Völkisches Volkstheater

PEGIDA Nach vielen Wochen das Spazierens wird das Volk ungeduldig

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Völkisches Volkstheater

Foto: Sean Gallup/Getty Images

[Dieser Text basiert – immunsystembedingt – nicht auf der Anwesenheit vor Ort, sondern auf der Verfolgung des Live-Streams, den Russia Today Deutschland von PEGIDA sendete. Ja, Russia Today Deutschland. Ja ein Live-Stream. Ja, zwei Stunden Sendematerial. Keine Pointe.]

Diesmal war Kathrin Oertel an der Reihe und durfte, im weißen Anhänger stehend, den PEGIDA sagen, was Sache ist. Ein Zettel, der durch einen Windhauch von ihrem Pult geblasen worden war, wurde durch eine dicke Rolle VW-Absperrband gesichert (woher auch immer diese stammt). Dann durfte sie die Woche in PEGIDA-Manier Revue passieren lassen. Wie auch Bachmann Lutz gelang es ihr, zustimmungsfähige Äußerungen aneinanderzureihen. Den Jubel der PEGIDA genoss sie sichtlich.

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Während sie von einigen Hundertschaften der Polizei dabei geschützt wurde, ihre Meinung in den Dresdner Abendhimmel zu blöken, proklamierte sie, das „Recht der freien Meinungsfreiheit“ sei in Deutschland nicht mehr gegeben. Die Ironie der Situation entging den PEGIDA.

Der in den letzten Tagen bekannt gewordene Vorfall in der Centrum-Galerie, bei dem PEGIDA-Demonstranten im Dezember junge Menschen mit Migrationshintergrund angegriffen haben sollen, wurde genutzt, um den Opfer-Mythos der PEGIDA fortzuschreiben. Es sei nämlich – wie sollte es anders sein – umgekehrt gewesen. Was an der Geschichte wahr ist und wie sie sich zugetragen hat, wird (hoffentlich) durch Ermittlungsbehörden aufgeklärt. Die Hoffnung, dass „sächsische Verhältnisse“ dem nicht entgegenstehen, stirbt zuletzt. Für die PEGIDA ist die Sache allerdings bereits jetzt klar. In der Faktenresistenz bleibt man sich treu, wurde sie doch in den letzten Wochen fleißig geübt. Von der Lügenpresse und Statistiken (‚Hallo, das sind Zahlen! Ich SEHE doch, dass es anders ist‘) lässt sich die Bewegung nicht beirren. Zu denken geben könnte den Damen und Herren, dass einigen Menschen aus ihren Reihen ein solcher Angriff nicht nur zugetraut, sondern dieser als wahrscheinlich angesehen wird. Könnte.

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Witzig ist auch, dass man sich "politisch verfolgt" fühlt, weil man seine Meinung nicht unkommentiert ins Mikro rülpsen kann. Widerspruch wird als "Abschaffung der freien Meinungsfreiheit" und kritische Kommentierung als politische Verfolgung verkauft. Und die PEGIDA glauben alles, was aus den Lautsprechern dröhnt. Sie sind das Folg!

Kathrin beklagt sich über den Vorwurf, die PEGIDA seien ausländerfeindlich und versucht diesen unter Verweis auf das Positionspapier zu entkräften, um im nächsten Moment von einer "Asylindustrie“ zu sprechen. Ironie – da ist sie wieder und bleibt unerkannt in der Dresdner Nacht.

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Wie groß die Eier des Orga-Teams mittlerweile zu seien scheinen, nachdem sie Woche für Woche vom Folg bejubelt wurden (die Mitglieder des Orga-Teams, nicht die Eier), wird klar, als Kathrin Stanislav Tillich einlädt. Er soll vor dem Folg sprechen. Auch hier wird mit der Behauptung, es habe keine Gesprächsangebote gegeben, ein bisschen Mythenpflege betrieben.

Nun folgt der Star des Abends, Udo Ulfkotte. Der wäre, ähnlich dem Weihnachtsliedersingen vom 22.12.14, ein ziemlicher Rohrkrepierer geworden, hätte er in den PEGIDA nicht ein so unheimlich dankbares Publikum gefunden. Damit passt er in die Reihe seiner VorgängerInnen, und Deutschland wartet weiter auf einen mitreißenden Demagogen. Aber das sind Stilfragen, uns kümmert der Inhalt.

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Ulfkotte illustriert die Islamisierung des Abendlandes an vier Beispielen. Diese Beispiele, das sollte man sich vor Augen führen, hält er für schlimm genug, um den Untergang des Abendlandes zu fürchten. In einigen KiTas gibt es aus Rücksicht (!) auf Kinder aus muslimischen Familien kein Schweinefleisch mehr. Man stelle sich nur vor, christliche Konfessionen würden ihre Werte anderen ähnlich aufdrücken. Undenkbar. Außerdem erwähnt Ulfkotte getrennte Badezeiten für Männer und Frauen in einigen Schwimmbädern, eine Erlaubnis von Polygamie für Moslems und gesonderte Bereiche für Moslems auf Friedhöfen.

