Schwarzwälder Kirschtorte und Holocaust

Generationenkonflikt Die Zeit kann unangenehme Geschichte ganz allmählich verblassen lassen. Jugendliche werden bald keine Zeitzeugen des Nationalsozialismus mehr antreffen

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Bei Kaffee und Kuchen fällt das Vergessen gleich viel leichter.
Bei Kaffee und Kuchen fällt das Vergessen gleich viel leichter.

Foto: Chaloner Woods/Getty Images

„Er hat doch die Autobahn gebaut.“ Nur mit zwei Fingern gestikulierend, die anderen waren in Russland geblieben, gab mein Großonkel zum Ausdruck, dass „ja nicht alles schlecht war früher unter Adolf. Die Jahre vorm Krieg waren prächtig. Kameradschaft, Vereinsleben und endlich was zu fressen.“ Mit der anderen Hand -fünf Finger- schaufelte er emsig Schwarzwälder Kirschtorte in sich hinein. Kaffeekränzchen bei meiner Großmutter. Eine Szene aus den 1980ern. Eine Szene, die die Konfrontation meiner Generation, die der 1970er-Jahrgänge, mit dem personifizierten Nationalsozialismus widerspiegelt. Eine Konfrontation, die nicht nur aufklärte sondern oftmals sehr verstörte. Handelte es sich bei der Nazi-Generation auch um die Generation der liebsten Großeltern der Welt. Heimelige Großmütter- und -väter, nette Großtanten und -onkel, die mir eben noch 5 Mark für's Sparschwein zusteckten, verwandelten sich auf einmal von Dr. Jekyll zu Mr. Hyde.

Rücksicht auf Lehrkörper mit Vergangenheit

Während der Geschichtsunterricht meiner Eltern im Nachkriegsdeutschland auf wundersame Weise spätestens im Kaiserreich endete, aus Rücksicht auf die unterrichtenden Lehrkörper, bestand mein Geschichtsunterricht aus Dokumentarfilmen über die Auschwitz-Befreiung, Besuchen des ehemaligen KZ Neuengamme und aus Gesprächen mit ehemaligen KZ-Häftlingen. In Deutsch lasen wir „Damals war es Friedrich“ und „Draußen vor der Tür“. Ich erinnere mich an eine Geschichtsstunde, in der ich einen Bericht einer Auschwitz-Überlebenden der Klasse vorgelesen habe, mir schlecht wurde, der Atem stockte und ich nicht mehr weiterlesen konnte. Wie konnte meine Großmutter, weltbeste Pfannkuchen-Bäckerin, Quatschmacherin und Seelentrösterin, und mein Großvater, weltbester Geschichtenerzähler, vor vierzig Jahren so etwas zu lassen? Nachts träumte ich, dass meine Großeltern abgeholt und zu Wurst und Lampenschirmen verarbeitet wurden. Ich rebellierte nicht wie die 68-er gegen Nazi-Eltern, sondern nahm verwirrt das zerstörte großelterliche Image zur Kenntnis.

Schwarzwälder Kirschtorte für das Vergessen

Und dann etwas später dieses Kaffeekränzchen mit Schwarzwälder Kirschtorte, das ich verbal sprengte und ein „was weißt Du denn schon, Naseweiß?“ dafür erntete. Natürlich hätte ich mir Großeltern als Widerstandskämpfer gewünscht. Sie waren Mitläufer, aber immerhin ehrlich und „haben gewusst, was damals passierte“. „Ich hatte eine Scheiß-Angst“. Das war das erste und letzte Mal, das mein Großvater Scheiße sagte. „Ich hatte Angst zu wissen.“ Ab diesem Zeitpunkt erzählte er vom Nationalsozialismus, nicht so schonungslos wie mein Lehrer, aber auch nicht verherrlichend wie mein Großonkel.

30-Jähriger Krieg von 1933-45

Geschichte ist schwierig. Geschichtsunterricht auch. Ich erinnere mich auch, dass ich Kreuzzüge, Französische Revolution, Hambacher Fest als Geschichten hingenommen habe und brav die Jahreszeiten lernte. Geschichten aus einer anderen Zeit und einer anderen Welt. Völlig abstrakt. Interesse kam ab dem Kaiserreich auf, da konnte ich einen Bezug zum eigenen Leben herstellen, konnte meine Großeltern fragen. Diese Großeltern-Generation ist bald komplett eliminiert. Ich hoffe, dass so großartige Menschen wie Esther Bejerano und Peggy Parnass ewig leben können, um wach zu halten oder wach zu rütteln. Und auch meine verstörende Konfrontation mit meinen Verwandten hat zu meinem Geschichtsbewußstein beigetragen, indem ich mich an ihnen gerieben habe. Zum 80. Gedenktag der Reichsprogromnacht beschreibt der jüdische Autor Horst Selbiger in seinem Spiegel-Artikel „Fragt uns“, wie er als 11-Jähriger diese Nacht erlebte. Ich habe Angst vor einer Zeit, in der Jugendliche 1933-45 nur gelangweilt als Jahreszahl im Geschichtsunterricht hinunterleiern und die Jahreszahlen mit dem 30-Jährigen-Krieg verwechseln.

Volks- und Propaganda Web

Ich möchte in 40 Jahren nicht, egal mit wie vielen Fingern, gestikulierend beim Kaffeekränzchen sitzen, wirre Antworten brabbeln und mich für Dinge rechtfertigen müssen, gegen die ich 40 Jahre zuvor noch kämpfen hätte können. Dies aber nur mit Facebook-Likes und Online-Petitionen getan habe. Hier beginnt nämlich die heutige Abstraktion der Zeitgeschichte. Es ist eben verdammt bequem das Facebook-Profil mit „Wir sind mehr“ oder ähnlichem zu schmücken, um es dann wieder gegen ein „Je suis irgendwas“ auszutauschen. Die Welt ist ja so schnelllebig und der Zeitgeist auch. Hätte es es 1920 soziale Medien gegeben, wären sie bestimmt genutzt worden, und vielleicht wäre die Geschichte auch anders verlaufen. Aber wahrscheinlich hätten die Nazis online genauso gehetzt wie heute. Statt des weltweiten Webs hätte es womöglich ein Propaganda-Web oder ein Volks-Web gegeben. Soziale Medien sind eben nur eine Form der Kommunikation umd Mittel zum Zweck

Donald Schwamm und Elefanten-Plakate

Meine siebenjährige Tochter fragte mich letztens, „was denn mit ihrer Haut nicht ok sei? Manche Leute mögen Leute wie ihren Opa aus anderen Ländern nicht. Sie hätte da in den Kindernachrichten so etwas gehört...und ob das so etwas ähnliches sei wie diese ganz schlimme Zeit, von der ich mal erzählt habe, mit dem Krieg und dem Mann mit der komischen Frisur, also nicht Donald Schwamm, der andere, den sie letztens in meiner Zeitschrift gesehen hätte und der auch ganz viele andere Leute nicht gemocht hatte und wo alle so komisch die Arme in die Luft gehalten haben.“ Vor zwei Jahren ist sie mal „Asylanten-Blag“ von besoffenen Fußball-Deutschland-Fans genannt worden, da hat sie zum Glück noch „Elefanten-Plakat“ verstanden. Die Zeiten sind jetzt vorbei. Daher möchte ich weder Vergangenheit, noch Gegenwart, noch Zukunft in Schwarzwälder-Kirschtorte vergraben.

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