Der Fall Oskar Lafontaine(s)

Die Linke Der ehemalige SPD-Finanzminister und Vorsitzende der Linkspartei ist aus der Partei ausgetreten. Der Schritt ist nur konsequent, denn bereits seit einigen Jahren lebten sich die Partei und Lafontaine auseinander

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Oskar Lafontaine bei einem Kongress der Linkspartei im Jahr 2012
Oskar Lafontaine bei einem Kongress der Linkspartei im Jahr 2012

Foto: Carsten Koall/Getty Images

Es ist geschehen: Der ehemalige Vorsitzende der Linkspartei und selbsternannte Saarkönig Oskar Lafontaine ist aus der Partei ausgetreten. Kurz vor der Landtagswahl im Saarland am 27. März 2022 scheinen sowohl Partei als auch Fraktion vor einem Scherbenhaufen zu stehen. Dabei hat es sich schon länger angedeutet: Lafontaine hatte sich mit der Partei zerstritten und forderte bis zuletzt eine Annäherung, wenn nicht Vermählung, mit der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (SPD). Dass er der Partei (und Politik?) nun den Rücken kehrt, wird bei vielen für ein Aufatmen sorgen. Denn der fast 80-Jährige provozierte während seiner politischen Laufbahn immer wieder mit Äußerungen, die mal mehr mal weniger gegen die Politik der Linkspartei gerichtet waren. Nichtsdestoweniger darf nicht verschleiert werden, dass gerade dank Lafontaine die Linkspartei im westlichen Bundesland mit soliden Wahl- und Umfrageergebnissen abschneiden konnte. Als ehemaliger Finanzminister der SPD und lautstarker Kritiker realsozialdemokratischer Politik machte er sich über die Parteigrenzen hinweg einen Namen.

Während der 1990er-Jahre fand der relative Aufstieg Lafontaines statt. Kurz nach der sogenannten Wiedervereinigung kritisierte er den Schritt und warnte vor negativen ökonomischen Folgen für die inzwischen neuen Bundesländer – eine Warnung, die sich bis heute bewahrheitet. Stets im Schatten Gerhard Schröders war er ab 1998 Finanzminister der ersten rot-grünen Regierung, die für massive Einschnitte in der Innen- und Außenpolitik der BRD sorgte. Immer wieder sah er sich im Clinch mit dem ehemaligen Bundeskanzler Schröder, doch ein sehr tiefer Einschnitt war die Bombardierung Jugoslawiens und die Rolle der BRD im Rahmen des transatlantischen Militärbündnisses NATO. Während der grüne Außenminister Joschka Fischer den militärischen Einsatz mit Auschwitz begründete, definierte Lafontaine ihn als eklatanten Bruch mit dem Völkerrecht. Heute, im Zuge des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine, werden Parallelen im Zusammenhang mit dem Kosovo wieder deutlicher.

Vulgär und oberflächlich

Die sozialpolitische Entwicklung, welche die arbeiterfeindlichen Hartz-Gesetzgebungen auf den Weg brachte, markierte hiernach den finalen Bruch mit der realsozialdemokratischen Politik. Als 2004 die Montagsdemonstrationen als Reaktion auf die desaströse Politik der SPD entstanden und sich mit der Wahlalternative für Arbeit & Soziale Gerechtigkeit (WASG) eine faktische linke Abspaltung entwickelte, wurde Lafontaine ihr Sprecher und ihre populärste Figur. Die Verschmelzung mit der Partei des Demokratischen Sozialismus (PDS) hin zur Linkspartei ließ nicht lange auf sich warten, womit das Projekt einer sozialistischen Partei links der SPD Fahrt aufnahm. Doch wie links und sozialistisch ist Oskar Lafontaine tatsächlich? Viele Stimmen warfen ihm (sozialen) Populismus vor, der nicht davor zurückschrecke, am rechten Rand Wähler*innenstimmen zu fischen.

