Linksextremes Deutschland?

Befragung Forscher wollen herausgefunden haben, dass 17 Prozent der Deutschen potenziell linksextrem sind. Die Zahl sagt wenig aus – trotzdem ist die Studie interessant
Wer gegen Überwachung ist, ist gegen Demokratie?
Wer gegen Überwachung ist, ist gegen Demokratie?

Foto: imago / IPON

Übernehmen die Linksextremisten bald die Macht in Deutschland? Forscher der Freien Universität Berlin haben die Bevölkerung befragen lassen und kommen zu dem Ergebnis: „Linksextreme Einstellungen sind weit verbreitet“. Die Studie wird in vielen Medien aufgegriffen, gerne auch mit der unterschwelligen Botschaft, die Situation werde verharmlost. Dabei ist Panikmache genauso verkehrt wie die der Studie zugrunde liegende Extremismustheorie, die Linke und Rechte in einen Topf wirft. Trotzdem lassen sich interessante Schlüsse aus der Befragung ziehen.

Der Forschungsverbund SED-Staat hat das Meinungsforschungsinstitut Infratest Dimap beauftragt, fast 1.400 Personen wurden interviewt. Die Ergebnisse haben Klaus Schroeder und Monika Deutz-Schroeder nun in einer dicken Studie veröffentlicht. Und was ist herausgekommen? Vier Prozent der Bevölkerung weist ein „geschlossenes linksextremes Weltbild“ auf, dreizehn Prozent stimmen einzelnen Aspekten zu. Das „linksextreme Personenpotenzial“ liege somit bei 17 Prozent – im Westen bei 14, im Osten bei 28 Prozent.

Gegen Überwachung? Demokratiefeind!

Diese Zahlen sind wenig aussagekräftig, denn sie hängen davon ab, wie Linksextremismus definiert wird. Die Wissenschaftler räumen in einer Pressemitteilung sogar ein, dass „die Trennlinie zwischen radikaler und extremer Linker schwer zu ziehen“ sei. Sie selbst meinen, dass Radikale „Teil des demokratischen Systems“ seien, während Extremisten „die demokratischen Grundrechte abschaffen“ wollen. Dann hätten sie das für ihre „Linksextremismusskala“ aber auch abfragen müssen und nicht diverse politische Einstellungen, von Antifaschismus über Kapitalismus und Rassismus bis zur Extremismustheorie selbst.

Besonders absurd: Wenn man der Aussage zustimmt, dass die Gesellschaft „durch die zunehmende Überwachung durch Staat und Politik (…) immer mehr zu einer Diktatur“ wird, ist dies aus Sicht der Autoren ein Indiz für Linksextremismus – und damit für den Willen zur Abschaffung der demokratischen Grundrechte.

Jeder Sechste will Nationen abschaffen

Dennoch sind die Studienergebnisse interessant, wenn man sie genau betrachtet. Beachtlich ist vor allem die Zustimmung zu der These: „Der Sozialismus/Kommunismus ist eine gute Idee, die bisher nur schlecht ausgeführt wurde.“ 42 Prozent der Befragten halten diesen Satz für richtig, in Ostdeutschland sind es sogar 59 Prozent. Viele, die unter dem SED-Regime gelebt haben, glauben also weiterhin an eine bessere Gesellschaft, während viele Westdeutschen ohne eigene Erfahrungen den Sozialismus und Kommunismus rundheraus ablehnen. Das sollte zu denken geben.

Es gibt genau eine Aussage, die sogar von der Mehrheit der Befragten unterstützt wird (61 Prozent): „Unsere Demokratie ist keine echte Demokratie, da die Wirtschaft und nicht die Wähler das Sagen haben.“ Auch wenn sie in ihrer Absolutheit durchaus fragwürdig ist, zeigen die Werte doch ein großes Unbehagen gegenüber dem Einfluss von Wirtschaftslobbyisten auf die Politik.

Zudem sind erstaunlich viele Menschen für eine radikal andere Flüchtlingspolitik. Jeder Dritte (33 Prozent) findet: „Deutschland sollte prinzipiell alle Personen aufnehmen, die in unserem Land Zuflucht suchen.“ Und jeder Sechste (16 Prozent) meint: „Nationalstaaten sollten abgeschafft werden.“ Die Zustimmungswerte sind in Westdeutschland geringfügig höher, während es bei den Fragen zu Kapitalismus und Sozialismus anders herum ist.

Insgesamt sind die Deutschen offenbar deutlich offener für linke Utopien als man es vermuten würde, wenn man sich ansieht, wie oft die Forderungen nach Sozialismus oder offenen Grenzen in den Medien vorkommen. Linke können die Studie also als Aufforderung für eine stärkere Einmischung in die öffentliche Diskussion verstehen: Seid mutig, seid laut, seid radikal!

Nur für kurze Zeit!

12 Monate lesen, nur 9 bezahlen

Geschrieben von

Freitag-Abo mit dem neuen Roman von Jakob Augstein Jetzt Ihr handsigniertes Exemplar sichern

Print

Erhalten Sie die Printausgabe zum rabattierten Preis inkl. dem Roman „Die Farbe des Feuers“.

Zur Print-Aktion

Digital

Lesen Sie den digitalen Freitag zum Vorteilspreis und entdecken Sie „Die Farbe des Feuers“.

Zur Digital-Aktion

Dieser Artikel ist für Sie kostenlos. Unabhängiger und kritischer Journalismus braucht aber Unterstützung. Wir freuen uns daher, wenn Sie den Freitag abonnieren und dabei mithelfen, eine vielfältige Medienlandschaft zu erhalten. Dafür bedanken wir uns schon jetzt bei Ihnen!

Jetzt kostenlos testen

Was ist Ihre Meinung?
Diskutieren Sie mit.

Kommentare einblenden