Die Herren vom Boulevard

Medienkritik Zur Zukunftsvision einer Verlagskultur, für die Jakob Augstein als Steigbügelhalter einspringt

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Am Ende plagen Jakob Augstein -> zwei Fragen: „Wo soll das Geld herkommen? Und wer übt die Macht der 4. Gewalt aus?“ Niemand in den 224 Kommentaren davor habe ihm das beantworten können, nachdem er in seinem jüngsten Artikel zur Zukunft des Journalismus dem Bezahlmodell von Spinger und BILDPlus ganz fest die Daumen gedrückt hatte.

Weil „wir wissen“, dass es auch online ohne Vergütung „guten Journalismus bald nicht mehr geben“ werde, sieht er die Republik selbst in Gefahr:

Ohne Journalismus gibt es keine Demokratie. Vielleicht ist unser Journalismus nicht gut genug. Sicher ist unsere Demokratie nicht gut genug. Aber das eine braucht das andere, und das Netz untergräbt beides.“

Deswegen ist jetzt auch für Augstein: „Schluss mit kostenlos“.

Gänzlich ungeniert sind die Rückfragen zu stellen: Warum bläst Augstein eine wirtschaftliche Entscheidung, die ohnehin gefallen ist und für Springer nur noch als Pay-Back an der Kasse relevant sein wird, politisch wie moralisch auf? Und wer schützt uns vor einer derart aufgeblasenen 4. Macht?

Springer als Bezugspunkt ist weder neu noch originell

Trotz der seiner Klientel geschuldeten salvatorischen Klausel („Springer ist dafür der unwahrscheinliche Kandidat“) meint Augstein es ganz ernst. Er ruft die gegenseitige Abhängigkeit zwischen dem selbst- wie machtbewussten Verlag als Repräsentant eines Journalismus, der „vielleicht“ und einer Demokratie aus, die „ganz sicher nicht gut genug“ seien.
Das ist nicht nur anlassbezogen. Bereits bei seinen Vorstellungen zu „Öffentlichkeit 2.0“ im November 2009 hatte Augstein Vorstandschef Mathias Döpfners Wirken als paradigmatisch beschrieben, freilich noch mit einer gewissen kritischen Distanz:

[N]atürlich [ist] der Vorwurf, den auch Döpfner … wiederholte, das Netz bediene sich kostenlos und gegen den Willen der Verleger, unsinnig. Von den Unterzeichnern der Hamburger Erklärung liefert niemand so viel Nachrichtenmaterial an den News-Dienst von Google wie Burda und Springer – und zwar vollkommen freiwillig. Der Vorwurf ist ausgedacht.“

Aber im Ergebnis, und auf Beiträge von Nichtjournalisten bezogen, zeigte sich Augstein so beeindruckt, sich Döpfners Parole zu eigen zu machen,

dass in Zukunft Blogger und Journalisten zusammenarbeiten werden. Nach selbstgewählten Spielregeln.“

Der Blick zurück in die Zukunft ist ein Lehrstück, was diese Spielregeln sind, die selbstgewählten, die der Demokratie und wie sie sich auswirken. Denn die heißen im Abstand von dreieinhalb Jahren u.a. Leistungsschutzrecht. Aus dem „ausgedachten Vorwurf“ ist ein ganz konkretes Verbot geworden, „Presseerzeugnisse“ bis auf „einzelne Wörter oder kleinste Textausschnitte“ zu zitieren; das gilt auch und gerade für online-Medien.

Pay-Wall und Leistungsschutzrecht sind zusammen zu lesen

Allerdings nicht nur in Richtung nun ermöglichter mittelbarer Zensierung gegen Blogger ist das Leistungsschutzrecht relevant, sondern vor allem wegen dessen enger inneren Verzahnung mit der Pay-Wall. Den Zusammenhang hat Thomas Stadler (Internet-Law) unter Verweis auf ein Urteil des Bundesgerichtshofes vom April 2010 aufgezeigt. Zitat Stadler:

[D]er BGH sagt sinngemäß, dass derjenige, der seine Inhalte frei zugänglich ins Netz stellt, dann auch mit den üblichen Nutzungshandlungen von Suchmaschinen rechnen muss und in diese einwilligt. Solange die Verlage ihre Inhalte also frei zugänglich – und regelmäßig sogar suchmaschinenoptimiert – ins Netz stellen, willigen sie damit in die übliche Darstellung durch Suchmaschinen ein. Es steht ihnen frei, die Indizierung durch technische Maßnahmen zu unterbinden.“

Oder, wie wir von Springer und Adlaten nun lernen dürfen, die Inhalte werden einfach nicht mehr frei zugänglich abgeliefert. Dann können sich Verlage ggfs. ans Abkassieren der aus ihrer Sicht: Geldmaschine google machen.

