Tradwife statt Girlboss: Zurück in die 5oer auf TikTok

Kolumne Jonathan Guggenberger erklärt die Rückkehr junger Frauen zum selbstgewählten „Dienen“ – alles zum Wohle des Mannes. Dieser Backlash auf TikTok wird auch von Neurechten instrumentalisiert
Ausgabe 14/2024
Sieht aus wie Wirtschaftswunder? Ist aber 2024
Sieht aus wie Wirtschaftswunder? Ist aber 2024

Foto: picture alliance / akg-images

Auch das politische Establishment der USA streitet über Tiktok. Im Jahr der Präsidentschaftswahlen wächst die Angst, mit Tiktok könne das Regime in Peking Einfluss darauf nehmen, wer im Weißen Haus das Sagen hat. Tiktok soll verbannt werden. Eines der gegenwärtigen Argumente: Wähler könnten direkt beeinflusst werden. Zum Beispiel durch algorithmisch gesteuerte Empfehlungen von Tiktok. Wie jüngst, als Tiktok selbst auf der Plattform dazu aufrief, Senatoren zu überzeugen, gegen ein Verbot der App zu stimmen. Das erinnert an Russiagate, als 2016 Putins Internettrolle die Wahlkampagne der demokratischen Kandidatin Hillary Clinton sabotierten.

Was droht hinter der Furcht vor einer chinesischen Verschwörung unterzugehen, ist der weniger plakative Einfluss autoritärer Kräfte auf Wählermeinungen. Zum Beispiel durch Trends wie die Tradwife-Bewegung. War in den vergangenen Jahren von autoritären Online-Communities die Rede, fiel der Blick meist auf Incels oder den faschistoiden Männlichkeitskult eines Andrew Tate. Tradwife-Influencerinnen wie Estee Williams, Hannah Neeleman oder Nara Smith bieten ebenso Zuflucht vor den Zumutungen der Gegenwart, doch bei ihnen gilt: Küche statt Gym, Ehe statt Enthaltsamkeit und selbstgewähltes Andienen statt enthemmter Gewalt. Im Genre „from the scratch“ werden Gerichte komplett selbst hergestellt. Hier inszenieren die Tradwives das Kochen als lustvolle Handarbeit und zaubern ihren Männern aufwendige Mahlzeiten nach Wunsch. Während sie in „get dressed with me"-Clips Styling Tipps geben, bewerben sie Mutterschaft als natürliche Erfüllung der Frau und mit jeder Episode aus ihrem Leben als perfekte Hausfrau wird klar: Du musst nicht mehr Girlboss werden, du kannst jetzt Tradwife sein.

Kochen, Putzen, Kinderkriegen

Die 26-Jährige Influencerin Estee Williams erklärt diesen Wunsch in einem Video: „Order is coming back to place in a world full of chaos.“ Seit Williams ihr Meteorologie-Studium an den Nagel gehängt hat, gehört sie zur Speerspitze der Tradwives. Sie gibt Tipps, wie Frau zur traditionellen Hausfrau wird und erklärt auch, warum sie und Andere sich der Bewegung angeschlossen haben. Sie spricht von „overcorrection to feminism“ und davon, dass die natürliche Geschlechterordnung beginne sich durchzusetzen. Wogegen? Gegen die Verirrungen von Emanzipation und moderner Gesellschaft. Die stelle nur Ansprüche, ohne Frauen Erfüllung zu bieten. Erfüllung fänden Frauen in der selbstbestimmten Aufgabe ihrer Autonomie: In Kochen, Putzen, Kinderkriegen und im wohlen Bewusstsein, dass der Ehemann sorgt und liebt, solange die Frau nur gut aussieht. So sehen das zumindest die Fans von Influencerinnen wie Williams oder dem Model Hannah Neeleman. Ihnen gelten die Tradwives als selbstbestimmte Frauen, die sich vor der neoliberalen Verschwörung feministischer Girlbosses in die scheinbar heile Welt der 1950er Jahre flüchten. Tradition als Antwort auf Entfremdung.

Nach einem erholsamen Retreat sieht auch der Content von Nara Smith aus. Das 23-jährige Model aus Frankfurt, das zusammen mit ihrem Ehemann, dem Model Lucky Blue Smith, und drei Kindern in Los Angeles lebt, ist die erfolgreichste unter den Tradwives. Die vielzähligen Clips über ihr Leben zwischen Küche und Fotostudio werden millionenfach geklickt. Mit Schmalzlocke und Levis Jeans oder im dezenten „silent rich“- Style wirken Nara und Lucky Blue Smith wie das kataloggebuchte Reenactment der 1950er. Wo man die ironische Distanz zweier Hipster erwartet, schlägt einem die Naturalisierung konservativer Rollenbilder entgegen: Während Lucky Blue schweigend auf einem Zahnstocher kaut, spricht Nara über die „Cravings“, die Essenswünsche ihres Mannes, die sie ihm stets erfüllt, ohne dass er sie zwingt. Die betonte Zwanglosigkeit des traditionellen Lifestyles ist Programm: Nara hat die Wünsche ihres Mannes verinnerlicht. Sie zu erfüllen ist ihre „love language“ – wie sie sagt. Anderen zu dienen, wird zur charakterlichen Essenz von Weiblichkeit, zum freien Willen der Frau verklärt.

Spirale des Radikalen

Die Tiktok-Community ist gespalten: Es wird gestritten, ob Influencerinnen wie Hannah Neeleman und Nara Smith, beide sind Mormoninnen, ihre Reichweite nutzen, um fundamentalistische Glaubenssätze zu verbreiten. Auch der Vorwurf rechtsextremer Propaganda wird erhoben. Wirken die Influencerinnen politisch eher unbedarft, führt die Popularität der von ihnen beworbenen Lebensmodelle auf Tiktok schnell in eine Spirale radikaleren Contents: Darunter auch Hashtags wie #revoltagainstthemodernworld – der Titel eines unter Neurechten gern gelesenen Buches des faschistischen Autors Julius Evola.

Auch Nara Smiths Geschäftsmodell wird angeprangert: Sie trete zwar nicht auf wie ein Girlboss, profitiere aber durch das Tiktok-Kapitalisierungsmodell von der Sehnsucht enttäuschter junger Frauen. Ihr gut finanzierter Lifestyle als Tradwife und Model bliebe für die meisten unerreichbar. Dem widersprechen einige ihrer Fans. Sie sehen in Smith eine Tradwife of Color, die mit ihrem Wunsch nach Mutterschaft und patriarchaler Obhut ein ersehntes Gegenbild zur verschleißenden Ellbogenmentalität weißer westlicher Girlbosses darstelle. Letztlich wirkt dieses Argument wie die misogyne und rassifizierende Verklärung einer Bewegung, die die Isolation von Frauen in einer Hochleistungsgesellschaft mit der selbstgewählten Rückkehr zum Zwang der patriarchalen Familie beantwortet. Bald wird man Nara Smith wohl auf dem Capitol Hill protestieren sehen. Denn sollte ein Tiktok-Verbot kommen, droht auch der aus Klick-Kapital gebaute anti-moderne Rückzugsraum der Tradwives zu zerbröseln.

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