Geburtstage im Feuilleton: Ab in die Kulturvitrinen!
Genre-Kritik Sie haben eine lange Tradition, aber seit ein paar Jahren tauchen sie inflationär in allen Zeitungen auf: Geburtstagsartikel für Autorinnen, Filmschaffende oder Künstler. Was soll das?
Er gehört zum handwerklichen Repertoire der Kulturjournalistin und des Kulturjournalisten: der Geburtstagsartikel. Man lernt’s im Studium, bei der praktischen Arbeit oder im literaturwissenschaftlichen Kolloquium, wo das dann so annonciert wird: „Die Beschäftigung mit Menschen aber erfordert andere Mittel als die Analyse von Werken. Worin die Probleme liegen, aber auch die Reize, darüber soll an diesem Abend gesprochen werden.“ Hier soll eher mal darüber gesprochen werden, warum zum Teufel seit einiger Zeit alles, was nicht „zeitnahe“ Rezension, Festivalbericht oder Interview ist, in Geburtstagsartikel gepackt werden muss.
Bis zur Jahrhundertwende jedenfalls scheinen Geburtstagsartikel nicht eben zu den Königsdisziplinen von Kritik und
ritik und Feuilleton gehört zu haben, und noch in einem, natürlich, Geburtstagsartikel zum Philosophen Hans Blumenberg wird ein bisschen mitleidig vermerkt, dass er sich, da ohne feste Anstellung, mit dem Verfassen von über 100 Geburtstagsartikeln über Wasser halten musste. Immerhin ist das Genre durchaus beliebt, weil sich hier persönliche Vorliebe, eine etwas weniger codierte Stilistik und das entsprechende Fachwissen miteinander verbinden lassen. Viel Pflicht, aber auch ein bisschen Kür.Der Geburtstagsartikel erlebte eine Genre-VerschiebungBemerkenswerterweise haben sich die Altersgrenzen für den Geburtstagsartikel deutlich verschoben. Gratulierte man sich früher zu irgendwas Rundem, so werden heute fast nur noch Kulturschaffende adressiert, die erklecklich über das allgemein übliche Rentenalter hinaus sind. Das hat nicht nur mit dem demografischen Faktor zu tun, es geht vielmehr um einen Funktionswandel des Genres. Im klassisch-modernen Geburtstagsartikel ging es um Querverbindungen, Ermunterungen und Verständnishilfen – auch Freundschaftsbekundungen unter Künstler*innen.Zum Beispiel: György Ligeti schreibt einen Artikel zum Geburtstag von Friedrich Cerha in der Österreichischen Musikzeitschrift, und hey, danach versteht man vielleicht wirklich besser, worauf es bei Cerha ankommt. Und natürlich sind Geburtstagsartikel auch ein Medium der feuilletonistischen Rudelbildung. Mitsamt den Ausnahmen, die die Regel bestätigen: Wie man sich den Lobhudelei-Zwängen entziehen kann, zeigte etwa Emil Faktor im Jahr 1935. Als all die Artikel zum 50. Geburtstag von Egon Erwin Kisch erschienen, veröffentlichte er – bewusst erst einen Tag später – seinen Geburtstagsartikel im Prager Mittag unter dem Titel Gespräche und Konflikte mit Egon Erwin Kisch und stellte gleich noch die Genre-Frage: „Weshalb soll man zur Feier eines fünfzigsten Geburtstages scheinheilig die Augen verdrehen?“ Dabei geht’s nicht um die Pikanterie zweier tief verfeindeter Genies, sondern um die schwierige Grenze zwischen Sympathie und Verlogenheit im Genre.Und wieder ist solche Kritik von reiner Häme zu unterscheiden, wie sie einst der Journalisten-Säulenheilige Theodor Wolff in einem Geburtstagsartikel für Hedwig Courths-Mahler von seinem Autor Fred Hildenbrandt erzeugen ließ, der seine Geburtstagsgrüße nicht nur mit uncharmanten Bemerkungen über das Aussehen der Jubilarin würzte, sondern sie abschließend auch zum erledigten Fall erklärte: „Ich bin dafür, die alte Dame nunmehr in Frieden zu lassen, sechzig Jahre sind ein hohes Alter. Ich bin dafür, von ihren Romanen nicht mehr zu reden, damit sie vermodern.“ In aller Regel freilich sind das scheinheilige Augenverdrehen und die Verabschiedung in die Gruft nicht so weit auseinander.Verkappte Ideologien, Liebesbriefe, FreundschaftsanfragenGeburtstagsartikel waren und sind: politisch. Eine Spur führt etwa in die Deutschschweiz der 1930er Jahre, da Geburtstagsartikel in den Zeitungsfeuilletons Konjunktur hatten, unter anderem weil den Zeitungen der Zugang zu den „großdeutschen“ Quellen verwehrt war und die beschäftigten Exilautoren mehr aus historischem Wissen als aus aktuellen Informationen schöpfen konnten. Man generierte in gewisser Weise einen eigenen Aufmerksamkeitszyklus. Ganz anders erging es etlichen „bürgerlichen“ Journalisten, die im Reich geblieben waren: Die Nazis machten sich offensichtlich ein besonderes Vergnügen daraus, die „widerspenstigen“ unter den Autoren der „bürgerlichen“ Zeitungen zu Gratulations- und Gedächtnisartikeln für ihre Parteigänger und ihre Kulturheroen zu zwingen. Ob solche Mutmaßungen wissenschaftlich zu belegen sind, sei dahingestellt.Dass man mit Geburtstagsartikeln in die kulturpolitischen