Sinn und Unsinn des USA-TikTok-Verbots

Kolumne In den USA versucht man derzeit, TikTok zu verbieten. Die Begründungen dafür sind vorgeschoben, lassen aber tief blicken
Demo vor dem Kapitol in Washington gegen das geplante TikTok-Verbot
Demo vor dem Kapitol in Washington gegen das geplante TikTok-Verbot

Foto: Anna Moneymaker/Getty Images

Wenn es um gesetzliche Vorschriften zum Thema Tech geht, gilt seit Jahren dieselbe Dynamik: Amerika kreiert, Europa reguliert. Aus dem Silicon Valley kommt die Technologie, aus Brüssel die Gesetze. In den USA schimpft man zwar gerne auf „Big Tech“, dennoch ist kein Gesetzesvorhaben jemals nennenswert weit gekommen – bis jetzt.

Vergangenen Mittwoch hat das US-Repräsentantenhaus ein Gesetz auf den Weg gebracht, das effektiv auf ein Verbot von TikTok hinausläuft. Das Vorhaben muss noch vom Senat angenommen werden, was äußerst unwahrscheinlich ist, aber wer weiß. Das Ganze ist jedenfalls so faszinierend wie deprimierend: Einerseits spricht das Verbot (auf denkbar krude Weise) bestehende Probleme mit Social Media an, andererseits ist der treibende Faktor eine paranoide Angst vor einer diffusen Gefahr aus dem (fernen) Osten.

Es gibt grob drei Argumente für das Verbot. Das erste ist lächerlich, das zweite weit hergeholt und das dritte aus mehreren Gründen interessant. Sie lauten:

  • Die chinesische Regierung könnte über TikTok personenbezogene Daten über US-Bürger:innen absaugen.
  • Die chinesische Regierung könnte über algorithmische Empfehlungen auf TikTok politischen Einfluss auf die (in der Tendenz jungen) Nutzer:innen der App nehmen.
  • TikTok ist auf eine einzigartige Weise schädlich und frittiert uns das Hirn.

Das erste Argument ist lächerlich. Nicht, weil die chinesische Regierung kein Interesse an Daten von US-Bürger:innen hat, sondern weil sie dafür nicht TikTok brauchen. Diese Daten – meist brav gesammelt von original US-Unternehmen mit „westlichen Werten“ in der Charta und Freedom! im Blut – sind massenhaft und legal auf dem freien Markt verfügbar. TikTok dafür zu sperren, ist also purer Quatsch.

Das zweite Argument ist schon interessanter. Es gibt durchaus Hinweise darauf, dass TikTok in der Vergangenheit bestimmten chinakritischen Themen die Reichweite gedrosselt hat, wie zum Beispiel den Demokratie-Protesten in Hongkong oder der massenhaften Verfolgung und zwanghaften Umerziehung der Uiguren. Das ist ein ernstes Problem. Doch angesichts dessen, dass Meta künftig auf Instagram und Threads keine politischen Inhalte mehr empfehlen möchte – was Hongkong und die Uiguren und alles andere betreffen würde – ist es ein allgemeines und kein TikTok-spezifisches. Zudem ist nicht klar, ob die vermeintliche Drosselung auf die Weisung aus Peking hin passiert ist oder aus einer eigenständigen Vorsicht seitens Bytedance/TikTok. Solch vorauseilender Gehorsam ist auch bei Meta Standard, die auf ihren Plattformen wiederholt nichts gegen rechte Verschwörungstheorien unternommen haben, aus Angst Ex-Präsident Trump und seine Republikaner zu verärgern. Hiermit könnte man durchaus legislative Schritte begründen, jedoch gegen alle Plattformen, nicht nur TikTok.

Das dritte ist das interessanteste der Argumente, denn Smartphones und Social Media tun tatsächlich etwas mit unseren Hirnen. Wir alle wissen das, spüren das. Auch Studien zeigen, dass wir in den 90ern uns noch durchschnittlich zweieinhalb Minuten auf eine Sache konzentrieren konnten – heute sind es noch 47 Sekunden. Junge Menschen schlafen immer schlechter, mit dem größten Einbruch in nächtlichen Stunden zwischen 2012 und 2015, als Smartphones und Social Media gerade allgegenwärtig wurden. Die Korrelation zwischen Depression und Smartphones ist ebenfalls stark. Das ist alles wahr und mehr als besorgniserregend. Doch erneut: Das ist kein Problem mit TikTok, das ist ein Problem eines digitalen Kapitalismus, der Menschen und ihre Aufmerksamkeit als auszubeutende Ressource sieht. Unsere mentalen Energien sind das Öl, Instagram, Facebook und, ja, auch TikTok sind Fracking-Unternehmen, die sich den Weg dorthin brutal freisprengen, um es anzuzapfen.

Diese Geschichte ist deswegen so deprimierend, weil das alles nichts neues ist. Offensichtlich weiß die US-Politik bestens über all diese Probleme Bescheid: über Big Techs übermäßigen Einfluss auf Politik, über unsere Erschöpfung, unseren schlechten Schlaf, unsere Depressionen. Sie wissen, dass die Plattformen zu regulieren – wenn auch nicht zwangsläufig zu verbieten – ein Schritt (von sehr vielen!) in die richtige Richtung wäre. Aber das Wohlbefinden der Menschen reicht nicht als Begründung. Gegen kleptokratische Tech-Barone wird erst etwas unternommen, wenn sie nicht Made in America sind.

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Titus Blome beschäftigt sich in seiner Kolumne Maschinentext mit neuen Technologien.

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