Klimafakten-Chefredakteur Carel Mohn: „Mit Wissen allein überzeugen wir Skeptiker nicht“
Im Gespräch Zwar heißt das Medium, dessen Chefredakteur Carel C. Mohn ist, „klimafakten.de“ – aber schon lange wissen er und sein Team, dass man Grünenhasser nicht mit Daten und Zahlen zur ökologischen Lage überzeugt. Hier schlägt er Alternativen vor
Carel C. Mohn in der Redaktion von „klimafakten.de“
Foto: Verena Brüning für der Freitag
Carel C. Mohn öffnet die Tür zur Redaktion von klimafakten.de. Schnell drückt er dem Freitag-Redakteur ein Buch in die Hand: Über Klima sprechen heißt es und wird von seinem Online-Medium herausgegeben. Dann erklärt Mohn, warum man mit Fakten allein nicht weit kommt, wenn man auch Leute außerhalb der grünen Blase auf seine Seite ziehen will. Wie überzeugt man jene, die sicher sind, Robert Habeck zerstöre mit seiner Klimapolitik den Industriestandort Deutschland? Ein heikler Vorschlag im Buch springt beim Durchblättern gleich ins Auge ...
der Freitag: Herr Mohn, gibt es wirklich zu wenig Faktenwissen über die Erderwärmung?
Carel Mohn: Zugegeben, unser Name zeugt davon, dass wir mal ziemlich naiv waren. Wir haben 2011 mit unserer
Carel Mohn: Zugegeben, unser Name zeugt davon, dass wir mal ziemlich naiv waren. Wir haben 2011 mit unserer Arbeit angefangen – nach dem grandiosen Scheitern des Kopenhagener Klimagipfels. Danach gab es die Befürchtung, dass die Welle von Klimawandelleugnung aus den USA zu uns herüberschwappen könnte. Da wollten wir eine Brandmauer gegen Desinformation errichten. Mittlerweile wissen wir, dass Fakten allein nicht ausreichen. Also: Nehmen Sie unser Medium und unsere Arbeit als Eingeständnis, dass wir lernbereit sind.Was haben Sie denn verändert?Wir haben einen ziemlichen Schwenk gemacht. Wir bieten immer noch Fakten zum Klimawandel. Aber unser Fokus ist heute die Klimakommunikation. Da geht es um Fragen wie: Warum handeln einzelne Menschen oder ganze Gesellschaften einfach nicht, obwohl die Fakten sonnenklar sind? Oder: Wie erreicht man Menschen, für die das Klima nicht so weit oben in der Prioritätenliste rangiert? Zu all diesen Fragen haben wir auch ein dickes Handbuch herausgegeben.In dem habe ich gerade kurz geblättert und bin auf ein Kapitel gestoßen, in dem steht, man solle jeden Fakt „zwischen zwei Scheiben Moral servieren“.Das ist ein Zitat der Sprachforscherin Elisabeth Wehling. Im Kern besagt es: Es gibt keine rein faktischen Argumentationen – tatsächlich bewegt sich jede Art von Kommunikation in einem Bedeutungsrahmen. Und dieser stillschweigend akzeptierte Bedeutungsrahmen entscheidet mit darüber, wie wir etwas einordnen.Placeholder infobox-1Der Punkt ist doch: Die Klimadebatte krankt nicht an einem Mangel an Moral. Eher im Gegenteil.Das nehme ich nicht so wahr: Es ist wichtig, dass wir als demokratische Gesellschaft darüber debattieren, was uns wichtig ist und an welchen Werten wir uns orientieren wollen. Ein entscheidender Punkt, ob Menschen bei etwas dabei sind oder nicht, ist, inwieweit sie hierbei ihre Werte respektiert oder bedroht sehen. In der öffentlichen Debatte ist der Klimaschutz oft sehr stark an Werte wie Solidarität und Gemeinschaftlichkeit gekoppelt. Aber wie überzeugt man jene Menschen, die stärker auf Leistung, Erfolg und Sicherheit setzen? Es wird ja gemeinhin angenommen, dass diese