„Poor Things“, „Barbie“ und Co.: Wie feministisch sind die heutigen Filme?
Filmfrauen Nicht alles, wo feministisch draufsteht, ist auch wirklich politisch. Heutzutage reicht eine ambivalente Hauptdarstellerin, um das Label zu erhalten
Leider keine neue feministische Filmikone: Emma Stone als Bella im Film „Poor Things“
Foto: Searchlight Pictures
Spielen wir ein Ratespiel: Welcher der für den besten Film nominierten Kandidaten bei den diesjährigen Oscars ist am feministischsten? Ist es Barbie, eine familienfreundliche Hymne an das Plastik-It-Girl unserer Kindheit? Oder Poor Things, eine rasante Frankenstein-Variation, die den Emanzipationsprozess einer einzelnen Frau beschreibt? Oder ist es Anatomie eines Falls über eine erfolgreiche bisexuelle Schriftstellerin, die des Mordes an ihrem Mann beschuldigt wird?
Für jeden der drei Filme lassen sich dafür gute Argumente vorbringen. Umgekehrt ist es aber auch einfach, sie schnell zu demontieren: Barbies Frauen-Power ist nichts weiter als gute PR für den Spielzeugproduzenten Mattel. Poor Things lässt sich als manipulierte männliche Vision von der Bef
gumente vorbringen. Umgekehrt ist es aber auch einfach, sie schnell zu demontieren: Barbies Frauen-Power ist nichts weiter als gute PR für den Spielzeugproduzenten Mattel. Poor Things lässt sich als manipulierte männliche Vision von der Befreiung der Frau auffassen.Müssen Filme über Frauen an einer feministischen Messlatte gemessen werden? Und wodurch genau wird das Maß bestimmt, wenn die Definition fließend ist und die Prioritäten variabel? Die Auswirkungen von #MeToo und die Bemühungen der vergangenen zehn Jahre, die Kluft zwischen den Geschlechtern in der Filmindustrie zu überwinden, führten dazu, dass mehr Filme für und über Frauen gedreht werden.Es gibt Superheldinnen in ihren eigenen Blockbuster-Vehikeln wie Wonder Woman oder Black Widow, Filme, die die Qualen sexueller Nötigung thematisieren (wie Bombshell. Das Ende des Schweigens, The Assistant), und Filme über die Erfahrung, eine Abtreibung anzustreben, wie Niemals Selten Manchmal Immer und Call Jane. Dann sind da noch die „bösen“ feministischen Filme – Tár, I Care a Lot –, die als feministisch gelten, weil sie es wagen, Frauen in moralisch ambivalenter Weise zu zeigen.Superheldin oder böse FrauIst jeder Film mit einem starken weiblichen Charakter feministisch? Der Zeitpunkt ist erreicht, an dem die Bezeichnung billig wirkt. Man wähle einen Film, addiere ein wenig rhetorisches Geplänkel sowie ironisches Augenzwinkern – und voilà: fertig ist eine Ikone des Feminismus! Einerseits spricht das für die Normalisierung einer Bezeichnung, die früher einmal als radikal galt und eine Nische bezeichnete – heute sind wir alle Feminist*innen oder sollten es sein. Andererseits ist das Label „feministisch“ eher eine Unterkategorie bei Netflix – ein Algorithmus-Hinweis – als eine bedeutungsvolle Beschreibung von Kunst.Und als Sub-Genre ist es so breitgefächert, dass es praktisch nutzlos ist, beinhaltet es doch Filmbiografien über Suffragetten ebenso wie schlüpfrige feministische Komödien und „Final girl“-Horrorstreifen, in denen die Protagonistin übrig bleibt, um gegen das Böse zu kämpfen. Wenn ich Filme gucke – und ich gucke viele –, suche ich nicht vorsätzlich nach einer feministischen Botschaft. Und wenn ich sie finde, ist das nicht unbedingt positiv.Der schräge Horrorfilm M3GAN über eine dämonische KI-gesteuerte Puppe, der im vergangenen Jahr in die Kinos kam, ist hier ein hilfreiches Beispiel. Darin spielt die US-Schauspielerin Allison Williams eine geniale Technologie-Spezialistin mit großen Mutterschaftsängsten. Deswegen baut sie einen Roboter, der sich um ihre verwaiste Nichte kümmert. Ich mochte den Film. Nicht weil ich seine feministischen Qualitäten gut fand, sondern weil ich die Ideen über Technologie und unsere wachsende Aversion gegen menschliche Kontakte innovativ fand. Außerdem gingen die thematisierten weiblichen Sorgen und