Billige Effekthascherei oder sinnvolle Realpolitik? Die Minister der neuen griechischen Linksregierung verzichten auf ihre Limousinen und fahren mit ihrem Privatwagen, Taxi oder Motorrad. Und wenn die Syriza-Politiker fliegen, sollen sie ebenfalls sparsam sein und in der billigeren Economy-Klasse sitzen. Ein erstes Foto mit Finanzminister Giannis Varoufakis im Flugzeug geht bereits um die Welt, über den Kurznachrichtendienst Twitter.
Die Linksallianz Syriza hat in den ersten Regierungstagen schon einiges erreicht: Privatisierungsstopp, einen höheren Mindestlohn, die Einbürgerung tausender Migranten, die Entwaffnung der Polizei bei Demos. Man könnte meinen, angesichts dieser ersten Bilanz falle der geplante Verkauf der Dienstwagenflotte nicht ins Gewicht. Doch es geht um mehr als Symbolpolitik. Mit der neuen Mobilität ändert sich auch die Weltsicht der Regierungspolitiker.
Alle Limousinen stünden zum Verkauf, berichtet Spiegel Online. Darunter befinde sich auch ein Luxus-BMW, der alleine schon 750.000 Euro wert sei. Ministerpräsident Alexis Tsipras wolle weiterhin einen einfachen Audi A4 fahren, den er schon als Oppositionspolitiker hatte.
Die Medien lieben solche Geschichten
Nun könnte sich eigentlich die Deutsche Umwelthilfe des Themas annehmen. Die Organisation untersucht regelmäßig die Fuhrparks deutscher Politiker in Bund und Ländern – und veröffentlicht Rankings zum CO2-Ausstoß. Natürlich sind die paar Autos nicht entscheidend für das Weltklima, die Umwelthilfe könnte andere Dinge tun. Doch sie pocht auf die Vorbildfunktion der Politiker.
Um ein Zeichen geht es auch der griechischen Regierung. Sie müsste die Flotte nicht verkaufen – schließlich ist Syriza doch gegen das „Spardiktat“ angetreten und durch höhere Steuern für die Reichen ließe sich auch der bisherige Fuhrpark problemlos finanzieren. Aber dann würde sich Syriza die positive Berichterstattung entgehen lassen. Die Medien lieben Geschichten von bürgernahen Politikern, die mit dem Sparen bei sich selbst anfangen. Wenn die Autos verkauft werden, verstehen das auch die Bürger, die von Troika und Schuldenschnitt keine Ahnung haben.
Man kann natürlich kritisieren, dass die Politiker an ihrem vermeintlich privaten Verhalten gemessen werden. Und es stimmt: Natürlich kann ein Minister ganz wunderbare Politik machen, auch wenn er mit einem dicken Mercedes die Luft verpestet. Doch oft lassen sich an privatem Verhalten auch die grundlegenden Überzeugungen erkennen. Wem geht es um Reichtum, um Gerechtigkeit, um Umweltschutz, um postmaterielle Werte? Für die Wahl sollten selbstverständlich die politischen Handlungen entscheidend sein.
Eine andere Weltsicht
Der Umstieg von der Limousine auf Privatwagen, Taxi oder Motorrad kann aber auch die Politik verbessern. Die Minister fühlen sich nicht der Elite zugehörig, sondern haben das Gefühl, zumindest mehr oder weniger ein normaler Bürger zu sein. Das ändert die Weltsicht, schärft den Blick für die Probleme der Durchschnittsgriechen. Dass so viele Regierungspolitiker in aller Welt Gesetze beschließen, die nicht im Interesse der Gesamtbevölkerung sind, dürfte auch damit zusammenhängen, dass sie den Kontakt zur Basis verloren haben. Syriza will das offenbar anders machen – zumindest im Rahmen der Möglichkeiten.
In der Schweiz soll es üblich sein, dass Regierungsmitglieder den öffentlichen Personennahverkehr nutzen. Und in Deutschland ist der Linken-Politiker Hubertus Zdebel wohl eher die Ausnahme: Er besitzt wie alle Bundestagsabgeordneten eine Netzkarte der Bahn und darf kostenlos in der ersten Klasse durch Deutschland fahren – er setzt sich aber lieber in die zweite Klasse, auch wenn die Wagen überfüllt sind. „Ich will wissen, was die normalen Menschen denken, worüber sie reden.“
Ob die griechischen Minister auf ihren Fahrten die Sorgen der Bürger kennen lernen, ist zwar fraglich. Vielleicht sollten sie besser mit Bus und Bahn fahren. Das würde sicherlich auch die Deutsche Umwelthilfe noch mehr freuen.
Kommentare 11
Der Wert symbolischer Formen und Gesten ist gar nicht zu unterschätzen, Herr Werdermann. Sogar eine ganze Philosophie (Ernst Cassierer) kann daran festgemacht werden.