Strukturen greift, lässt sich auch an Beispielen aus der jüngeren deutschen Geschichte zeigen. In der DDR konnten Geburtstagsartikel, wie zum Beispiel die von Christa Wolf, auch verkappte Solidaritätserklärungen, manchmal sogar Widerstandserklärungen enthalten. In der BRD waren die Geburtstagsartikel von Hans-Dietrich Sander für Carl Schmitt offensichtliche Versuche, den Jubilar noch weiter auf die nationalistische Seite zu ziehen. Otto Köhler referierte einst, wie die Frankfurter Allgemeine einen Geburtstagsartikel für deren einstigen Theaterkritiker Siegfried Jacobsohn verhinderte. Jedenfalls sind Quantität und Qualität von Geburtstagsartikeln weder zufällig noch politisch unschuldig. Wir organisieren mit ihnen unsere kulturelle Rückbindung und mehr noch unser kulturelles Gedächtnis.Am nettesten übrigens beschrieb es Maximilian Steinbeis anhand der Geburtstagsartikel für die Schauspielerin Catherine Deneuve. Er nannte sie „als Geburtstagsartikel verkleidete Liebesbriefe“, von denen uns einige allerdings, so der Autor im Deutschlandfunk, schnurstracks „in die Pubertät zurückschreiben“. Aber gewiss, ebendies macht Geburtstagsartikel zu einer feuilletonistischen Disziplin mit einer gewissen sentimentalen Note: Da wird es immer rasch recht persönlich. Und ebenso, wie es Geburtstagsartikel als verkappte Liebesbriefe gibt, gibt es sie als verkappte Freundschaftsanfragen, oder umgekehrt, als verkappte Angeberei (damals, als ich mit Rembremerdeng im Schumann’s saß und über Kant diskutierte …), als verkappte Ideologie (Rembremerdeng hat wissenschaftlich nachgewiesen, dass …) und doch immer auch als verkappte Verabschiedungen (sein wohl letztes großes Werk hat Rembremerdeng …). Schließlich sind Geburtstagsartikel auch verkappte Nostalgie: Geburtstagsartikel zu Thomas Gottschalk führen den Text geradezu zwangsläufig in die Erinnerungen an eine Medienjugend in den 1970er, 1980er Jahren. Generell traut man sich in Geburtstagsartikeln im Pop-Sektor mehr autobiografisches Beiwerk anzufügen.Vom Sein zum HabenWarum also sind in den Feuilletons unserer Tage Geburtsartikel, nebst den verwandten Nachrufen oder Gedenk- und Todestagsartikeln, so dominant? Vom ersten Grund war schon zu Beginn die Rede: Es geht um Personen. Und das heißt auch: um Storys. Personalisierung ist gut, Storytelling ist super (was brauchst du Ideen, wenn du eine Story hast!). Und Aktualität ist gut, auch wenn die vollkommen willkürlich ist. Aber erst durch eine Aktualisierung wird ein kulturelles Element in den Bannkreis der Nachrichten gezogen. Ein Geburtstag macht aus einer Person (mag sie sich ansonsten noch so undramatisch verhalten) eine Nachricht. Und: Geburtstagsartikel kosten fast nichts. Man muss nicht mal das Haus dazu verlassen. Wir müssen doch alle sparen, und bei der Kultur ganz besonders.Geburtstagsartikel sind in etwa das, was in der Politik „Orden“ sind, oder mehr oder weniger echtgoldene Uhren im alten Kapitalismus. Ein sentimentalisierter Hinauswurf. Feuilletonistische Geburtstagsgrüße sind Kunststücke des Verschwindenlassens. Ab jetzt bist du nicht mehr Teil der Diskurse, Debatten und Konflikte, sondern hängst in der Gedenkgallerie am Eingang. Man hat dich vom Sein zum Haben befördert, du bist allgemeiner Besitz. Das heißt gewöhnlich: Von diesem Menschen geht keine Gefahr mehr aus, kein kritisches Potenzial, das sich zur Explosion entzünden könnte. In solcher Würdigung erfolgt das Ablegen vor dem Ableben. Man schaut zurück und wird ganz retromanisch gerührt. Da geht es doch stets um Repräsentanten einer besseren, einer wilderen, einer freieren, einer kreativeren Zeit. Mit dem Geburtstagsartikel wird auch noch aus der größten Nervensäge ein handsames Stehrümchen in der Kulturvitrine. Vielleicht steckt auch so etwas wie ein Absolvieren darin. Jetzt ist endgültig domestiziert, was einst Skandal war. Und es ist sonnenklar, was einst hyperkomplex oder unverständlich schien. Und, tragische Ironie: Wer zeit seines Lebens am Kulturbetrieb gescheitert ist, erhält mit dem Geburtstagsartikel späte Genugtuung. Zum Abschied. Der Rest wird als Anekdote aufgelöst.Haben wir alles beieinander? Das Wesentliche ist noch nicht benannt: nicht der Geburtstagsartikel an sich, sondern vielmehr das Fehlen von so vielem anderen. Von lebendiger Auseinandersetzung, von Ideen und Kritik, von kräftigem Widerspruch der Kultur gegen das Bestehende. In der Flut von Nachrufen, Geburtstags- und Gedenkartikeln scheint eine übergeordnete Bewegung auf: Die Flucht der Kultur vor der Gegenwart. Im deutschen Feuilleton ist Kultur oftmals nur noch als mehr oder weniger bedrückte Abschiedsparty wahrzunehmen.
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