Werte in einem Spannungsverhältnis zu ökologischer Politik stehen.Und, wie überzeugt man die?Indem ich sie zuallererst mal nicht vor den Kopf stoße! Nehmen Sie den Begriff Emissionsreduktionen: Erstens ist das ein falsches Bild, weil es suggeriert, es ginge vor allem darum, die Emissionen zu reduzieren. Das eigentliche Ziel ist doch aber die Null, denn jedes noch ausgestoßene Gramm CO₂ schadet – übrigens auch dem künftigen Wohlstand. Außerdem steht beim bisherigen Reden übers Klima sehr stark der Verzicht im Vordergrund. Wir brauchen aber bessere Bilder! Nehmen wir giftige Chemikalien – da können wir uns unter einer asbestfreien Welt etwas Klares vorstellen. Und beim CO₂ könnte es vielleicht um das Ziel gehen, die aus den Fugen geratenen Kohlenstoffkreisläufe wieder in Balance zu bringen. Übrigens: Wenn man auf die Empirie guckt, sieht man, dass wir in Deutschland niemanden mehr aufklären müssen, wie schlimm die Situation ist. Wachrütteln müssen wir hier wirklich keinen mehr.Hm, die Strecke Hamburg–Sylt wird noch ziemlich oft geflogen.Entschuldigen Sie, wenn ich das so sage, aber das ist typisch für den Journalismus: Sie übertreiben die Bedeutung einer kleinen Randgruppe. Die Sozialpsychologie hat ein spannendes Phänomen beschrieben, die sogenannte pluralistische Ignoranz. Das ist eine Verzerrung unserer Wahrnehmung: Menschen, auch Sie und ich, tendieren dazu, von anderen eine geringere Bereitschaft zu prosozialem Verhalten anzunehmen, als tatsächlich vorhanden ist. Wir unterschätzen, wie hoch die Bereitschaft zu mehr Klimaschutz ist. Viele Menschen glauben, die Gesellschaft sei mehrheitlich gegen Klimaschutz – und sagen dann: Ich wäre ja bereit, aber warum sollte ich, wenn die anderen nicht mitziehen? Dieses Phänomen tritt auch zwischen Parteien und Bürgerinnen auf: Die Politik überschätzt die Zahl der Klimaschutzgegner und kommt zum Schluss: Die Deutschen erzählen zwar immer, dass sie für Klimaschutz sind, aber in Wahrheit sind sie das gar nicht! Deswegen brauchen wir sanfte Maßnahmen – am besten welche, die sie gar nicht bemerken.Das ursprüngliche Heizungsgesetz haben viele bemerkt – und als Eingriff in ihre intime Privatsphäre betrachtet.Wissen Sie, was wirklich intim war? Die Anti-Aids-Kampagnen der 80er und 90er Jahre. Da wurde empfohlen, Kondome zu benutzen. Das finde ich intimer als den Gang in einen Heizungskeller.Also ist die Inbrunst der Grünen kein Problem? Dieses Gehabe: Wir haben recht, also folgt uns.Wer so rüberkommt, hat tatsächlich ein kommunikatives Problem. Eine Studie zum Thema Polarisierung vom MIDEM-Forschungszentrum der TU Dresden zeigt, dass solch ein Habitus als polarisierend wahrgenommen und abgelehnt wird. Das heißt: Ich kann subjektiv die Fakten alle klar auf meiner Seite sehen – wenn das als von oben herab interpretiert wird, hilft mir das trotzdem nichts. Die hier registrierte Unduldsamkeit hat aber vielleicht auch mit der Frustration jener Menschen zu tun, die seit 20, 30 Jahren den Klimaschutz vorantreiben wollen.Und wie geht das? Indem man Bambuszahnbürsten benutzt und sich moralisch überlegen fühlt?Na ja, daran ist doch an sich gar nichts falsch! Und trotzdem ist es ein Beispiel für die Skurrilitäten unseres evolutionär gewachsenen Denkapparates …Wie meinen Sie das denn?Ich verwende beim Einkaufen einmal einen Jutebeutel