Manche Filme avancieren zu Kassenschlagern, wie bestimmte Lieder zu Sommerhits werden: Sie fangen im richtigen Moment eine Stimmung ein, sind leichtfüßige Treuhänder der Sehnsucht des Publikums. Es gibt aber auch eine weniger unbeschwerte Variante des Erfolgs, in der sich ein gesellschaftliches Klima kristallisiert.
In Paola Cortellesis Tragikomödie Morgen ist auch noch ein Tag verschmelzen beide Beweggründe. Auf den ersten Blick stellt sie ein unverhofftes Phänomen dar. Welche Anziehungskraft sollte ein Schwarz-Weiß-Film über häusliche Gewalt heute entwickeln, der im Jahr 1946 angesiedelt ist, als Rom aus den Trümmern des Weltkriegs erwacht? Aber es ist der Film, auf den Italien gewartet hat. Bisher lockte er fünfeinhalb Millionen Zusc
halb Millionen Zuschauerinnen und Zuschauer in die heimischen Kinos. Ganze Schulklassen besuchten die Vorführungen, die oft von den Kommunen unterstützt wurden. Er fand sowohl die Zustimmung der rechtsextremen Regierungschefin Georgia Meloni wie der Anführerin der Linken, Elly Schlein. Ein Konsensfilm ist diese Komödie der Unversöhnlichkeit mitnichten. Vielmehr trifft sie den Nerv eines Landes, in dem alle 72 Stunden Frauen zu Opfern eines Femizids werden.Inspiriert wurde Cortellesis Drehbuch von den Erzählungen ihrer Großmutter, die Zeugnis geben von einer Epoche der Unterdrückung und des Aufbruchs. Die Hausfrau Delia (von der Regisseurin unzerbrechlich, aber nicht heutig gespielt) hat allen Grund, den namenlosen Jähzorn ihres Ehemannes zu fürchten. Schon beim Aufstehen setzt es eine Ohrfeige und stehen die Machtverhältnisse in der Familie fest. Während er einem dubiosen Broterwerb nachgeht, hat seine Frau sich um die Söhne, die ganz nach dem Vater kommen, deren ältere Schwester sowie den bettlägerigen Schwiegervater zu kümmern.Der Herr des Hauses ist ein jämmerliches Scheusal, das sich der eigenen Männlichkeit nur mit Rohheit versichern kann. Dass man Frauen nicht respektieren sollte, haben ihn die patriarchale Gesellschaft und das Vorbild des Vaters gelehrt. Noch immer erteilt der greise Tyrann ihm Nachhilfe: Er soll seine Frau nicht so oft verprügeln, sonst gewöhnt sie sich noch daran. Tochter Marcella hält ihrer Mutter vor, sie sei nur eine Fußmatte für ihn.„Ich singe mit geschlossenem Mund“, heißt es in einem der zahlreichen Canzone, die die Handlung sarkastisch kommentieren. Sie eröffnen einen Freiraum der Fantasie; zuweilen lösen sich Ivanos Gewaltausbrüche in beschwingte Choreografien auf, in denen kurz eine Ausflucht aus der Wirklichkeit zu gelingen scheint. Cortellesi setzt die Lieder von Lucio Dalla und anderen als Anachronismen ein. Die Geschichte, die sie erzählt, ist in ihrer Epoche verwurzelt, aber nicht an sie gekettet. Morgen ist auch noch ein Tag ist eine Komödie, die nichts beschwichtigt.Paola Cortellesi zeigt, dass Ehehölle kein unentrinnbares Schicksal istDas Multitalent Cortellesi – Komikerin, Schauspielerin, Autorin und Moderatorin – verkörpert für das italienische Publikum seit Beginn des Jahrtausends eine aufgeklärte, eminent moderne Volkstümlichkeit. Als Darstellerin hat sie zahlreiche Auszeichnungen erhalten; ihre Drehbücher sind von heiterem feministischen Furor getragen. Hiesigen Fernsehzuschauern dürfte sie vor allem als hemdsärmelige Inspektorin aus der Serie Mord in Genua bekannt sein. Eine ihre besonderen Begabungen liegt in der Imitation von Berühmtheiten.In ihrem Regiedebüt zitiert sie diskret Klassiker der Nachkriegszeit (darunter Paisà von Roberto Rosselini und Luchino Viscontis Bellissima), verwandelt sich jedoch vor allem einer filmhistorischen Strömung an, dem „rosa Neorealismus“, der Commedia all’italiana, die listige Schlaglichter warf auf archaische Geschlechterrollen und menschliche Schäbigkeit. Ästhetisch vollzieht die Regisseurin diese Herkunft nach, indem sie ihren Film zu Beginn im klassischen Normalformat kadriert und in ein Schwarz-Weiß taucht, das nicht nostalgisch ist, sondern konfliktreich. Wenn die Bilder sich mit dem Vorspann zum Breitwandformat öffnen, bleiben die Verhältnisse gleichwohl erstickend eng.Die Bevormundung und Entrechtung der Frauen zieht sich durch sämtliche Gesellschaftsschichten. Delias Hoffnung ruht auf Marcellas Verlobung mit einem Sohn aus neureichem Hause, der sich indes ebenfalls zum besitzergreifenden Macho wandelt. Allerdings zeigt der Film auf, dass die Ehehölle kein unentrinnbares Schicksal ist. Delias beste Freundin ist eine Marktfrau, die ihren Gatten patent auf seinen Platz verweist; die Besitzerin des Modegeschäftes, für die Delia Schneiderarbeiten erledigt, ist stolz auf ihre Unabhängigkeit.Neben diesen gelebten Alternativen umgibt der Film seine Heldin mit zwei Verehrern, die als Gegenbilder zu Ivano fungieren: eine verpasste Jugendliebe sowie einen schwarzen Militärpolizisten, der ihr überschwänglich für ihre Freundlichkeit dankt. Cortellesi legt diese Begegnungen betont naiv an; belastbar sind sie letztlich nicht. Die Zukunft, auf die ihr Film dringt, soll sich in weiblicher Solidarität und Selbstbestimmung erfüllen. Bis dahin wahrt der Film ein Geheimnis – einen Brief, dessen Inhalt Delia aufwühlt – und hält sein Publikum in einer Spannung, von dessen demokratischer Tragweite die Postfaschisten Melonis wenig verstehen. Nur so viel sei verraten: Mit einem Finale, das so überraschend, mitreißend und lebensbejahend ist, wird man in diesem Kinojahr wohl kein zweites Mal beschenkt werden.Eingebetteter Medieninhalt