Es sind wieder einmal Ferien und damit, was Nachrichtenlage und Medien-Aufmerksamkeit anbelangt, Zeit für das, was man früher „Sommerloch-Themen“ genannt hätte. Mittlerweile kann man es ein eigenes Genre der Nachrichten-Unterhaltung nennen. Es handelt sich um „Aufreger“ garantiert ohne jede Substanz, um eine Form der Empörung, die einem das Im-Liegestuhl-Liegen nur um so angenehmer erscheinen lässt, um fein gesponnene Mischungen aus Wohlgefühl und Weltuntergang.
Es gibt vier Hauptgruppen solcher Sommerstories: Die Animal Panic Story (in Berlin wird ein Wildschwein mit einer Löwin verwechselt, im kalabrischen Amantea entfleucht ein Zirkuselefant), die Moral Panic Story (in Freibädern prügeln sich Jugendliche, Frauen wollen wahlweise im Burkini oder oben ohne ins Wasser), die Social Body Panic Story (ein wegen des Streiks nicht ausgelasteter Hollywood-Star referiert über den Zusammenhang von Zwiebelgenuss und Kuss-Szenen) und schließlich die National oder Identity Panic Story, in der sich ein Medienkasper durch einen anderen Medienkasper in seiner nationalen oder sonstigen Ehre gekränkt fühlt.
Die sommerlichen Feelgood-Panic-Storys sind in der Regel so schnell vergessen, wie sie hochgekocht wurden. Gelegentlich finden sie, wie hier, ein Endlager in mehr oder weniger launigen Feuilleton-Glossen. Eine der Ursachen dafür mag sein, dass sie an der Oberfläche herzergreifend banal und ästhetisch grenzwertig sind, dass sie zugleich aber immer auch einen mythischen Kern transportieren, der tief ins kollektive Unterbewusstsein reicht. Das lässt sich etwa an der Nationalpanik-Geschichte zeigen, für die ein deutscher Gesundheitsminister auf Urlaub in Italien und der als „First Gentleman“ titulierte Lebensgefährte der dortigen Regierungschefin und Moderator beim privaten Sender Rete 4, das Material lieferten.
Klischees funktionieren super im Sommerloch
Zwei Menschen, Karl Lauterbach und Andrea Giambruno, die beide schon in ihrer jeweiligen Heimat mehr personalisierten Spott auf sich ziehen, als man es von kultivierten politischen Auseinandersetzungen gewöhnt ist: Lauterbach, der von seinem Erzfeind Markus Söder als Schreckbild von salzloser Blässe und oberlehrerhaftem Bratwurstverzicht angeführt, Giambruno, der gerne einmal nach der Menge von Haargel auf seinem Haupt und nach Preisschildern auf seinen Anzügen gefragt wird. Es sind mit anderen Worten exakt die zwei Pole parodistischer Übertreibung im noch nicht ganz ewigen Drama deutsch-italienischer bzw. italienisch-deutscher Hassliebe. Hier der blasse, ewig nörgelnde, ewig belehrende, sauertöpfische Deutsche, dort der leicht ins Vulgäre tendierende, selbstverliebte, immer laute Italiener.
Der Deutsche, natürlich, ist um sich und den Rest der Welt so besorgt, dass er nicht anders kann als twittern – heißt jetzt x-en: „Heute in Bologna Italien eingetroffen, jetzt geht es in die Toskana. Die Hitzewelle ist spektakulär hier. Wenn es so weiter geht werden diese Urlaubsziele langfristig keine Zukunft haben. Der Klimawandel zerstört den Süden Europas. Eine Ära geht zu Ende.“ Diese Ankündigung eines bevorstehenden Endes touristischer Beziehungen „irritiert“ zunächst die italienische Tourismusministerin Daniela Santanchè, eine wunderbare Verkörperung des Post-Berlusconismus, die in allen rechten Parteien Italiens mal ihr Glück versucht hat und nun bei den Fratelli d’Italia gelandet ist, und zwar weil sie es, aufgemerkt, „satthat vom Faschismus zu reden“.
Puh, zum Glück ist Lauterbach weiterhin in Italien willkommen
Da sie allerdings derzeit hauptsächlich damit beschäftigt ist, ein paar Millionen für die Rettung ihrer, sagen wir mal, reichlich berlusconistischen Unternehmen aufzutreiben, lässt sie es mit einer süffisanten Wieder-Einladung des unsonnigen deutschen Ministers bewenden: „Ich danke dem deutschen Gesundheitsminister dafür, dass er Italien als Reiseziel gewählt hat, das ja schon immer das bevorzugte Urlaubsziel seiner Landsleute war. Und natürlich freuen wir uns darauf, ihn auch in Zukunft wieder begrüßen zu dürfen.“
Auftritt des Andrea Giambruno, der geölte Ken auf der Suche nach Anerkennung im postfaschistischen Barbieland, die andere Seite der dialektischen Einheit von Wolf und Kreide. „Seit 20, 30 Jahren müssen uns die Deutschen irgendwie erklären, wie wir leben müssen“, schimpft er gutgelaunt in die Kamera; „Merkel kommt her, er kommt immer hierher … Wenn es dir nicht passt, bleib zu Hause“, wechselt er zwanglos zum feindschaftlichen „Du“: „Bleib im Schwarzwald, das ist besser, oder?“. Jetzt ist endgültig die National-Panik auf beiden Seiten ausgebrochen, denn, so macht es in italienischen Medien die Runde: „Andrea Giambruno finisce sulla Bild dopo la frase contro Karl Lauterbach“. In der Bild-Zeitung enden, ist das Triumph oder Schmach für einen italienischen „First Gentleman“?
Natürlich ist das alles auch ein Streit zwischen Besorgnis und schlichter Leugnung des Klimawandels, eines der Kern-Angebote der extremen Rechten, nicht nur in Italien. Aber es bricht da auch etwas auf von einer unterdrückten Spannung. Der eine sucht ja im anderen gerade das, was ihm vermeintlich fehlt: die Disziplin, die Zielstrebigkeit, die Rationalität hier, die Lebenskunst, die Leichtigkeit, die Sinnlichkeit da. Wechselseitige Klischees, die immer aus der Balance zwischen gegenseitiger Bewunderung und Verachtung entstehen. Es sind oft Kleinigkeiten, die diese Balance stören, und dann wird es rasch giftig. Zumindest hat es für eine National Panic Story für den ausklingenden Sommer gereicht. Elefanten, ehrlich gesagt, sind mir lieber.
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