statt einer Plastiktüte und lege es mir im Kopf dann so zurecht, dass ich einen Mallorcaflug guthabe. Man nennt das den Single-Action-Bias.Was bedeutet das?Das ist im Grunde eine Art mentale Buchhaltung. Wir wissen aus der Forschung, dass viele Menschen falsch einschätzen, welchen Effekt bestimmte Handlungen auf das Klima haben. Überschätzt in seinen positiven Folgen wird der ganze Bereich Kunststoff-Plastik-Mülltrennung. Das macht ja irgendwie auch Sinn, weil man davon jeden Tag etwas anfasst. Unterschätzt werden hingegen die Hebelwirkungen von fleischarmer Ernährung, Mobilität und Gebäudeenergie.Haben Sie Leugner des Klimawandels in Ihrem Umfeld?Nein. Interessanterweise ist selbst unsere Redaktion selten Ziel von Shitstorms. Wir kriegen nur Anrufe von älteren Herren, die sagen, sie hätten das noch mal nachgerechnet und Fehler bei uns entdeckt. Das erheitert mich immer.Die bedienen sich ihres eigenen Verstandes. Das ist doch gut!?Natürlich, natürlich. Wie soll ich das jetzt formulieren? Also: Diese Herren haben oft ein hyperidealisiertes Bild davon, wie Naturwissenschaft funktioniert. Klar kann ich einzelne Formeln nachrechnen. Aber es ist extrem unwahrscheinlich, dass ich im Alleingang den Stand der Klimaforschung widerlege. Und nichts anderes stellen wir auf unserer Website dar.Sagt Ihnen der Name John Clauser etwas?Nein.Der hat 2022 den Physik-Nobelpreis bekommen. Jetzt sagt er: Es gibt keinen Klimanotstand. Das sei alles aufgebauscht von Wissenschaft und Medien.Für solche Fälle haben wir ein Akronoym entwickelt: PLURV.Wofür steht das?Das P steht für Pseudoexperten: Nur weil Herr Clauser einen Nobelpreis für Physik bekommen hat, heißt das noch lange nicht, dass er das Klimageschehen sachgerecht beurteilen kann.Wofür stehen die anderen Buchstaben?Das L steht für Logikfehler. Also, wenn Leute aus korrekten Informationen falsche Schlüsse ziehen. U: unerfüllbare Erwartungen an die Wissenschaft. R wie Rosinenpickerei von Fakten, V wie Verschwörungsmythen.Wie sollten wir mit Leuten wie dem umstrittenen Journalisten Julian Reichelt umgehen? Der schreibt gerne über die angebliche große Klimalüge.Ich finde es wichtig, dass wir uns weniger an solchen Personen abarbeiten, sondern auf die Menschen gucken, die sich Gedanken machen. Nehmen Sie die Arbeiterwohlfahrt: Die hat mehr als 230.000 Mitarbeitende und 18.000 Einrichtungen in Deutschland. Da geht es also um Millionen von Menschen. Die AWO hat sich das Ziel gesetzt, noch vor 2040 klimaneutral zu werden, ist also deutlich ambitionierter als die Bundesregierung. Da geht es darum, das Altersheim oder die Behindertenwerkstatt so zu gestalten, dass sie dem Klima nicht schadet. Zig Sportvereine und Firmen haben sich ähnliche Ziele gesteckt. Darauf sollten wir uns konzentrieren. Und nicht auf die Extrempunkte in den Debatten.Sitzen Sie in einem Klimakommunikations-Gremium der Bundesregierung?Nein.Wieso nicht? Sie sind doch Experte auf dem Gebiet.Wenn man sich die Politikberatung zu Nachhaltigkeitsthemen anschaut, dann sind da wahnsinnig viele Ökonomen, Ingenieure, Juristen und Naturwissenschaftlerinnen unterwegs. Wir haben da noch wenig Leute, die sich mit Kommunikation oder mit menschlichem Verhalten auskennen. Vielleicht ändert sich das ja irgendwann mal.
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