Es bewegt sich etwas: Hunderttausende Menschen protestierten am Wochenende gegen Rechtsextremismus
Foto: Imago/photothek
Deportationspläne? In diesem Land? Die Correctiv-Recherche zeigt in aller Deutlichkeit, dass die AfD menschenfeindliche Politik betreibt. Bedeutet dieser Scoop für Menschen, die, wie ich, internationale Wurzeln haben: Jetzt wird es hier aber wirklich ungemütlich?
Das war es auch schon vorher. Ich gebe zu, dass mich die Recherche im ersten Moment kaum berührt hat. Wie auch mein Umfeld – die allgemeine Antwort meines Freundeskreises lautete: „Wow, Nazis und Rechtsextreme in Deutschland, erzähl mir etwas Neues.“ Warum sollte ich der allgemeinen Empörung über diese Pläne Emotion und Hirnschmalz opfern, wenn die Abschiebepläne bereits früher schon in etlichen Büchern von AfD-Politikern und rechtsextremen Vordenkern offengel
ese Pläne Emotion und Hirnschmalz opfern, wenn die Abschiebepläne bereits früher schon in etlichen Büchern von AfD-Politikern und rechtsextremen Vordenkern offengelegt wurden? Dazu die Berichte und Recherchen in den Jahren zuvor: rechtsextreme Chats in Sicherheitsbehörden, sogenannte Feindeslisten und etliche andere braune Umtriebe. Aufrütteln konnten diese Berichte kaum noch, sondern nur noch bestätigen.Als junger Mensch sah ich die Brandanschläge von Rostock, Mölln und Solingen im Fernsehen. Ich hatte zum ersten Mal begriffen, dass es Leute in diesem Land gibt, die Menschen aufgrund ihrer Herkunft hassen. Einfach so. Ich verstand es nicht. Nie fühlte sich meine Familie gefährdet, bis eben zu diesen Brandanschlägen.Bis zu meinem Eintritt ins Erwachsenenalter hatte ich ein behütetes, fast sorgenfreies Leben. Auf meiner ersten Demonstration nach dem Brandanschlag in Solingen lief noch meine Mutter mit. Sie wollte mich nicht allein hinschicken. Sie ließ mich nicht allein, eine mütterliche Geste, die ich ihr heute hoch anrechne. Verkläre ich meine sorgenfreie Jugend? Denn die Anzeichen waren schon da. 1989 zeigte die rechtsextreme Partei Die Republikaner, die danach in der Versenkung verschwand, in ihrer Wahlwerbung zur Berliner Abgeordnetenhauswahl im Lokalfernsehen Straßenszenen aus Kreuzberg als Dystopie – mit spielenden Kindern und türkischen Frauen mit Kopftüchern und Alditüten.Dazu lief zur Untermalung die Titelmelodie von Spiel mir das Lied vom Tod. Kreuzberg war für mich weit weg, wir wohnten im beschaulichen Berliner Süden. Und dass die Republikaner mit diesem rassistischen Werbespot, der das türkische Kreuzberg diffamierte, bei den Wahlen auf Anhieb 7,5 Prozent holten, war irritierend, aber nicht besorgniserregend. Wir fühlten uns trotzdem sicher. Alltagsrassistische Sprüche aus unserem deutsch-deutschen Umfeld wie „Du sprichst aber gut Deutsch für ein Türkenkind“ lächelten meine Eltern weg, zeigte dies doch die Anpassungsleistung ihrer Kinder an dieses Land. Doch den Brandstiftern und Feuerlegern war es schon damals egal, ob Menschen hier arbeiteten, Steuern zahlten, brave Bürgerinnen und Bürger waren. Nein, sie waren „Ausländer“ und Nicht-Deutsche und konnten deshalb angezündet werden.Die Angst hinter sich lassenIch muss das so drastisch schreiben, weil auch mir damals nicht klar war, warum sich plötzlich bei meinen Eltern und ihrem Umfeld Sorgenfalten in die Gesichter eingruben und sich die Aussicht festsetzte, dass auch sie und ihre Kinder mögliche Angriffsziele von Rechtsextremen sein konnten. Also wurde ich im Laufe dieser schrecklichen Bilder von den Brandanschlägen von einer Jugendlichen mit den üblichen Pubertätsproblemen in Deutschland zu einer türkisierten Jugendlichen in Deutschland, ob ich wollte oder nicht.Meine Eltern sagten: „Sie hätten unsere Nachbarn sein können, unsere Freunde.“ Diese Angst, ihre Angst, wollte ich hinter mir lassen, vor allem, als ich dann selbst Kinder hatte. Ich fand die Worte der verstorbenen Hatice Genç, die in der Nacht vom 29. Mai 1993 zwei Töchter, eine Nichte und zwei Enkelinnen bei dem Brandanschlag in Solingen verlor, hoffnungsvoll. Sie sagte, gerichtet an den Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier, viele Jahre später: „Wir beide müssen dafür sorgen, dass unsere Kinder nach vorne schauen und nicht nach hinten.“Auch ich wollte nach vorne schauen. Als Journalistin hatte ich zu den brutalen Morden des NSU sowie Halle und Hanau gearbeitet. Ich glaubte, dass mich die journalistische Distanz davor bewahren würde, dass mich nie wieder Angst packte. Die Sorgenfalte zog auch in mein Gesicht ein. Auch, weil eine unsichtbare Trennlinie in meinem Umfeld hinzukam. Zwischen denen, die selbst betroffen sein konnten, und denen, die das Ganze in der Zeitung lasen und dachten: Schlimm, schlimm, was steht denn noch auf der Sportseite?In keiner Weise sind die AfD-Pläne zu Deportationen mit den rechtsterroristischen Taten der letzten Jahre zu vergleichen, schon allein der Opfer wegen wäre das pietätlos. Doch das Bedrohungsszenario trägt erneut und immer wieder die Überschrift „Fühlt Euch hier nicht zu sicher“. Erneut planen Freunde, halbironisch, auszuwandern, wenn Rechtsaußen-Parteien nun doch an die Macht kommen sollten. Ganz ehrlich: Richtig weggehen werden die wenigsten. Die Freude machen wir der AfD, ihren Fans und Unterstützern nicht. Ein Bekannter sagte letzte Woche: Das beste Mittel gegen Angst ist Mut. Mut, hierzubleiben. Ich würde noch anfügen: Wut auch. Wütend darüber zu sein, dass es so weit kommen konnte.
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