Ein Hotel in den malerischen Kaukasus-Bergen nahe Sotschi am Schwarzen Meer wird vom 2. bis 5. Oktober ein Ort der Begegnungen und kontroversen Debatten sein. Dort tagt der Waldai-Klub zum 20. Mal seit seiner Gründung 2004 mit Politikern und Politologen, Publizisten und Diplomaten aus 43 Ländern. Sie werden sich mit der Gefahr eines Nuklearkrieges beschäftigen, mit der Lebensmittel-Sicherheit und dem nötigen Beitrag Russlands dazu. Gleichzeitig geht es um eine „Weltwirtschaft ohne Valuta-Monopol“, um die russische Ökonomie und die angespannten Energiemärkte weltweit. Die Veranstalter suchen die Diskussion mit Vertretern jener Mehrheit der Weltbevölkerung, die zum Krieg in der Ukraine weder die Positionen der Vereinigten Staaten und ihrer Verb&
t der Weltbevölkerung, die zum Krieg in der Ukraine weder die Positionen der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten noch die des Kremls teilt. Ein Thema soll die Aufstockung und Transformation der BRICS-Gruppe nach deren Südafrika-Gipfel sein.Russische Teilnehmer wollen am Schwarzen Meer die These vertreten, ihr Staat sei eine Art eigenständige Zivilisation mit Elementen westlicher Kultur und östlicher Traditionen, wozu Außenminister Sergej Lawrow im Forum sprechen wird, in dem unter anderem die Vizeaußenminister des Irans und Venezuelas sowie Gesandte chinesischer Thinktanks sitzen. Stärker als noch im Vorjahr ist bei dieser Tagung Afrika präsent. Wie schon 2022 steht die Frage im Raum, wie sich die internationale Kräftebalance durch das Gewicht des globalen Südens schon jetzt verändert, wie davon Währungsfragen, der Welthandel und die Wirkung von Sanktionen tangiert werden.Den Krieg in der Ukraine beendenDabei dürfte sich auf der diesjährigen Waldai-Tagung zeigen, dass ein wachsendes Selbstbewusstsein des Südens auch für Russland herausfordernd ist. Denn in einem sind sich Inder und Pakistaner, West-, Ost- und Südafrikaner einig: Sie wollen den Krieg in der Ukraine möglichst bald durch Verhandlungen beendet sehen. Russische Politiker haben darauf bislang nur abstrakt positiv reagiert, was ihrem eingeschränkten Spielraum für Diskurse geschuldet ist. Im akademischen Milieu hat gegenwärtig kaum jemand den Mut, friedenspolitische Forderungen an die eigene Führung zu formulieren. Allenfalls distanzieren sich moderate Moskauer Experten von abenteuerlichen Auffassungen solcher Hardliner wie des Politologen Sergej Karaganow, der fordert, weiter einen Einsatz von taktischen Kernwaffen in Erwägung zu ziehen. Ausgeladen ist Karaganow deshalb nicht, auch er wird in Sotschi erwartet.Für die eher marginale Präsenz aus dem Westen stehen der französische Wirtschaftsanalytiker Jacques Sapir und der Amerikaner Jeffrey Sachs von der Columbia University, der in den 1990er Jahren als ökonomischer Berater in Russland war. Wie schon 2022 fällt die Abwesenheit von Vertretern ultrarechter Ideologien auf.Afrika und AsienZu den prominenten Russen zählen Fjodor Lukjanow, Chefredakteur von Russia in Global Affairs, natürlich Iwan Timofejew als Programmdirektor des Waldai-Klubs und Andrej Bystrizkij aus dem mehr liberalen Spektrum. Letzterer hat in einem Essay für die Waldai-Internetseite die asiatisch-pazifische Region als „verblüffend friedlichen Teil“ der Welt beschrieben, mit Staaten, die „überwiegend nicht im Fahrwasser des Westens“ sein wollten. In Afrika sieht er Länder, die „nach ihrer Subjekt-Werdung streben“. Bystrizkij verkörpert eine Tendenz russischer Außenpolitik, sich auch kulturell stärker auf Asien und Afrika einzulassen.Dazu dürfte auch Wladimir Putin sprechen. Es gehört zur Tradition der Waldai-Meetings, ihm am letzten Tag das Wort zu geben und ihn danach zu befragen. Ein Vorschlag zum Ausstieg aus dem Ukraine-Krieg wird bei diesem Auftritt kaum zu hören sein. Stattdessen ist ein Verweis darauf zu erwarten, dass es Wolodymyr Selenskyj sei, der per Ukas jegliche Verhandlungen untersage. Vermutlich wird Putin die Hinwendung zum Süden mit einer positiven Bewertung der sowjetischen Afrika-Politik versehen, wie er das jüngst beim Wirtschaftsforum in Wladiwostok am 12. September tat. Dort hatte Putin dem Westen „Neokolonialismus“ vorgeworfen, der afrikanische Staaten großen Kreditabhängigkeiten aussetze. Die UdSSR habe auf diesem Kontinent geholfen, „die Freiheit zu gewinnen“ – gegen die Kolonialmächte.Eine differenzierte Aufarbeitung der sowjetischen Afrika-Politik mit ihrer Doktrin vom „nichtkapitalistischen Entwicklungsweg“, dem sich in den 1970er und 1980er Jahren dann doch die meisten Länder versagten, steht hingegen weiter aus. Auch blieb bei den Experten-Runden im Waldai-Klub bislang die Frage offen, welches Potenzial für eine nachhaltige Entwicklung Afrikas Russland heute anzubieten hat. Ohne ein Ende des Ukraine-Krieges dürften die verfügbaren Ressourcen bis auf Weiteres sehr begrenzt sein.