Man darf also angesichts dieser Win-win-Situation der Verlage auch gespannt sein, wie die „Zusammenarbeit zwischen Bloggern und Journalisten“ ab kommenden 1. August aussehen wird, dann tritt das Gesetz nämlich in Kraft.
Lukas Heinser hat am vergangenen Donnerstag auf BILDBlog mit zwei gescannten Seiten aufgemacht, um die Methoden des Blattes zu illustrieren. Auch Stephan Niggemeier kam bei seiner Artikelserie zu „Lügen fürs Leistungsschutzrecht“ nicht ohne umfängliche Zitate als Beleg aus.
Dass für die kommende Legislaturperiode erwartet wird, die Möglichkeiten auch zur Durchsetzung der verlegerischen Rechte zu stärken, macht die Aussichten nicht rosiger - Hadopi oder eine vergleichbare Struktur und die three-strikes-Regelung lassen vorab grüßen, mit denen Nicolas Sarkozy in Frankreich seine Klientel und Sponsoren bedient hatte.

Herrschaftskontrolle nach Gutsherrenart

Für Augstein scheint das alles vernachlässigbar zu sein, was man einem wirtschaftlich orientierten Verleger, der sich ungern in die Karten schauen lässt, noch nachsehen mag. Aber nicht dem Journalisten und Chefredakteur, der in seinem Artikel und einem -> abendlichen Kommentar ganz zentral die Rolle der „Herrschaftskontrolle“ durch die Presse ins Spiel bringt und sie zu den Springer-Medien beispielhaft gesellt. Auch hier lohnt eine Rückschau nach vorne.

Zum einen ist nirgends die faktische Nähe zur politischen Macht so deutlich geworden als in der Selbstverständlichkeit, mit der ein Ex-Bundespräsident Christian Wulff am 12.12.2011 zum Telefonhörer gegriffen hat, um Kai Diekmann zu kontaktieren. Eine Selbstverständlichkeit, die es nicht gegeben hätte, wäre Wulff vorher nicht von dem demselben Blatt in opportunistischer Weise hochgejazzt worden, bis dieser erst einmal präsidiabel war. Das mittlerweile hinreichend bekannte Foto einer innigen Umarmung zwischen einem Vizekanzler Rösler und demselben Herrn aus der BILDEtage braucht ebenfalls keines weiteren Kommentars mehr - Zeit-im-Bild-Chef Armin Wolf (Österreichischer Rundfunk) hat es mit #lovebirds treffend genug ausgedrückt.

Weitaus bedeutsamer ist aber das Verhältnis des Hauses Springer, allen voran BILD und Bild.de, zur eigenen Machtentfaltung. Hier gilt es ebenso schlicht wie einfach festzustellen, dass Menschenrechte der von diesen Medien aufs Korn genommenen Personen mit Füssen getreten werden, wie unlängst der Bundesgerichtshof (Urteil vom 19. März 2013, Az: VI ZR 93/12) ausgeführt hat:

Wegen der aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz) folgenden und in Art. 6 Abs. 2 der europäischen Menschenrechtskonvention anerkannten Unschuldsver-mutung und einer möglichen durch die Medienberichterstattung bewirkten Stigmatisierung war die Veröffentlichung im Juni 2010 wegen einer Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers rechtswidrig.“

Kein anderes Medium als die beiden Genannten ist häufiger zu lesen, wenn es um Maßnahmen des Presserates geht, mögen sie verdeckt oder öffentlich sein. Alleine im ersten Quartal 2013 sind BILD und ihr online-Pendant 5 Mal gerügt worden, in jedem der behandelten Fälle ging es um einen Verstoß gegen Ziffer 8 des Pressekodex‘, unter anderem wegen Verletzung des Opferschutzes. Das ist für den eher papierenen Tiger Presserat jede Menge Holz. Über die Jahre betrachtet dürfte die Grafik aus der online-Enzyklopädie WikipediA aussagekräftig sein:

http://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/f/f2/Geruegte_Medien.svg/375px-Geruegte_Medien.svg.png

