Vor einigen Tagen erzählte mir im sächsischen Erzgebirge eine Schülerin nach einer Theatervorführung über „Die weiße Rose“, also den Widerstand im Nationalsozialismus: „90 Prozent in meiner Schule sind rechts.“ Und ihre Lehrerin fügte hinzu: „Es traut sich niemand mehr zu sagen, dass er nicht so ist. Nicht so rechts.“ Ob ich bezüglich der Wirksamkeit der bundesweiten Massenproteste gegen die AfD skeptisch bin, ob sie etwas bewirken werden? Ja, das bin ich. Aber für viele Menschen, gerade im ländlichen Raum in Sachsen, sind sie dennoch ein Hoffnungsschimmer.
Kurz nach meinem Erlebnis im Erzgebirge gingen die Menschen dort auf die Straßen, wo ich mich seit Jahren als Aktivist gegen die rechte Raumnahme engagiere. Nicht nur in Leipzig, Chemnitz oder Dresden, sondern auch in Görlitz, Pirna, Torgau, Meißen und Zittau demonstrierten Tausende Menschen für den Erhalt der Demokratie und gegen den Rechtsruck. Viele meiner Mitstreitenden, die in dem Bündnis „Solidarische Vernetzung Sachsen“ zusammengekommen sind, haben das erste Mal seit Jahren wieder die Hoffnung, dass das Ruder doch noch rumzureißen sei. Schon alleine für dieses Gefühl haben sich die Massendemos der vergangenen Tage gelohnt.
In vielen Orten sorgte der massive Druck von rechts außen auf die Zivilgesellschaft in den vergangenen Jahren primär für Frustration und Resignation. Im ständigen Abwehrkampf gegen Rechtsextreme wie die AfD, Freie Sachsen, III. Weg und anderen fällt es schwer, nicht in Alltagspessimismus zu verfallen. Alternative Jugendzentren sind von rechten Schlägern bedroht. Demokratische Parteien machen auf kommunaler Ebene gemeinsame Sache mit der AfD. Antifaschist*innen werden auf offener Straße angegriffen. Die Proteste aber zeigen: Es geht eben auch anders.
Wenn in Pirna, also der Stadt, in der im Dezember der erste AfD-Oberbürgermeister Deutschlands gewählt wurde, 1.000 Menschen gegen ebenjene extrem rechte AfD auf der Straße stehen, dann kommt der Ruck durch die Bevölkerung zwar spät; aber er kommt, und das macht vielen Mut. Jetzt liegt es an uns allen, diesen Ruck aufrechtzuerhalten, die Menschen in antifaschistische Initiativen einzubinden und auch die Ursachen für den Rechtsruck, insbesondere die Ungleichheit, zu bekämpfen und damit den Höhenflug der AfD zu stoppen.
Vor zwei Monaten traf ich schon einmal Schüler*innen im Erzgebirge. Ein Mädchen, das den örtlichen Christopher-Street-Day mitorganisierte, erzählte mir, dass sie gerade 18 Jahre alt geworden ist und das erste Mal im Club feiern war. Sie erzählte, wie sich eine Traube junger Rechter um sie bildete und „Ost-, Ost-, Ostdeutschland“ schrie. Dann drohten sie ihr, dass man sie abstechen könne.
Mich bewegte besonders ihr Mut und ihr Widerstandswille. Am Ende dieser dramatischen Geschichte sagte sie: „Also, ich färbe mir die Haare auch weiterhin bunt und lass mich von der Scheiße nicht unterkriegen. Ich hab ja gute Freunde, die immer an meiner Seite stehen.“ Die Geschichten von engagierten jungen Demokrat*innen in der ostdeutschen Provinz sind bitter. Sie sind aber auch ein Zeichen von Trotz, Beständigkeit und Mut. Und davon können sich viele eine Scheibe abschneiden.
Jakob Springfeld wurde 2002 im sächsischen Zwickau geboren und ist dort aufgewachsen. 2022 erschien Unter Nazis. Jung, ostdeutsch, gegen Rechts (Quadriga). Seitdem ist er auf Lesetour, um über rechte Gewalt aufzuklären
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