Wir sind schamlose Egoisten

Griechenland Die Wut auf Deutschland wächst in der Welt. Und in Deutschland wächst die Wut auf Griechenland. Schluss damit!

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Straßenszene in Athen
Straßenszene in Athen

Foto: ARIS MESSINIS/AFP/Getty Images

Ich hatte mir vorgenommen, mich wenig medial mit dem Thema Griechenland zu beschäftigen. Zu sehr erschien mir die Informationslage überall stark eingefärbt. Lediglich statistische Zahlen zum „Erfolg“ der bisherigen „Rettungsaktionen“ und der ganz selten mal dezent eingestreute Hinweis (zuletzt auch mal von Helmut Schmidt), dass Deutschland Griechenland noch keinen einzigen Cent überwiesen hätte seit Beginn der Krise und weit mehr davon profitiere als umgekehrt, schienen mir einzuleuchten. Dennoch bleibt auch dieses Thema im Bereich der harten Fakten zu groß und kompliziert für mich, eine wirklich fundierte Meinung zu bilden. So geht es den allermeisten Menschen, hier und dort. Was bleibt einem also übrig? Entweder das Thema zu ignorieren oder auf emotionaler Ebene einen Standpunkt zu finden, unterstützt von ein paar Fakten, die man für sich als nachvollziehbar hält.

Und auch wenn ich bisher Sympathien für Varoufakis (weniger für Tsipras) und Antipathien für Schäuble hegte, versuchte ich vorsichtig zu sein mit Schlussfolgerungen. Heute stolperte ich über einen Spiegel-Online-Artikel über den Hashtag #ThisIsACoup und den anschließenden Kommentarbereich. Nach etwa 100 gelesenen Kommentaren habe ich das Verhältnis zwischen Verständnis für Griechenland und – nun ja – deutliche Abneigung gegenüber Griechenland auf 1:5 geschätzt. Die überwältigende Mehrheit protestierte gegen den Hashtag und dagegen dass Leute wie Paul Krugmann aus 8000 km Entfernung sich gefälligst rauszuhalten hätten wenn sie keine Ahnung haben. Was mir dabei aufgefallen ist: Es ist ein fataler Irrglaube dass man aus deutscher und/oder griechischer Sicht das Problem besser einschätzen könne als aus den besagten 8000 km Entfernung.

Wir sind hier alle betriebsblind. Wir fühlen uns selbst betroffen, zumindest tun diejenigen das, die glauben dass ihr ganz persönliches Steuergeld bereits in luxuriöse Strandpools griechischer Großindustrieller gewandert ist, die glauben dass wir bald unsere Renten dafür hergeben damit griechische Blinde weiter kostenlos Brillen vom Staat bekommen. Ich übertreibe. Aber nur wenig. Dass das eine sachliche Sicht auf die Dinge ist, ist ganz klar ausgeschlossen. Dass der Gedanke, Griechenland sei völlig unschuldig und Deutschland würde das Land ganz bewusst plattmachen wollen, eine sachliche Sicht auf die Dinge ist, ist ebenfalls ganz klar ausgeschlossen.

Man kann jedoch durchaus unsachlich, im Sinne von emotional, reagieren, ohne dabei auf Gut und Böse und Feindbilder zurückzugreifen. Man kann sehen, dass es Griechenland fürchterlich ergeht. Nicht den wenigen griechischen Reichen, die sich vielleicht momentan die Taschen voll machen oder zumindest nichts davon verlieren, aber den vielen nicht reichen Griechen, die vor dem Ende ihrer Existenz stehen. Gibt es im Pazifik einen Tsunami, der ganze Städte auslöscht, sind wir betroffen und spendebereit. Dabei könnten wir genauso sagen: Selbst schuld, wärt ihr halt nicht an die Küste gezogen!

Das Wort „Solidarität“ ist in Deutschland seit Einführung des Solis auf dem absteigenden Ast der Popularität in der Bevölkerung. Das ist vermutlich kein Zufall und wird vermutlich von der Mainstreampolitik nicht betrauert. Wir sind lieber bereit unseren eigenen Cousin verhungern zu sehen, wenn er sich zum Teil selbst in die missliche Lage gebracht hat, als ihm immer wieder etwas zu essen abzugeben von dem was wir immer noch im Überfluss haben. Moment. Wenn wir von unserem tatsächlichen Cousin sprechen würden, wäre hinter diesem Satz ein Fragezeichen, nicht wahr? Gut, er ist nur der Cousin, nicht der Bruder. Und wir mögen ihn eigentlich nur weil er einen schönen Garten am Flussufer hat und wir nicht. Wer weiß, wenn er wirklich zugrunde geht, vielleicht erben wir ja seinen Garten. Das wäre doch eine Win-Win-Situation, nicht wahr?

Wir sind schamlose Egoisten (geworden), das ist nicht wirklich überraschend aber zutiefst traurig. Diejenigen unter uns, die nicht nur schamlose Egoisten sind, sondern der Empathie außerhalb des engsten Kreises fähig sind, sollten unsere Botschaft überdenken. Nicht dem „Fuck Greece“ ein „Fuck the EU“ oder „Fuck Schäuble“ entgegensetzen, das schafft nur noch mehr Antagonismus. Vielleicht sollten wir wirklich – wie von einigen der Spiegel-Kommentare zynisch vorgeschlagen – per Crowdfunding etwas gutes für die Griechen tun, wenn unsere Regierungen das schon nicht für angemessen halten. Und vielleicht mit #HugAGreek (bitte gerne bessere Vorschläge) eine positivere Message über die Twitters und Instagrams der Welt schicken. Seid Hippies! Seid Menschenfreunde! Peace out!

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

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