschen tun, gilt es vorsichtig zu sein (→ Erste Hilfe) und für Schutz zu sorgen. Magda GeislerPwie PolizeigewerkschaftTiermetaphern zur Bezeichnung politischer Gegner stammen aus dem Nationalsozialismus. Sie dienen der Entmenschlichung. Wann genau „Zecke“ in Kreisen der extrem Rechten aufkam, um Punks und Autonome zu labeln, ist nicht bekannt. In den ostdeutschen Nachwendejahren riefen Neonazis zu „Zeckenjagden“ auf. Da verwundert es schon, diese abwertende Bezeichnung bei der deutschen Polizei und ihren Gewerkschaften anzutreffen. So entdeckten Passanten 2014 im Wagen einer Würzburger Einsatzbereitschaft den Aufkleber „Kein Sex mit Zecken“. Er habe nicht weiter darüber nachgedacht, erwiderte der Bereitschaftspolizist, der den Sticker neben anderen einschlägigen aufklebte. Ob man bei der Deutschen Polizeigewerkschaft schlicht gedankenlos war oder sich bewusst rechtsoffen zeigt, ist angesichts ihres Vorsitzenden Rainer Wendt kein Geheimnis. Darum überrascht es nicht, dass der Fanshop einen Zeckenentferner mit deutlicher Symbolik anbietet. Die Produktbeschreibung dazu ist nur authentisch mit drei Ausrufezeichen: „Weg mit den Zecken!!!“ Tobias PrüwerRwie RomanIn zahlreichen Romanen, die sich mit der Entwicklung in den neuen Bundesländern beschäftigen, spielt die Bezeichnung „Zecke“ eine Rolle. In Manja Präkels’ Buch Als ich mit Hitler Schnapskirschen aß wird eine Entwicklung geschildert, in der sich die nachwachsende Generation im Havelland in Neonazis und ebenjene „Zecken“ spaltet, als welche die Jung-Nazis ihre Gegner beschimpfen. Diese Gegner – Punks, Linke oder einfach nur Leute, die in den Verdacht geraten, nicht auf Linie der neuen Anführer zu sein – können wenig tun und begegnen Gewaltexzessen mit Furcht oder Flucht in Alkohol und Zigaretten. So beherrschte die Bezeichnung „Zecke“ das Lebensgefühl einer Region. Aber die Polizei (→ Polizeigewerkschaft) richtete ihre Aktionen oft gegen jene, die durch solch eine Zuschreibung beschimpft und diffamiert wurden. MGSwie St. PauliMeine Lieblingszecke auf St. Pauli ist Sven Brux. Er schaffte das Unmögliche und wurde 1998 vom Punk zum Sicherheitschef des progressivsten deutschen Fußballvereins. Davor organisierte Brux am Rhein und in der Hamburger Hafenstraße Punk-Konzerte. Als die Zecken den FC SP kaperten, war er mit an Bord und wurde 1989 der erste deutsche Fanbeauftragte. Er war maßgeblich an der Gründung des herrlich punkigen Fanladens Jolly Roger beteiligt und gab mit einigen MitstreiterInnen das legendäre Fanzine Millerntor Roar heraus, das mir Ende 1989 in Kreuzberg in die Hände fiel. Das Fanzine sorgte deutschlandweit für Nachwuchs aus dem linken Milieu, weil es neben Fußball auch Punk, Comics und Politik beleuchtete. Sven sorgte dafür, dass heute am Millerntor „Kein Fußball den Faschisten“ eine Selbstverständlichkeit ist. Er ist zu Recht stolz darauf, dass sein Verein als erster Klub einen Betriebsrat gründete. Sven ist begeisterter Angler, im Mai kann man ihn mit etwas Glück am Po treffen und dabei zusehen, wie er Monsterwelse fängt und wieder im Fluss aussetzt. Frank WillmannZwie ZeckenrapDass es tatsächlich ein Genre gibt, das manche „Zeckenrap“ nennen, zeigt, wie sehr sich Hip-Hop verändert hat. Oder: War Hip-Hop jemals wirklich links? Als ganz links verstehen sich „Zeckenrapper“ wie etwa Sookee und rappen in der Tradition von Public Enemy über Rassismus, soziale Schieflagen, antifaschistisches Handeln und linke Themen. Vorbilder: amerikanische Polit-Rapper, aber auch deutsche Bands wie Advanced Chemistry oder Anarchist Academy. Den Begriff erfunden hat die Hamburger Crew Neonschwarz. Abgrenzen will sich auch das linke Hip-Hop-Kollektiv TickTickBoom gegen homophoben und sexistischen Rap, gegen das, was heute Mainstream geworden ist. Dass aber auch Zeckenrapper mal im Gute-Laune-Modus sind, zeigten Neonschwarz schon 2010. Ihr Sommerstück On A Journey wurde zum echten Youtube-Hit. Marc Peschke
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