Thomas Gottschalk und Co.: Als wir alten weißen Männer jung waren
Gender Nichts könne man mehr sagen, klagte zuletzt der Moderator eines Millionenpublikums im Fernsehen. Unser Autor fragt sich als Angehöriger dieser privilegierten Minderheit: Ist der Hass auf uns am Ende nur Ausdruck eines Generationenkonflikts?
Mag sie nicht mehr: Thomas Gottschalk wendet sich von Ko-Moderatorin Michelle Hunziker ab
Foto: Thomas Niedermueller/Getty Images
Sonnyboy ist kein deutsches Wort. Das merkt man daran, dass viele es hierzulande falsch schreiben: „Sunnyboy“ statt Sonnyboy. Was verständlich ist. Man denkt an die Sonne, nicht ans Söhnchen. Jemand habe ein sonniges Gemüt, bescheinigt man Menschen, die Fröhlichkeit, Freude und Optimismus verbreiten. Und dass man in Deutschland dafür ein Fremdwort braucht, zeigt, dass es nicht allzu viele „Sunnyboys“ in diesem Land gibt.
Einer von ihnen, Thomas Gottschalk, hat uns am Samstag, den 25. November für immer verlassen. Nicht, weil seine Show „Wetten, dass..?“ endete, sondern weil er selber am Ende war. Schon vor jener Schlussansprache, in der er gallig verkündete, er sage „lieber gar nix mehr“, als dass ihm ein Auf
er er gallig verkündete, er sage „lieber gar nix mehr“, als dass ihm ein Aufnahmeleiter vorwerfe, er habe „wieder einen Shitstorm hergelabert.“ Die ganze Abschiedsshow war deprimierend gewesen: Seltsam lustlos, bisweilen grantig-pampig quälte sich Gottschalk durch die dreistündige Moderation.Ja, eigentlich hatte er bereits lange vor der letzten Sendung sein Gesicht verloren, sein strahlendes. Im August gab er seiner langjährigen Assistentin Michelle Hunziker den Laufpass, und das nur, weil diese mehr „redaktionelle Freiräume“ gefordert hatte. Mit den Worten „Ich brauche einen Sidekick und keine Ko-Moderatorin“ erklärte Gottschalk die Zusammenarbeit für beendet. Souverän klang das nicht. Und locker-flockig schon gar nicht. Das war nicht mehr „der Thommy“ aus „Thommys Pop Show“ und schon gar nicht die „Supernase“, die gemeinsam mit Mike Krüger bewies, dass Filme mit sinnfreier Handlung und drittklassigen Gags wunderbar funktionieren, solange die Zuschauer mit Good Vibrations zugeschüttet werden. Nein, das war ein 73-jähriger – und zum ersten Mal traute ich mich, es auszusprechen – alter weißer Mann.Ich musste daran denken, wie andere alte weiße Männer in früheren Zeiten gewesen waren. Manche, wie der im Dezember 2022 verstorbene Joseph Ratzinger, immerhin Ex-Papst, wirkten schon in jüngeren Jahren so sauertöpfisch und verkniffen, dass man sich unweigerlich fragte: „Was hat die Welt ihm angetan?“ Und beim Blick auf dessen Geburtsdatum (1927) ahnte man die Antwort. Da war jemand um eine unbeschwerte Jugend gebracht worden. Weltkrieg und Nachkriegselend hatten eine ganze Generation vorzeitig altern und verbittern lassen.Ein Teenieschwarm wird altAuf Thomas Gottschalk, Jahrgang 1950, trifft dies nicht zu. Im Gegenteil. Hier baute jemand eine komplette Karriere auf guter Laune auf. Das erkannte die „Bravo“, das Zentralorgan westdeutscher Teenager, bereits 1978. Sie präsentierte ihn auf einem der begehrten Poster, die zahllose Zimmerwände zierten, und das, obgleich Gottschalk damals nur den Radiohörern von Bayern 3 („Pop nach acht“) und den Fernsehzuschauern des Regionalprogramms des Südwestfunks („Telespiele“) ein Begriff war. Doch wer das Foto sieht, versteht warum: Der junge Gottschalk wäre auch als amerikanischer Teenieschwarm durchgegangen.Es gab damals viele, die wie der junge Gottschalk sein wollten. In den diversen studentisch geprägten K-Gruppen mochte man von Mao oder Trotzki schwärmen und den US-Imperialismus anprangern, doch die Teenager, die „Bravo“ lasen, konnten nicht genug von Amerika kriegen. Die USA; das waren Jeans und