Der Bericht über eine kuriose Tafelrunde bei Potsdam, in der über sogenannte Remigration gesprochen worden ist, löste Alarm aus. Es wurden Parallelen zwischen dem Aufstieg der NSDAP seit 1930 und der AfD gezogen. Freilich vermag ein verengter Blick auf die Vergangenheit auch die Wahrnehmung der Gegenwart zu erschweren. Die aktuellen, offenbar nahezu weltweiten Entwicklungen hin zu neuen chauvinistischen, rassistischen, außenpolitisch aggressiven Formen bürgerlicher Herrschaft können in verschiedenen Formen erfolgen – darunter da und dort durchaus unter Erhalt der repräsentativen Demokratie –, ohne dass die Diktatur der NSDAP von 1933 bis 1945 dafür ein Vorbild wäre. Deren Entstehung sollte daher besser in ihrer historischen Spezifik
siven Formen bürgerlicher Herrschaft können in verschiedenen Formen erfolgen – darunter da und dort durchaus unter Erhalt der repräsentativen Demokratie –, ohne dass die Diktatur der NSDAP von 1933 bis 1945 dafür ein Vorbild wäre. Deren Entstehung sollte daher besser in ihrer historischen Spezifik gesehen werden. Kontinuitäten, die zu ihr hinführten, sind dabei ebenso zu beachten wie Brüche.Beides fand sich schon im Akt der Ernennung Adolf Hitlers durch den Reichspräsidenten am 30. Januar 1933. Sie schloss die Zersetzung der Republik ab, die lange vorher begonnen hatte, im Grunde schon 1920. Bei der Wahl zur verfassunggebenden Nationalversammlung 1919 hatte die später so genannte Weimarer Koalition zum ersten und letzten Mal eine absolute Mehrheit erzielt. Ihr gehörten die SPD, das katholische Zentrum und die linksliberale Deutsche Demokratische Partei (DDP) an. 1920 nun, bei der ersten Reichstagswahl, ging diese Mehrheit wieder verloren. Die drei Parteien haben sie nie mehr wiedererlangt. (Ausnahmen: Baden und Preußen) Sie waren die einzigen, die uneingeschränkt zur Weimarer Republik standen.„Vernunftrepublikanisch“ wie die DNVP oder die DVPVon nun an wurden auf Mehrheiten gestützte Reichsregierungen nur noch gebildet, wenn sie von einer Partei mitgetragen oder toleriert wurden, die der demokratischen Republik offen ablehnend gegenüberstand. Dies galt für die monarchistische Deutschnationale Volkspartei (DNVP) oder die Deutsche Volkspartei (DVP), die sich als lediglich „vernunftrepublikanisch“ verstand. Das heißt: Sie konnte bei Bedarf auch anders. 1930 drängte sie die SPD aus einer Großen Koalition. Seitdem gab es kein Kabinett mehr, das eine parlamentarische Mehrheit hinter sich hatte. Das Machtzentrum verlagerte sich zum Reichspräsidenten, der die von ihm ernannten Kanzler mit Notverordnungen ausstattete. Der Artikel 48 der Verfassung von 1919 über den Ausnahmezustand lieferte die rechtliche Handhabe. Reichspräsident war seit 1925 der Monarchist Paul von Hindenburg. In der Justiz, der hohen Beamtenschaft, in den Gymnasien und an den Universitäten war man schon von Anfang an – wie im Wilhelminischen Reich – Schwarz-Weiß-Rot. Schwarz-Rot-Gold war eine Minderheitskombination. Auch das Großkapital war – bis zur Weltwirtschaftskrise von 1929 – allenfalls „vernunftrepublikanisch“. Spätestens Anfang Januar 1933 setzten seine Vertreter ebenfalls auf Hitler.In Preußen hatte sich Schwarz-Rot-Gold noch länger halten können als anderswo. Für die dort regierende SPD galt es als „Bollwerk der Demokratie“. 1932 war damit Schluss. Am 24. April hatte der sozialdemokratische Ministerpräsident Otto Braun bei der Landtagswahl die Mehrheit verloren und war nur noch geschäftsführend im Amt. Reichskanzler Franz von Papen (bis 1932 Zentrum, dann parteilos, 1938 NSDAP) setzte ihn am 20. Juli 1932 unter Anwendung des Artikels 48 ab und regierte Preußen als nun „Reichskommissar“. Im ersten Kabinett Hitlers wurde er Vizekanzler – so viel zur Kontinuität.Dass eine neue Zeit angebrochen war, demonstrierte am Abend des 30. Januar 1933 die SA mit ihren Fackeln am Brandenburger Tor. Am 1. Februar wurde der Reichstag aufgelöst. Es war klar, dass keine Protestwahl darauf folgen würde. Die Republik war mürbe geworden, die Ernennung Hitlers brachte den zusätzlichen Schwung, der genutzt wurde. Noch am 30. Januar wurde sein Gefolgsmann Hermann Göring, bislang Reichstagspräsident, jetzt Minister ohne Geschäftsbereich, zum kommissarischen preußischen