Friedrich Merz vertaktiert sich: Aber das ist kein Grund zur Schadenfreude

Meinung Friedrich Merz erweckt im Moment nicht gerade den Eindruck eines Parteichefs. Aber der Blick auf den inneren Zustand der CDU ist zu eng. Das deutsche Parteiensystem insgesamt scheint zum Pflegefall geworden zu sein
Ausgabe 40/2023
CDU-Chef Friedrich Merz
CDU-Chef Friedrich Merz

Foto: Ronny Hartmann/picture alliance/dpa

Nur noch zwei Koalitionsoptionen scheinen gegenwärtig unverbraucht. Eine davon ist Jamaika, also ein Bündnis von Union, Grünen und FDP. Fragt sich, unter welchem Unionskanzler eine solche Regierung ab 2025 gebildet werden würde.

Da zur Zeit kein Problem ohne Schielen auf die AfD erörtert wird, kommt sie auch hier wieder ins Spiel. Eine Regierung unter ihrer Beteiligung wäre nämlich die zweite bisher noch nicht ausprobierte Variante, und die ist tabu. Trotz einer neuerlichen leichten Lockerungsübung bleibt die AfD bei ihrem Nein zur Europäischen Union. Das können deutsche Großunternehmen, insbesondere der Exportindustrie, nicht gebrauchen.

CDU, CSU, FDP, Grüne und SPD konkurrieren mit der AfD und zugleich gegeneinander. Friedrich Merz will an die Macht. Insofern meint er es ernst mit seinem Kampf gegen die AfD. Bei der Wahl seiner Mittel ist er allerdings drauf und dran, sich selbst zu vertaktieren. Als er erwog, in Städten, Gemeinden und Landkreisen die Brandmauer gegen die AfD zu durchlöchern, wollte er diese Partei vielleicht gar nicht aufwerten, sondern mag umgekehrt darauf spekuliert haben, bei vertrauensvoller Zusammenarbeit in den Kommunen der AfD einen Teil der Gefolgschaft abspenstig zu machen. Diesem Zweck sollte wohl auch der krasse fremdenfeindliche Ausfall gegen Migrant(inn)en dienen, in dem Merz über die Gesundheitsversorgung von Asylbewerbern herzog.

Er könnte das Gegenteil des Gewünschten erreichen. In den ostdeutschen CDU-Verbänden und bei der AfD-Basis erweckt er den Eindruck, er möge zwar ein erfahrener Parlamentarier sein, aber kein Parteichef. Er habe seinen Laden nicht im Griff. Denn er stößt auf Widerspruch auch bei Politikern der Union im Westen. Der Merkel-Flügel rührt sich wieder. Also, sagen sich viele im Osten, dann besser das Original, die AfD.

Parteiensystem ist ein Pflegefall geworden

Auch Bayerns Ministerpräsident Markus Söder muss diese bekämpfen. Das Postulat von Franz Josef Strauß, rechts von der CSU dürfe es nichts geben, gilt auch für ihn. Aber die AfD sitzt schon im Landtag, und ihren Nachbarn Hubert Aiwanger von den Freien Wählern hat er aus taktischen Gründen an seinem Kabinettstisch behalten. Schneidet Söder bei den Landtagswahlen schlecht ab, wäre die K-Frage für ihn erledigt.

In Hessen hat der Merkelianer und Regierungschef Boris Rhein gleichzeitig gute Chancen. Sein etwaiger Erfolg würde Merz’ innerparteiliche Kritiker Daniel Günther und Hendrik Wüst stärken. Gewinnen sie in der Union weiter an Einfluss, nähme der Abfluss vom rechten Rand der CDU-Wählerschaft vor allem im Osten, aber nicht nur dort, zur AfD noch zu.

Am besten bekäme dieser aber eine künftige Jamaika-Koalition ab 2025. Dann verbliebe die AfD als einzige Opposition von rechts. Die Regierung, intern wohl ebenso zerstritten wie die gegenwärtige Ampel, wäre schwach.

An dieser Stelle verbietet es sich, weiter den Blick auf den inneren Zustand der Union und etwaige Koalitionen zu verengen. Das deutsche Parteiensystem insgesamt scheint zum Pflegefall geworden zu sein, da inhaltlich weitgehend alternativlos. Unter dem marktradikalen Regime der gesellschaftlichen Ungleichheit und bei einem etwaigen parlamentarischen Aus der Linkspartei sehen sich immer weniger Menschen politisch vertreten und verfallen aufs Ressentiment.

Die Klemme der Union gibt deshalb keinen Grund zur Schadenfreude.

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