Coca-Cola, Serien wie „Die Partridge Familie“ und „Drei Engel für Charlie“, Filme wie „Saturday Night Fever“ und „Grease“ und nicht zuletzt die zahllosen Alben, die die Plattenläden fluteten. Doch vor allem waren die USA eine Projektion. Sie verkörperten die Sehnsucht nach einem anderen Leben. Eines ohne Schlips und Aktenordner. Die Kinder der „Krauts“ waren die deutsche Steifheit und Prinzipienreiterei satt. Als vier Jahre später, 1982, ein gewisser Markus „Ich will Spaß“ sang, brachte er das Lebensgefühl einer ganzen Generation auf den Punkt, das der Babyboomer.Es war mein Lebensgefühl. Ich bin ein Babyboomer. Ich gehöre zu den geburtenstarken Jahrgängen der 50er und 60er und erlebte meine Jugend als goldene Zeit. Ich wuchs in dem Bewusstsein auf, dass die Welt stetig besser wurde. Um genau zu sein: meine eigene Welt. Als Boomer gehörte ich zu der ersten Generation, die von der Pille und der sexuellen Revolution profitierte.Und vor allem von der Popkultur. Den Altvorderen mochte der Arbeitstag gehören, doch das Nachtleben war fest in unserer Hand. Die damit verbundenen Vergnügungen kosteten zwar schon damals ein Heidengeld, aber selbst ein waschechtes Arbeiterkind wie Andreas Banaski (Jahrgang 1957), der als Kid P. den Weg für den Popjournalismus planierte, hatte „zeitweise über 100 Mark im Monat. Denn besonders bedürftige Familien erhielten Schüler-Bafög. Um das Proletariat zu entwurzeln, korrumpierte die Sozialdemokratie es mit Sonderzahlungen. Ich haute das Geld für Klamotten, Platten und Konzerte auf den Kopf“ (in: „SZ Diskothek: 1975“).Auch die DDR wurde von der Liberalität nicht verschontDamit einher ging ein Gefühl von Freiheit, wie es keine Generation zuvor erlebt hatte. Überall – an Schulen, in Universitäten, im Berufsleben – wurde ich Zeuge, wie an die Stelle der alten autoritären Knochen (von denen manch einer dem Dritten Reich nachtrauerte) peu à peu progressivere Kräfte traten. Menschen, für die Toleranz keine Krankheit war und die den Rock’n’Roll nicht als Untergang des Abendlandes, sondern als Befreiung empfunden hatten. Auf dem Papier mochte in Westdeutschland die Demokratie mit Inkrafttreten des Grundgesetzes 1949 begonnen haben, doch tatsächlich dauerte es Jahrzehnte, bis das obrigkeitsstaatliche Denken einer liberaleren, offeneren Einstellung gewichen war.Die DDR durchlief in Sachen Lebensgefühl eine ähnliche Entwicklung. Da mochte Walter Ulbricht noch so heftig gegen die Beatmusik poltern, sie als „Versuch westimperialistischer Drahtzieher, die akustische Kriegsvorbereitung in die DDR zu tragen“ verteufeln und die Behörden anweisen, „in aller Härte gegen (…) diese 'Hottentottenmusik' vorzugehen.“ Sein Wunsch – „Ist es denn wirklich so, dass wir jeden Dreck, der vom Westen kommt, kopieren müssen? Mit der Monotonie des Je-Je-Je und wie das alles heißt, sollte man doch Schluss machen“ – blieb unerfüllt. Das „Yeah, Yeah, Yeah“ der Beatles war stärker als SED-Parolen. Und am Ende machte es keinen allzu großen Unterschied, ob Gilbert O’Sullivan oder Manfred Krug „Alone again“ sang.Placeholder image-1Als mit dem Fall der Mauer dann auch die letzten Politdinosaurier ihre Plätze räumen mussten, hatten wir, die (relativ) jungen weißen Männer endgültig gesiegt. Von nun würden wir das gesellschaftliche Klima bestimmen. Und wie die Alphamännchen unserer Generation dies taten! Was so unterschiedliche Charaktere wie Joschka Fischer, Thomas Gottschalk, Martin Kippenberger, Matthias Matussek, Harald Schmidt, Christoph Schlingensief, Till Lindemann, Til Schweiger, Christian Kracht, Stefan Raab und Ingo Appelt verband, war die Lust an der Provokation. Sie hatten die Erfahrung gemacht, dass es ab und an nicht schadete, Respektspersonen den Respekt zu verweigern. Und