Geradezu signifikant ist seine Haltung zur Einwanderung in die BRD, die er im Sinne der herrschenden Klasse als Instrument versteht, mit welchem die deutsche Arbeiter*innenklasse attackiert wird. Sein Verständnis von Klassenpolitik und sozialistischer Theorie scheint kaum ausgeprägt zu sein, zu vulgär und oberflächlich sind seine Argumente, die er stets mit linker Politik eher zu vermengen versuchte. Sahra Wagenknecht, Lafontaines Ehefrau, spielt bei der Frage der Einwanderung auf derselben Klaviatur.

Diese Argumentation wurde nach dem Erstarken der Alternative für Deutschland (AfD) wiederholt: Der respektive die Ausländer*in hat Schuld, das Nationalbewusstsein gelte es zu stärken. Die jüngst etablierte Vokabel des Linkskonservatismus, gemünzt auf Wagenknecht, scheint hier ebenfalls ihre Wirkung zu entfalten, wenngleich es sich streng genommen eher um einen nationalistisch-sozialdemokratischen Diskurs handelt, der sich tradierter Werte bedient. Entwicklungen wie diese schoben Lafontaine (und auch Wagenknecht) langsam aber sicher an den Rand der Partei, welche sich als populistisches Auffangbecken für verschiedene progressive und sozialistische Ideen kaum mit diesen Idealen anfreunden konnte. Sowohl Reformist*innen als auch Revolutionär*innen innerhalb der Linkspartei finden keinen Anschluss an die lafontaine’schen Theoreme.

Kein Klassenverständnis

Im Zuge der Coronapandemie und deren Management entpuppte sich Lafontaine ebenfalls als Enfant Terrible, das auf der Welle des Skeptizismus schwimmt. Wenngleich er die Pandemie und das Virus nicht leugnet, verkennt Lafontaine die Gefahr und Problematik hinter dem Umgang damit und stimmte in den Ruf derer mit ein, die von einer Panikmache schwadronierten. Die politische Linke ist in der großen Mehrheit auf der Seite der Wissenschaft, derweil Oskar Lafontaine sich eines Idealismus’ bedient, der auch vor verschwörungstheoretischen Anleihen gegen eine Impfung nicht halt macht. So verbreitete er beispielsweise die Falschmeldung, der Gründer von BionTech würde sich nicht impfen lassen. Augenscheinlich ist der Selektivismus Lafontaines einer, der einerseits zwar soziale Ungleichheiten wahrnimmt und anprangert – so zum Beispiel den Pflegemangel –, andererseits sind seine Lösungsvorschläge sehr mechanisch und lassen jegliches Klassenverständnis vermissen. Stattdessen suhlt sich Lafontaine im nun definierten linkskonservativem Milieu, das im Hinblick auf die soziale Frage sowohl ökonomisch als auch gesellschaftlich tradierte Werte und Ideologien rezipiert.

So rasant der Aufstieg Oskar Lafontaines auch war, sein Fall war und ist ein langer, sich über die Jahre ziehender. Sein Austritt aus der Linken stellt für die Partei kurzfristig eine Problematik dar, ganz besonders im Hinblick auf die kommende Wahl im Saarland. Mittel- bis langfristig war ein Bruch ohnehin unausweichlich, da die Angriffe von innen und außen, flankiert vom lafontaine’schem Duktus, eine Minderheitenposition sind, die sich nun selbst aus dem Spielfeld katapultieren. Die Karriere Oskar Lafontaines ist hiermit offiziell beerdigt. Ob die SPD, seine nie verloren gegangene parteipolitische Heimat, jedoch ein Interesse daran hat, ihn aufzunehmen, darf angesichts der Geschichte angezweifelt werden. Andererseits hat sich auch die SPD gewandelt – Raum und Zeit für Lafontaine scheint sie jedoch nicht zu haben. Und vielleicht ist das auch gut so.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Elisa Nowak

Freie:e Journalist:in aus Konstanz

Elisa Nowak

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