Wir müssen die Geldmacht stürzen!

Revolution? Demokrapitalismus am Ende?(5) Wie soll die vielbeschworene Revolution aussehen? Und warum ist dort immer von der Politik die Rede wenn unser Ziel ein anderes sein sollte?

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Und sie reden wieder über die Revolution. Diese Revolution, die den alten Affen Kapitalismus zu Grabe tragen wird. Über den Moment an dem es reicht. Und zwar allen. Über den Moment an dem die Politikgesichter von heute mit schamesgesenktem Haupt durch den Hinterausgang einer vergangenen Ära schlüpfen um im Nimbus der Zeit zu Mahntafeln zu erstarren.Über den Moment, an dem die Menschen wieder miteinander anstatt gegeneinander in die Zukunft schreiten. Ohne Angst, Hass und Hunger. Und wenn man sie fragt Wie, wenn man ihnen das Wie entgegenschleudert wie einen Speer aus Alternativlosigkeit, dann haben sie Antworten! Und der Speer zerbirst zu Staub. Und der Staub wird von den Winden des Himmels in alle Ecken der Welt getragen und die Menschen überall rufen Seht! Die Alternativlosigkeit ist Geschichte, besiegt! Es gibt eine Lösung! Die Weltformel für den Gordischen Knoten ist gefunden! Wenn nur alle an einem Strang ziehen!

So geht sie, die Fabel von der nahen Zukunft. Und so oft wenn über „die Revolution“ gesprochen wird, geht es um die Politik. Dass wir eine ganz neue Politik brauchen, ganz neue Politiker, ganz neue Gesetze, ganz neue Regeln des Zusammenlebens. Doch unsere Chance liegt nicht in der Politik. Die Politik ist willfähriger Vasalle des Kapitals, der Geldmacht. Der Geldmacht ist alles untergeordnet: Legislative, Judikative, Exekutive und die vierte Gewalt, die Medien. Wenn wir versuchen, diese zu verändern, zu stürzen, werden wir nichts erreichen. Wir müssen die Geldmacht stürzen.

Das Prinzip des Turbokapitalismus, Raubtierkapitalismus, Brandschatzkapitalismus ist das Wachstum. Das bösartige Karzinom der Expansion. Die alles verschlingende doomsday machine. Goldman-Sachs, Monsanto, Nestlé, Rupert Murdoch … die Liste geht weiter, aber sie ist nicht sehr lang. Wir sollten sie uns alle aufschreiben und auswendig lernen. Doch wie lässt sich etwas riesiges besiegen, von einfachen, machtlosen Menschlein? Durch Bomben, Hacker, Sabotage? Nein. Durch Aushöhlen.

Wir können die Riesen besiegen, indem wir sie nicht mehr wahrnehmen, sie ignorieren. Wir wenden uns „einfach“ ab. Wir kaufen ihre Produkte nicht mehr, wir benutzen ihren Strom nicht mehr, wir holen uns keine Kredite und keine Informationen mehr bei ihnen. Wir kaufen regionale Produkte aus ökologischem Anbau. Wir installieren kommunale Bürgerkraft- und -netzwerke. Wir kaufen uns nicht jedes Jahr ein neues Handy, wir gehen nicht jeden Monat neue Klamotten kaufen, wir rennen nicht jedem Modetrend hinterher, wir kaufen uns nicht den 4K-Megafernseher von Samsung, dessen wahnsinnige Auflösung kein menschliches Auge wahrnehmen kann, wir backen selber Kekse und lassen die fertigen im Regal stehen, wenn wir Fleisch essen, dann nur vom Hof eines Jägers oder Bauern in der Umgebung, wenn wir Fisch essen, dann verdammt nochmal keinen Thunfisch mehr, wir verbrauchen unsere Zahnpasta, unser Duschgel, unsere Hautcreme bis auf den letzten Tropfen, wir quetschen den letzten Rest heraus, bevor wir uns neues kaufen, wir trinken Wasser nur noch aus der Leitung, meinetwegen mit einem Wassersprudler in Mineralwasser verwandelt, wir gehen nicht mehr zu McDonald's, Burger King oder Pizza Hut, wir gehen ab und zu zum Bücherkauf mal in einen Bücherladen, wir gehen ab und zu zum Musikkauf mal in einen Plattenladen. Und wir reden darüber mit anderen, wir stecken sie an. Ohne dabei die Missionsflagge zu hissen.

All das zu bewerkstelligen ist natürlich für den Einzelnen ein Ding der Unmöglichkeit. (Ein Schritt, uns diese Maßnahmen zu ermöglichen, wäre das bedingungslose Grundeinkommen.) Doch wenn jeder einen Teil davon beherzigt, und die Umstellung ist wirklich keine Everestbesteigung, dann graben wir der Geldmacht das Geld ab und damit die Macht. Wir verteilen die Marktmacht wieder an alle. Wir reißen den Monopolisten das Monopol aus den Händen und in Millionen Fetzen. Wir brauchen dazu keine Politiker. Wir brauchen sie auch nicht zu stürzen.Wenn die Geldmacht am Boden liegt, wird neu verhandelt.

Das ist ein Idealismus. Idealismus aus dem Munde eines Pragmatikers. Beinahe ein Oxymoron. Und für viele klingt es sicherlich naiv und weltfremd. Doch dieser Weg ist der einzige der mir auch nur entfernt machbar erscheint. Die weltweite politische Revolution wird es nicht geben. Und den Planeten im dritten Weltkrieg versinken lassen wäre ein Verbrechen an allem was lebt. Wir können nicht alle Aussteiger werden. Aber wir können alle ein bisschen aussteigen aus dem Überfluss-Wahnsinn. Je seltener wir Klamotten kaufen, desto eher können wir uns auch Fair Trade Kleidung leisten. Je seltener wir Fleisch essen, desto eher können wir uns auch Biofleisch leisten. Je weniger wir Auto fahren, desto eher können wir uns ein wirklich spektakulär großartiges Fahrrad leisten. Je mehr wir auf Energieeffizienz und Stromsparen achten, desto eher können wir uns Ökostrom leisten.

Wir haben es in der Hand. Das glaube ich wirklich. Und der Zyniker in mir schaut mich ungläubig im Spiegel an.

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Geschrieben von

Ernstchen

Wortbürger. Musikmann. Mitmensch.

Ernstchen

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