sie hatten erkannt, dass eine freche Schnauze bisweilen schneller zum Ziel führte als Katzbuckeln.Diesem Leitmotiv blieben sie treu. Sie inszenierten sich weiterhin als Lausbuben – obwohl sie auf die Midlifecrisis zusteuerten. Sie fühlten sich auch mit ergrauten Schläfen als Rebellen – und verstanden nicht, dass sie jetzt das Establishment waren. Es gab keine Autoritäten mehr, an denen sie sich hätten reiben können. Wo sie waren, war oben. Und das galt für viele der mittlerweile nicht mehr ganz so jungen weißen Männer. Sie waren ihren Weg gegangen und fanden sich mit einem Mal an der Spitze wieder.Uns überforderten die FanatikerDadurch änderte sich alles. Es macht einen Unterschied, ob sich ein Underdog oder ein Leitwolf respektlos verhält. Aber das war ihnen nicht bewusst. Was zunächst auch keinen störte. Anders als ihre steifen, grummeligen Vorgänger sorgten sie für prächtige Stimmung. Ganz gleich, auf welchem Feld sie sich betätigten, lieferten sie bestes Entertainment ab. Ein Künstler wie Christoph Schlingensief veränderte vielleicht nicht die Welt, aber es war amüsant, ihm bei seinen Aktionen zuzuschauen. Er passte perfekt in ein Jahrzehnt, in dem ein pointierter Spruch oder eine schräge Idee mehr zählten als eine buchfüllende Ideologie mit Handlungsanweisungen.Dann kam der 11. September 2001, jener unselige Tag, an dem die 90er verspätet endeten. Unerwartet sahen wir Boomer uns, die wir an nichts glaubten, Glaubenskriegern gegenüber. Das überforderte uns. Fanatikern, die jedes Wort ernstnehmen, kommt man nicht mit Ironie bei. Das begriffen wir, die inzwischen mittelalten weißen Männer, jedoch nicht. Wir machten weiter wie gewohnt.Aber unsere Kinder haben es begriffen. Auf unsere Abgestumpftheit reagieren sie mit woker Hypersensibilität. Und unseren Zynismus erwidern sie mit grenzenloser Empathie. Auf diese Weise wiederholt sich das sattsam bekannte Generationenspiel: Provokation, wütende Reaktion, noch mehr Provokation.Bei diesem emotionalen Gerangel sind unsere Kinder im Vorteil. Denn sie haben unseren blinden Fleck längst ausgemacht. Wir, die wir uns trotz Zahnersatz und Hüftproblemen als coole Freiheitskämpfer – eine Art Mischung aus Che Guevara und Mick Jagger – sehen, haben auf unserem Weg an die Schaltstellen der politischen und gesellschaftlichen Macht die Frauen und Migranten glatt vergessen. Wir blieben unter uns. Joschka Fischer hatte es uns vorgemacht. In Christian Y. Schmidts Entlarvungsbiografie „Wir sind die Wahnsinnigen“ kann man im Detail nachlesen, wie Fischer seine Kumpels aus wilden Frankfurter Tagen mit Jobs versorgte, kaum dass er am Ruder war.Wir hielten uns für weltoffenNatürlich hatten wir unsere Quotenmädels und Vorzeigeausländer. Sie waren für unser Image wichtig, ließen uns progressiv und aufgeklärt erscheinen. Das begriff sogar die CSU. Wenn Roberto Blanco auf deren Parteitag ausrufen durfte, „Wir Schwarzen müssen zusammenhalten“, tobte der Saal vor Begeisterung. So machte Toleranz Spaß! Auch schätzten wir Frauen als Assistentinnen – wie Thomas Gottschalk Michelle Hunziker, solange diese in der Spur lief. Und wir hielten uns für weltoffen, wenn wir „beim Griechen“ den Kellner in ein Gespräch verwickelten.Deshalb trifft uns der Kampfbegriff „alter weißer Mann“ ins Mark. Auch mich. Er stellt mein Selbstbild in Frage. Das des superverständnisvollen, multikulturellen Feministen. Ich fühle mich unverstanden, zu Unrecht herabgewürdigt. Und als ich den in Selbstmitleid badenden Thomas Gottschalk erlebte, da kam mir plötzlich ein Gedanke, der mir gar nicht behagte: So wie er müssen sich jene Autoritäten gefühlt haben, die wir einst verhöhnten – damals, als sie die alten weißen Männer waren.
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