häuslichen Spannungen gut mit der gruseligen Satire des Films zusammen.Im gleichen Sinne ärgert mich an einem Film wie Poor Things nicht, dass die Figur, die Emma Stone spielt, keine Periode hat. Ich mochte den Film nicht, weil er wie eine nachdrücklich ausgereifte Version eines schematischen Disney-Films abläuft: Es gibt ein Erwachen, eine skurrile Reise, einen Höhepunkt und ein Ende zum Wohlfühlen. Zudem scheint das Skript mit dem Ziel konzipiert, nacheinander alle Aspekte weiblicher Ermächtigung abzuhaken. Und dann ist da der Sex, der paradoxerweise als eine Art progressives Tugendsignal zu dienen scheint: Seht her, unsere sexuelle Politik ist intelligent und anspruchsvoll!Das ist ein reiner Malen-nach-Zahlen-FeminismusDer Wunsch, eine starke feministische Vision zu zeigen, ist kein verwerfliches Ziel, und es gibt einen guten Grund für einen solchen Ansatz. In der Vergangenheit profitierte die männerdominierte Filmindustrie von einem großen Anteil an Filmen, die Frauen an den Seitenrand drängten; die sie fetischisierten und zum Objekt machten; die sie nichts anderes sein lassen als Jungfrau, Hure, Freundin, Ehefrau oder Geliebte.Cherchez la femme – sucht die Frau –, lautet das französische Sprichwort, das sich auf ein Klischee in Romanen und Filmen bezieht, in denen die Frau die Ursache aller Probleme ist und die Handlungen des Helden auslöst, im Guten wie im Schlechten. Ihre Handlungen, ihre Wünsche sind nur von Belang, insofern sie die des Mannes beeinflussen. Das Problem ist die Regelmäßigkeit dieser Dynamik, die sich über die gesamte Filmgeschichte hinzieht, in der es zu wenige weibliche Mitarbeiter in der Filmbranche und Frauen in Positionen mit finanzieller und kreativer Macht gab. Eine starke Frau zu porträtieren, ist aber auch nicht per se eine interessante oder bedeutungsvolle künstlerische Entscheidung.Zu viele Filme präsentieren uns einen Malen-nach-Zahlen-Feminismus, der unseren Egos schmeichelt und es ihnen ermöglicht, sich als viel gewichtiger und bewundernswerter auszugeben, als sie eigentlich sind. In der gegenwärtigen Filmkultur – insbesondere wie sie sich in den sozialen Medien zeigt – herrscht das Gefühl vor, dass ideologische Kämpfe wirkungsvoll durch politisch geprägte Gespräche über Kunst und Unterhaltung geführt werden können.Ein Film wie Poor Things ist bedeutungsvoll, weil er einer zunehmend sexlosen Popkulturlandschaft entgegensteht; Barbie, der weltweit umsatzstärkste Film des Jahres 2023, wurde aus sexistischen Gründen um weitere Oscar-Nominierungen gebracht. Diese Einschätzungen sagen wenig über die Filme selbst aus. Sie zeigen eher, was die Filme für ein politisch frustriertes Publikum bedeuten.Früher regten die Filme noch zum Nachdenken anIn den 1970er Jahren erlebte der feministische Film einen Aufschwung. Es gab feministische Filmkollektive, die Dokumentarfilme über Frauenrechtsthemen drehten; Hollywood begann verstärkt zu riskieren, auf Regisseurinnen und Drehbuchautorinnen zu setzen; eine Handvoll Independent-Filme wurde veröffentlicht, die die weibliche Erfahrung auf völlig neue Weise in den Mittelpunkt stellten wie Girlfriends oder Jeanne Dielman.Die feministischen Filme der Vergangenheit boten komplexe und anregende neue Denkweisen über Sex, Geschlechterbeziehungen und Hausarbeit. Zudem forderten sie das Publikum zum Nachdenken darüber heraus, was es bisher für selbstverständlich hielt.Ich bin mir nicht sicher, ob dieser Geist der Auseinandersetzung heute noch möglich ist, wenn unser Verständnis von feministischer Power nicht über niedrig hängende Früchte wie Sex-Positivity und korrekte Darstellung hinausgeht. Lässt man jedoch diese mittlerweile abgenutzten Markierungen – die leider zu oft mit „guter Qualität“ verwechselt werden – hinter sich, so wird man feststellen, dass Filme sogar besser sind, wenn sie nicht schon von vornherein ihre Botschaft verraten.Placeholder authorbio-1
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