Mal abgesehen davon, dass Ulfkotte scheinbar seit Jahren dieselben Beispiele runterrattert (Teile seiner Rede sind 1:1 als Interview im KOPP-Verlag zu finden), sind es wirklich lächerliche Beispiele für die angebliche Islamisierung des Abendlandes. Wer von den PEGIDA leidet wohl unter gesonderten Schwimmzeiten für Menschen muslimischen Glaubens (bei denen es sich vermutlich einfach um gesonderte Badezeiten für weibliche Menschen handelt). Und werden dann auch bald Frauentage in der Sauna abgeschafft und Unisex-Toiletten zur Pflicht? Was die Polygamie angeht, gibt es keine Sonderrechte für Moslems, sondern einen rechtlichen Graubereich, den vermutlich der eine oder andere nutzt. Gut, dass die PEGIDA ihren Rednern nicht zuhören, sondern nur auf Stichworte warten, um den Kehlkopf und den motorischen Kortex zu betätigen. Der frontale Kortex, Zentrum für Vernunft und Reflexion, wird am PEGIDA-Tag mit völkischer Meditation ruhiggestellt.

Niemand habe etwas gegen Ausländer, und Flüchtlinge müsse man aufnehmen, das sei „Menschenpflicht“. Nur die richtigen müssen es sein. Ulfkotte fordert „Rückführungsbeauftragte“ für – Trommelwirbel – radikale Islamisten, abgelehnte Asylbewerber und natürlich die kriminellen Asylbewerber. Die Friedlichen, das sagt er ganz klar, die dürften bleiben. Es wundere ihn jedoch, warum in Deutschland nur die jungen kräftigen Männer ankämen? Diejenigen, die wahrscheinlich sogar in den Konflikten gekämpft haben, vor denen sie flüchten? Hier zeigt Ulfkotte seinen Hang zur konstitutionellen Phrenologie und einer Kategorisierung, die so einfach ist, dass man sie „Rassismus“ nennen könnte. Aber das kann nicht sein, denn Herr Ulfkotte weist diese Zuschreibung von sich. „Wo sind die ausgezehrten Alten, die Schwachen, die Kinder?“, fragt Ulfkotte. Teilweise, wäre eine Antwort, auf dem Grund des Mittelmeers oder begraben auf Lampedusa. Teilweise, wäre eine andere, in den Flüchtlingsheimen. Wenn man denn bereit wäre, die Wirklichkeit anzuerkennen und sich nicht in völkischen Mythen zu verlieren.

Ulfkotte fühlt sich in seinen kulturellen Besonderheiten ignoriert und fremd im eigenen Land, so wie viele andere der PEGIDA. Wenn Ulfkotte seine kulturellen Besonderheiten nicht gewahrt sieht, weil er seinen Leib nicht jederzeit in ein Schwimmbad schaffen darf, dann fühle ich mich diskriminiert, weil ich bei IKEA nicht ins Bällebad darf. Bazinga!

Aber das alles wird sich bald ändern, denn „die Völker erwachen“. Wirklich, hat er gesagt, ohne Ironie. Auch hat er den Naidoo gemacht und dem deutschen Staat die Souveränität abgesprochen. Die Lügenpresse verwende "Trottelsprache" und verbreite "politische Korrektheit". Ein Mann der in einem Atemzug die Worte „Bundesregierung,“ „Kriegshetze“ und „Wutstau“ benutzt, ereifert sich tatsächlich über „Trottelsprache“. Die Ironie versucht zu diesem Zeitpunkt gar nicht, sich den PEGIDA noch zu präsentieren.

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Derart hochgepeitscht schafft es Stephane Simon schließlich, in der Rede im Rahmen seiner Vendetta gegen den deutschen Staat (weil er während der Ausbildung bei der Polizei gemobbt worden sei), den PEGIDA einen „Volksverräter“ Sprechchor zu entlocken.

Der Spaziergang wurde ebenfalls live und in voller Länge übertragen. Das Schweigen wurde häufig durch „Lügenpresse“-Rufe unterbrochen und das Wetter schien, der Stimmung entsprochen zu haben. Diese griff Kathrin am Ende noch einmal auf. Sie verstehe den Frust, der entstehe, weil man nicht durch die Innenstadt spazieren könne. Dieser hatte offenbar eine Gruppe von Demonstranten dazu bewogen, zu versuchen, sich in die Innenstadt abzusetzen. Die Folgsverräter wurden jedoch von den Vertretern des „Lügenstaates“ davon abgehalten. Dafür bedankte sich Kathrin am Ende ganz artig bei der Polizei und versprach den PEGIDA, sie würden in die Innenstadt zurückkehren. Wenn das gelingt, könnten es passieren, dass sich die PEGIDA nicht nur fremd im eigenen Land, sondern fremd in der eigenen Stadt fühlen werden. Zumindest hoffe ich in diesem Fall auf Widerstand der DresdnerInnen. Daran wäre zwar weder Staat, noch Lügenpresse oder der Islam Schuld, aber daran ließe sich eine Woche später etwas drehen, im weißen Anhänger vor dem Folg.

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Geschrieben von

diaphanoskopie

"...im Gegenlicht der Wirklichkeit." - Ich hab' mal jeden Scheiß geglaubt. - @diaphanoskopie

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