Selbst die bessere, weil wissenschaftlich fundierte, Erkenntnis, ist auf das Mittel der Repräsentation angewiesen. Nur wenig leuchtet aus sich selbst heraus, ausreichend heilig.
Derzeit habe ich einfach ein gutes Gefühl, in Griechenland seien nicht die üblichen Verdächtigen erwählt worden. Die handelnden Personen wirken so viel weniger verstaubt und auch von sich selbst ausreichend überzeugt, ohne unsympathisch und dogmatisch zu sein.
Wieviel davon schleift die "Einnordung" ab, die man Mainstream- medial und EU- politisch, den Neuen abverlangen möchte, noch bevor sie die ersten 100 Tage auf dem Buckel haben?
Griechenlands Finanzminister tritt ein wenig auf, wie einst Grüne mit Joschka Fischer, Petra Kelly, Otto Schily. Hoffentlich bleibt ihm der Marathon und die anschließende Verfeistigung in Geist und Physis erspart! Jedenfalls ist da kein Bierzeltler am politischen Werk.
Es besteht zunächst einmal Hoffnung auf Lieferung. Das ist so wohltuend, wie zuletzt die Reaktion der französischen Bürger auf die Anschläge in Paris.
Beste Grüße
Christoph Leusch
PS: Dürfen nun auch Easy Rider (Chopper), City Hopper, Elektro Roller, z.B. das "Unu", Fahrräder und PS- starke Tourenmotorräder zu griechischen Dienstfahrzeugen werden? ((;-))
Das ist jedenfalls ein sympatischer Populismus.
Das Gegenstück ist der "Protz"populismus. Ist dieser überzeugender und unsympatischer in einem Land, in dem wieviele Kindergärten oder Schulen im Winter aus dem Verkaufserlös der Protzkutschen beheizt werden können? Dann brauchen einige Kinder weniger mit Handschuhen und Winterbekleidung im Klassenzimmer zu sitzen!
das ist nicht mehr als eine nette geste. denn wie wir täglich hören, fliegen die neuen herren durch ganz europa. ein jetkilometer ist so viel verschwendung wie ? limousinen-km oder bahn-km etc.
"Minister der neuen griechischen Linksregierung verzichten auf ihre Limousinen und fahren mit ihrem Privatwagen, Taxi oder Motorrad".
Dies ist ein direkter Angriff auf die deutsche Automobilindustrie und kann von Frau Merkel nicht hingenommen werden. Die Verhandlungsposition der linken Griechen gegenüber Deutschland verschlechtert sich dadurch zusätzlich. So pleite kann ein Staat garnicht sein, daß für Spitzenpolitiker keine Luxuslimousinen erschwinglich sind. Man kann doch Kredite aufnehmen!
Und dann noch der Kontakt zum Volk. Absperrungen zum Parlament werden abgerissen und Verkehrsmittel benutzt, in denen Volk sitzt. Das alles darf keine Beispielwirkung für Europa entfalten.
;-)
Die „andere Weltsicht“ der Syriza wird sich bestimmt durchsetzen. Querfrontregierungen mit konservativ-nationalistischen Parteien sind denkbar, die antieuropäischen, völkischen Kräfte innerhalb der Linken werden dadurch erstarken.
Auch die links wie rechts beliebte Öffnung für Putins Russland, der allen ernstes als „Gegenpol“ zur EU-Politik phantasiert wird übertrifft man bei Syriza noch mit den Kontakten zum ultra-nationalistischen Philosophen Dugin. So kommen Europagegner, Antiamerikaner und -semiten, Schwulenhasser und Friedensbewegte doch noch an einen gemeinsamen, völkischen Tisch.
Aber vielleicht schafft man ja doch, einige halbwegs brauchbare Ziele zu realisieren, die sich nicht im Verkauf eines Fuhrparks erschöpfen, der ja nur eine einmalige Maßnahme sein kann. Vielleicht kippt man so die Vormacht der Austeritätsideologie der deutschen Kanzlerin. Wünschenswert wäre es ja.
Ein Auto wird man wohl brauchen, als Politiker, wenn man keine starke Benachteiligung in Kauf nehmen möchte.
Aber natürlich nur ein gewöhnliches. Für den Stadtverkehr vielleicht ein zusätzliches Motorrad um durch den Stau zu kommen. Und vielleicht eine UBahnkarte für spezielle Fälle. Die Luxusautoflotte abzuschaffen erscheint mir aber vernünftig. Wenn man ohne Luxusauto ins Parlament kommt, dann braucht man auch im Parlament keines. Luxus ist da nur Korruption, seine Abschaffung kein Populismus.
Man sollte die Symbolik nicht unterschätzen. Letztendlich ist dies der erste Schritt, um anders den Menschen näher zu sein.
