Kurz-Prozess in Wien: Wunderwuzzi muss sich stellen

Heldensturz Der Ex-Kanzler Sebastian Kurz steht vor Gericht, doch ist an der Sache weniger dran, als der Hype nahelegt. Noch scheint der Angeklagte zu schwanken, ob er sich in die Offensive trauen soll oder es besser lässt
Ausgabe 43/2023
Ex-Kanzler Kurz vor Gericht: Mehr Sittenbild als Rechtspflege
Ex-Kanzler Kurz vor Gericht: Mehr Sittenbild als Rechtspflege

Foto: Joe Klamar/AFP/Getty Images

Worum es geht? Konkret geht es um den Vorwurf, in einem parlamentarischen Untersuchungsausschuss die Unwahrheit gesagt zu haben. Dort stehen Zeugen unter Wahrheitspflicht. Was Sebastian Kurz angekreidet wird, kann man allerdings kaum in die Rubrik eines gröberen Vergehens einordnen. Substanziell ist an der Sache weniger dran, als der Hype nahelegt. Die immer wieder vorgelegten und vorgelesenen Chats zeigen, wie führende Kreise der türkisen ÖVP ticken. Doch das hätte man ohnedies wissen können. Das Sittenbild mag verheerend sein, aber interessiert das, jenseits des Getöses, wirklich?

Viele meinen, dass Kurz nach diesem Verfahren wohl endgültig erledigt sein könnte. Indes, eine Verurteilung ist alles andere als sicher. Dieser Schuss kann auch kräftig nach hinten losgehen. Der letzte große Fall der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) gegen den ehemaligen Grünmandatar Christoph Chorherr endete mit einer peinlichen Niederlage. Alle Angeklagten mussten freigesprochen werden. Zurzeit erfüllt der Prozess eher die Funktion, Kurz stete Aufmerksamkeit zuzuführen, mehr, als es jede Eigen-PR bewerkstelligen könnte. Die Popularität des Ex-Kanzlers wird am Köcheln gehalten.

Vergessen wir nicht: Sebastian Kurz wurde nicht politisch demontiert, sondern er wurde juristisch so lange gereizt, bis er im Oktober 2021 sichtlich entnervt als Regierungschef das Handtuch warf und von allen Funktionen zurücktrat. Schadenfreude sollte sich in Grenzen halten, auch wenn es den „Richtigen“ getroffen haben mag. Primär war es einer dieser digitalen Unfälle, die sich in letzter Zeit häufen. Kurz’ ÖVP-Knaben (hauptsächlich Männer und sehr jung) hatten unterschätzt, dass sie – ist die Sache einmal offengelegt – in der Folge auch offengelegt werden können. Ohne die geleakten Chats und abgenommenen Handys würde Kurz heute noch im Kanzleramt sitzen und die ÖVP ihrem Wunderwuzzi zu Füßen liegen. Dies sollte man nicht ernsthaft bestreiten.

Die böse Wahrheit ist, dass Kurz an Akzeptanz verlor, nicht weil er dieses oder jenes angestellt hat, sondern weil er damals vor einer Kampagne in die Knie gegangen ist. Die Methode Netanjahu – was meint: Ignorieren/Attackieren/Prolongieren – hat er gar nicht erst ausprobiert. Das war von seiner Seite aus betrachtet vielleicht ein Fehler, sieht man sich etwa an, wie das Phänomen Donald Trump nach wie vor reüssiert. Man darf gespannt sein, für welche Taktik sich Kurz nun entscheiden wird. Wenn er etwas zugibt, also nachgibt, dann werden seine politischen Perspektiven sich nicht verbessern. Schwäche wird nicht goutiert. Kurz selbst scheint zu schwanken, ob er sich eine Offensive zutrauen soll oder nicht. Vor allem auch: Wer trägt sie aktiv mit? Gleich zum Prozessauftakt bemühte er sich jedenfalls, die Gerichtsbühne in eine Politbühne umzubauen und seine Opferrolle zu unterstreichen.

Zu viel Justiz in der Politik

Das Narrativ der Kurz-Company lautet ungefähr so: Die Linken (für sie SPÖ, Grüne, Liberale) stecken mit Medien, Staatsanwaltschaft und Gerichten unter einer Decke und wollen den armen Basti fertigmachen. Das ist natürlich eine Schauergeschichte. Was aber stimmt: Viele seiner Gegner sind immer noch ganz auf ihn fixiert und verhalten sich wie ein negativer Fanclub: „Kurz muss weg!“ ist ihr bedeutendster Slogan, eine Parole, die ihrem Objekt an Dürftigkeit zweifellos gleichkommt. Es gibt jedenfalls keine Debatte über das „System Kurz“. Was es gibt, ist die schräge mediale Inszenierung, wo Heldenverehrung und Heldensturz sich wechselseitig aufschaukeln.

Die Frage, ob nicht durch die inflationäre Anrufung der Gerichte zu viel Justiz in die Politik gerutscht ist, ob das Verhältnis zwischen Exekutive, Legislative und Judikative nicht zusehends aus den Fugen gerät, die wird gar nicht erst gestellt. Die gesellschaftlichen Konfrontationen werden sich diesbezüglich weiter zuspitzen, die Kampagnen verschärfen. Akteure und Einflüsterer werden sich allesamt nicht mehr einbremsen, ja, sie werden sich nicht einmal mehr einkriegen können!

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