Macht ist nicht eine vierte, sondern die Entscheidung der Leser

Derart rigoroses Vorgehen führt unwillkürlich zu der Frage: Wer schützt uns vor diesen Kontrolleuren? Die vorsätzlich (die Grenzen sind ihnen oft genug auch höchstrichterlich aufgezeigt worden) so lange sogar gegen die eigenen wie selbstbestimmten ethischen Regeln verstoßen, bis diese nicht mehr erkennbar sind.
Und zwar so sehr, dass sich der ehemalige Verfassungsrichter Winfried Hassemer in „Pranger der Prominenz“ veranlasst sah, den Medien nicht nur deren Exzesse vor Augen zu führen, sondern deren Treiben zu Recht als gefährlich zu bezeichnen. Kaum zu erwarten, dass dann, wenn es dem Verlag einmal besser gehen sollte, nicht doch jeden gefühlten Tag abwechselnd ein anderer seiner Schreiberlinge durch Zügellosigkeiten welcher Art auch immer auffällt.

Alles das packt Jakob Augstein in den eingangs erwähnten salvatorischen Satz, um sich dann über andere Akteure herzumachen: Zyniker, Apokalyptiker, Ruchlose, Fundamentalisten – das Netz, das Journalismus und Demokratie untergrabe.

Für die Klarstellung wäre dem Mann sogar noch zu danken, denn die Personenbeschreibungen hätten in Sachen Apokalypse bestens auf ihn gepasst, ansonsten sind sie das Markenzeichen der Leute von der Zeitung mit den vier Buchstaben. Und ließe sich humorig fortschreiben: Dass wir demnächst ein Obolus entrichten dürfen, damit die Anarchie in geordneten Bahnen verläuft.

Ein Hauch von Orson Welles

Die Aussage ist im Kern aber so grob, dass an dieser Stelle der Hinweis genügen muss: Netz ist nicht nur Information, deren Vermittlung und Konsum. Netz ist tägliche Interaktion. Was in grauer Vorzeit lokal von Mund zu Mund ging, geht heute von Tastatur zu Tastatur – schnell, gerichtet, weltumspannend. Und so etwas findet gerade bei Anfeindungen immer eine Lösung.

Wann etwa die ersten inoffiziellen Lesezirkel operativ werden, die sich untereinander den jeweils einzeln erworbenen Content per Wechselspeicher zuschieben, ist nur eine Frage der Zeit. Höchst illegal natürlich, weswegen ich mich selbstverständlich jetzt schon und höchst vorsorglich von solch üblen Machenschaften distanziere.

Die große Frage bleibt: Warum lenkt Augstein von der Verantwortung der Verlage ab, deren -> Ramschmentalität ebenfalls vor Jahr und Tag beschrieben worden ist? Was veranlasst ihn, „das Netz“ an den Haaren zu ziehen statt der unübersehbaren -> Gigantomanie im deutschen Zeitungswesen? Wo bleibt das kollusive Zusammenwirken zwischen politischen und verlegerischen Interessen, die sich in der jeweiligen Immunisierung treffen?
Denn die im Artikel vermittelte, nennen wie sie: Einsicht in Notwendigkeiten, lässt sich, nachdem zwischenzeitlich sogar kongeniale Lesegeräte und entsprechende Apps eingeführt wurden, heute auch anders zusammenfassen - der Stoff wurde immer billiger gemacht, das Konsumbesteck attraktiver, nun heißt es nur noch, die Angefixten marktkonform zu betreuen. Die Pusher haben sich bis in den Boulevard vorgearbeitet.

Motive sind Schall und Rauch. Tatsache aber bleibt: Jakob Augstein hat einer einfachen wie verlogen begründeten ökonomischen Entscheidung die höhere Weihe des Staatstragenden verliehen.
Und sich damit als Steigbügelhalter einer Hearstisierung der deutschen Medienlandschaft erwiesen. Die Bedeutung eines Kane erlangt er damit nicht mehr, das mit dem Citizen hat er möglicherweise verspielt. Willkommen in der Vision.e2m

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Geschrieben von

ed2murrow

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ed2murrow

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