Die Sozialisten und die Linksallianz Sumar hatten bereits geglaubt, alle nötigen Stimmen für eine Investitur von Pedro Sánchez am 17. November zusammen zu haben. Doch dann verkomplizierten sich die Verhandlungen in Brüssel mit dem exilierten katalanischen Politiker Carles Puigdemont, weiterhin oberste Autorität von Junts per Catalunya, einer für das Selbstbestimmungsrecht Kataloniens kämpfenden Partei. Deren sieben Stimmen waren für eine Neuauflage einer „Fortschrittsregierung“ in Spanien unverzichtbar.
Die Verfassung schweigt zum Thema Amnestie
Die Komplikationen drehten sich um die zentrale Bedingung von Junts per Catalunya – eine Amnestie für die wegen des nicht gesetzeskonformen Referendums vom 1. Oktober 2017 Angeklagten bzw
wegen des nicht gesetzeskonformen Referendums vom 1. Oktober 2017 Angeklagten bzw. Verurteilten.Tatsächlich eine schwierige Materie, zwar begann der sogenannte „demokratische Übergang“ nach dem Tod Francos im November 1975 mit einer totalen Amnestie für alle Verbrechen der Diktatur, die wenigen davon profitierenden Regimegegner waren Mitglieder des bewaffneten Widerstands wie der ETA, von der man vergeblich hoffte, sie würde die Waffen niederlegen. Eine größere Zahl politischer Häftlinge hatte noch Franco anlässlich der Krönung von König Juan Carlos, seinem Favoriten für die Nachfolge, in einem Anfall von Milde begnadigt. Die später verabschiedete spanische Verfassung schweigt allerdings zum Thema Amnestie, schließt sie aber nach Auffassung vieler Experten nicht aus.Der nun vorliegende 23 Seiten lange Gesetzesentwurf begründet daher in einem langen Vorspann den Sinn und die Notwendigkeit der Amnestie als Instrument zur Befriedung der Gesellschaft in besonders schweren Krisensituationen. Im Unterschied zur personenbezogenen Begnadigung geht es bei der Amnestie um ein vorübergehendes Außerkraftsetzen bestimmter Straftatbestände. Die Pointe im Fall Katalonien: Das Durchführen eines Referendums als Straftatbestand existiert gar nicht in der spanischen Gesetzgebung. Das Oberste Gericht musste daher andere Straftatbestände wie „Rebellion“ konstruieren.Es wird zum Widerstand gegen den „Diktator“ Pedro Sánchez aufgerufenDer Gesetzesentwurf war noch gar nicht bekannt, und schon brach die Hölle los. Nächtelang tobten Straßenkämpfe mit Nationalpolizei und Guardia Civil in Madrid vor der Zentrale der Sozialistischen Partei. Massen von Franco-Verehrern rotteten sich zusammen, es flogen Steine, Müllcontainer brannten, es wurden faschistische Lieder angestimmt. Ein Ergebnis dieser Randale waren über vierzig verletzte Polizisten. Der Partido Popular schien erfreut zuzuschauen, wie der Sitz einer demokratischen Partei belagert wurde.Santiago Abascal Conde, Chef der faschistischen Partei VOX forderte gar die Polizisten auf, den Befehlen ihrer Vorgesetzten nicht zu gehorchen. Später marschierte ein Trupp, wohl durch ihre US-Brüder im Geiste inspiriert, Richtung Kongress, drehte aber vor dem Ziel ab. Zeitgleich ging der berühmt-berüchtigte Richter García Castellón in Stellung und arbeitete plötzlich an einer Anklage gegen Carles Puigdemont wegen „Terrorismus“, der als Tatbestand von der Amnestie ausgenommen werden soll. Parallel dazu hatte in der vergangenen Woche der Partido Popular zu Demonstrationen in allen 52 Provinzhauptstädten aufgerufen. Und Isabel Ayuso, Regierungschefin der Region Madrid und Ikone des PP, rief zum Widerstand gegen den „Diktator“ Pedro Sánchez auf.Und die Einheitsfront gegen die Amnestie verbreitert sich weiter: In den Verhandlungen war auf Drängen der Katalanen vereinbart worden, in einer Kommission, die gegen die Katalanen organisierte „lawfare“ (Wortspiel mit „warfare“) zu untersuchen. Für ein solches Agieren der spanischen Justiz in Sinfonie mit der Exekutive dringen immer wieder Beispiele an die Öffentlichkeit. Es gibt sie in Form politischer Erklärungen von Richtern gegen die Linksregierung oder als Undercover-Ermittlungen einer politischen Polizei gegen katalanische Politiker auf der Suche nach Material, um ihnen den Prozess zu machen.Der Richter García Castellón erfindet seit Jahren Verfahren gegen den Sumar-Vorgänger Podemos bis zu deren angeblicher Finanzierung durch den Iran und Venezuela, was sich als Verleumdung erwiesen und in Luft aufgelöst hat.Andererseits wurden mehrfach Untersuchungen wegen geheimer Kassen der Rechtsparteien eingestellt. „Lawfare“ wohin man schaut. Und plötzlich unterschreibt die eher fortschrittliche Vereinigung der „Richter für die Demokratie“ zusammen mit rechten Richtervereinigungen eine Erklärung, in der empört der Verdacht von „lawfare“, also mangelnder Unabhängigkeit der spanischen Justiz, zurückgewiesen wird.Pensionierte Militärs rufen zum Staatsstreich aufDie Rechte wird versuchen, die Verabschiedung des Amnestiegesetzes im spanischen Senat, wo sie die Mehrheit hat, zu blockieren. Der als „dringend“ eingereichte Gesetzentwurf soll dort zumindest zwei Monate zurückgehalten werden.Einen Tag nach der Investitur von Pedro Sánchez ist ein „Manifest“ in den Medien erschienen, unterzeichnet von mehr als fünfzig hochrangigen Militärs „in Reserve“ oder im Ruhestand, darunter Generäle (nicht aktive Militärs riskieren in Spanien keine Strafmaßnahmen). In diesem Papier wird vom drohenden Zerfall der spanischen Nation gesprochen und das Verfassungsgericht für unfähig erklärt. Die Streitkräfte sind aufgerufen, sich vor den König zu stellen, Pedro Sánchez abzusetzen und Neuwahlen anzuordnen.