Derweil erleben wir im deutschen Parteiennetz oft das Gegenteil. Man beachte den Lebenswandel (auch) einiger Mandatsträger (Bund/Land) der Linken...
"... den Kontakt zur Basis verloren ..."
Dass V.I.P.s (Very Impertinent People) wie Merkel sich nicht unters normale Volk trauen, sondern sich allenthalben noch medienwirksam, Volksnähe heuchelnd, an Rentnern, Kindern oder unterbelichteten Klatsch-Affen vorbei drücken (schon in der DDR war's so üblich) – wen wundert's, dass sie sich auch aus dem Trefferbereich von nicht-journalistischen faulen Eiern und Tomaten fern halten?
Diese Leute haben nicht nur Realitätssinn und Anstand (siehe Austeritäts-Tourette), sondern – richtig – den Kontakt zu den Mitbürgern verloren oder dem Neoliberalismus geopfert: Die Wahrheit, das bin ich. Truman Show für Spitzenpolitiker und -lobbyisten.
Beispielsweise schreit diese Merkel immer noch nach UnVerträgen a la TTIP und Co., obwohl 97% der dazu befragten EU-Bürger diese entweder komplett oder in Teilen ABLEHNEN!
Woher diese Borniertheit?
Weil diese willfährige Dienstmagd nämlich sonst einen gewaltigen Tritt von ihren .... na ja, undsoweiter. [Tipp: Werbeblocker des Browsers auch auf Merkel-Fotos ansetzen, dann lassen sich Berichte und Artikel wieder zumindest von der Optik her betrachtet einigermaßen unbehelligt lesen *g*]
Also was heißt das nun für die "Realität"? Ganz einfach: Das gesamte arrogante, prahlerische, reaktionäre Politikerpack sollte sich an Tsipras und seiner so üblen Revoluzzer-Truppe bloß kein Beispiel nehmen!
Es könnte ja Schule machen.
Realpolitik hat gefälligst anders zu funktionieren. ;-)
Lieber H. Yuren, jetzt bin ich irritiert. Das kommt daher, weil ich mir nicht vorstellen kann, dass unsere an der Austeritätskrankheit (pol. Magersucht?) leidende Weltstaatsfrau in Begleitung des neuen Herrn Tsipras zu Fuß in ein Athener Krankenhaus oder eine Schule "gehen" würde, um sich von der Wirksam dieses Geiz-Virus zu überzeugen. Obwohl, so könnte aus einer netten Geste doch eine überzeugende Geste werden? Könnten wir dann vielleicht sogar hoffen, einen Zug der menschlichen Betroffenheit in ihrem Gesicht zu erkennen?
Dann könnte ich mich für einige böse Gedanken, die ich über sie hege, entschuldigen. Sie wird ihn aber wohl eher nach Berlin zitieren wollen, um ihn zurechtzustutzen.
Entschuldige meine Ironie. Mich entsetzt die neue alte Erkenntnis, dass man einem Sozialisten schon einmal gar nicht die Bereitschaft einräumt, seine Vorstellungen konkret auszuarbeiten, zu überdenken und mit einer verantwortungsbewußten Opposition eine gemeinsame Politik zum Wohle der Menschen zu gestalten.
H. G.
Ratat.
dass man einem Sozialisten schon einmal gar nicht die Bereitschaft einräumt, seine Vorstellungen konkret auszuarbeiten, zu überdenken und mit einer verantwortungsbewußten Opposition eine gemeinsame Politik zum Wohle der Menschen zu gestalten.
liebes eichhörnchen,
die linken sind nun mal spinner, die nicht mal mit einem bein auf dem boden der tatsachen stehen. von netten gesten bei den realpolitikern keine spur. die lassen sich doch nicht von den jungs in athen auf der nase rumtanzen...
bin aber trotzdem gespannt, wie das spiel ausgeht.
h. g.
helder
Lieber Helder,
linke Spinner und rechte Brutalos. Da sammel ich in meinem Voratssäckchen doch lieber noch ein paar Hoffnungsnüsse. Auch, wenn sie nur am nächtlichen Sternenhimmel durchblitzen.
Den Linken wurde in der Menschheitsgeschichte nach den Zusammenbrüchen der Brutalos immer die verbrannte Erde überlassen, zum Aufräumen. S. WK I und Weltwirtschaftskrisen und die Hintergründe aller Revolutionen. Ohne die linke Opposition hätten die Rechten nahtlos weiter gemacht. Sie hätten sich nur zwangsweise eine Demokratie genannt. Ihr Streben ist immer nicht nur das eigene Wohl, sondern der eigene Überfluss auf fremde Kosten. Feudalherrn oder Oligarchen, es ist die selbe Brut.
Brutale s.g. "freie Wirtschaft" (auf 4 Elefantenfüßen?) oder linke soziale Gerechtigkeit, (als Illusion?).
h.G.
Eichhörnchen