Innenminister ernannt, dem die Polizei unterstand. Am 4. Februar 1933 erließ Hindenburg eine (Not-) „Verordnung zum Schutz des deutschen Volkes“, durch die die Presse- und Versammlungsfreiheit eingeschränkt wurde. Ein solches Dokument war schon 1932 von Kanzler Papen vorbereitet worden. Dessen Nachfolger Schleicher hatte im November desselben Jahres dessen Gebrauch gegen die KPD in Aussicht gestellt. Sie galt als „Schubladenverordnung“ und wurde nun zur Waffe im Wahlkampf. Durch Erlass vom 22. Februar 1933 ermöglichte Göring den Einsatz von SA und SS als Hilfspolizei.Der Reichstag hebt die Gewaltenteilung aufAm Abend des 27. Februar ging der Reichstag in Flammen auf. Die Propaganda von Regierung und NSDAP wies die Brandstiftung wahrheitswidrig der KPD zu. Am 28. Februar setzte die „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ (Reichstagsbrandverordnung) die Grundrechte der Weimarer Verfassung außer Kraft. Die KPD wurde verboten. Im ganzen Reich wurden Funktionäre und Mandatsträger nicht nur dieser Partei, sondern auch der SPD und Gewerkschaften inhaftiert („Schutzhaft“). Vorhandener Gefängnisraum reichte nicht aus, Konzentrationslager wurden errichtet. In der Reichstagswahl am 5. März 1933 stieg der Stimmenteil der NSDAP von 33,1 auf 43,9 Prozent, doch nur zusammen mit der Kampffront Schwarz-Weiß-Rot aus DNVP und Stahlhelm (8,0 Prozent) reichte es zur absoluten Mehrheit.Am 24. März 1934 verabschiedete der Reichstag das „Gesetz zur Behebung der Not von Volk und Reich“ (Ermächtigungsgesetz) in Anwesenheit von bewaffneter SA und SS. Es übertrug die Befugnis zur Gesetzgebung für vier Jahre auf die Regierung und hob damit die Gewaltenteilung auf. Die SPD stimmte dagegen, die Abgeordneten der KPD, auf der Flucht oder in Haft, konnten nicht teilnehmen. Alle anderen Parteien votierten für das Ermächtigungsgesetz. Damit war der Weg in die Diktatur formal innerhalb von knapp zwei Monaten abgeschlossen.Parallel dazu vollzog sich die Unterwerfung großer Teile der Gesellschaft. Ein Mittel dazu war der Terror von SS und vor allem SA, die die Straßen beherrschten und eigene „wilde KZs“ errichteten. Jüdinnen und Juden wurden Freiwild. Ein weiterer Stoß richtete sich gegen die gesamte Arbeiterbewegung. Der SPD-nahe Allgemeine Deutsche Gewerkschaftsbund (ADGB) versuchte sich zu retten, indem er sich als parteipolitisch neutral definierte. Er rief zur Teilnahme an den von der NSDAP organisierten Aufmärschen am 1. Mai 1933 auf. All dies nützte nichts, einen Tag später wurden reichsweit die Gewerkschaftshäuser von SA und Nationalsozialistischer Betriebszellenorganisation (NSBO) besetzt, Funktionäre ins KZ eingeliefert und misshandelt.Hitler – der Ruck, den das Kapital gefordert hatteDie Selbstgleichschaltung der nichtjüdischen Mehrheit des deutschen Bürgertums verlief schmerzfrei. Für die Spitzenverbände der Unternehmer war Hitlers Machtübernahme der Ruck, den sie seit der Weltwirtschaftskrise von 1929 gefordert hatten. Das akademische Bildungsbürgertum betrachtete sich als Leistungselite, deren Mitglieder sich von Generation zu Generation durch beruflichen Erfolg zu beweisen hatten. Konservative oder nationalliberale Konformität und entsprechende Organisierung (etwa in schlagenden und farbentragenden Studentenverbindungen) zählten zum statussichernden Habitus. Mitgliedschaft in der NSDAP hatte nun die gleiche Funktion. So entstand die Massenbewegung der „Märzgefallenen“, die in die Nazi-Partei eintraten. Zeitgleich mit der Errichtung der Diktatur wurde ein außenpolitisches Vorhaben in Angriff genommen. Schon am 3. Februar 1933 stellte Hitler nichtöffentlich in einer Besprechung mit Reichswehr-Generälen Ostexpansion und Aufrüstung in Aussicht. Die Vorbereitung hierzu erfolgte in der nächsten Phase der NS-Herrschaft. Der militärkeynesianische Rüstungsboom überwand die Wirtschaftskrise und wurde zur Grundlage für die Zustimmung zur „Volksgemeinschaft“.Auf die Machtübertragung an Hitler am 30. Januar 1933 war bis März die institutionelle Errichtung der Diktatur gefolgt. Beides bildete eine zeitlich relativ klar abgrenzbare Phase. Beide Vorgänge eignen sich in ihrer konkret-historischen Spezifik nur äußerst beschränkt für aktuelle Analogiebildung.Placeholder authorbio-1