Regierung als Wille und Vorstellung

Schwarz-Grün Eine Schwarz-Grüne Minderheitsregierung ist eine große Chance: Für die Demokratie und für die Parteien der politischen Mitte

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Gleich vorweg: Ich bin kein Fan der Schwarz-Grünen Idee. Mir ist das zu kulturbürgerlich, zu schlaumeierisch und am Ende zu konservativ. Als Projekt der Mitte hat Schwarz-Grün allerdings eine Chance verdient, gerade als Minderheitsregierung.

Die gemeinsamen Verabredungen, die Schwarz-Grün sondiert haben, wären nicht das Unglück des Landes. Auch persönlich scheint es zwischen den drei Parteien zu funktionieren, wie uns in zahlreichen Artikeln unter die Nase gerieben wird. Eine Minderheitsregierung wäre unter diesen Umständen für alle drei Parteien sicher eine Herausforderung, sie verspricht aber zusammenhalten zu können. Auch das mögliche Personaltableau erscheint als kompetente Lösung.

Ich habe im Verfassungsblog Gründe gegen eine Minderheitsregierung nachgelesen, so richtig überzeugen die mich nicht. Denn eine Schwarz-Grüne Minderheitsregierung müsste ja nicht bei wechselnden Oppositionsparteien nach Mehrheiten suchen.

DIE LINKE und die AfD betreiben schon jetzt Fundamentalopposition, sie gehört zum Markenkern beider Parteien. Und die FDP hat sich gerade selbst abgeschossen. Kompromisse müssten an einigen wenigen, aber bedeutenden Punkten nur mit der SPD gesucht werden. Das ist sehr wohl möglich und alle vier beteiligten Parteien CDU, CSU, Grüne und SPD könnten davon profitieren.

Haushalt

Die Stimmen der SPD würden für die Verabschiedung des Bundeshaltes benötigt. Weil die SPD in zahlreichen Bundesländern regiert, geht es ohnehin nicht ohne sie. Die SPD könnte hier ihre Stärke als soziales Korrektiv Schwarz-Grüner Pläne voll ausspielen und in den gewieften und erfahrenen Haushaltspolitikern der SPD fände die Koalition verlässliche Verhandlungsgegner, die zu einmal verabredeten Kompromissen auch stünden. Eine Hängepartie wie zwischen Republikanern und Demokraten in den USA ist nahezu ausgeschlossen. Eine Staatskrise würde die SPD niemals auslösen. Der Bundeshaushalt könnte so aus der Opposition heraus sozialverträglich gehalten werden, ein großes Manko der bürgerlichen Koalition von Grünen und Union. Alles in allem ist ein schwarz-grüner Haushalt mit sozialen Korrekturen der SPD zwar ein hartes Stück Arbeit, aber nicht unmöglich.

Auslandseinsätze der Bundeswehr

Ein weiterer wichtiger Punkt wären die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Hier hat sich etabliert, dass die "Parlamentsarmee" von einer möglichst großen Mehrheit entsendet wird. Nur DIE LINKE und einzelne Abgeordnete der SPD und der Grünen sind davon bisher abgewichen. Wiederum bräuchte es hier die Zustimmung der SPD. Das hätte sicher zur Folge, dass über Sinn und Unsinn jedes Einsatzes gründlicher diskutiert würde. Es darf ruhig kritischer zugehen, was die Verwendung der Bundeswehr angeht. Aus der Opposition kann das pragmatisch nur die SPD leisten, weil sie anders als DIE LINKE nicht per se gegen alle Einsätze und anders als FDP und AfD nicht waffengeil ist. Die Zeiten, da die "Parlamentsarmee" von allen Parteien geschickt wird, sind ohnehin vorbei. Zeit, dass die Auslandseinsätze der Bundeswehr im Parlament intensiver diskutiert werden.

Europa

Das dritte wichtige Politikfeld, auf dem ohne die SPD nichts geht, ist die Europa- und Außenpolitik. Doch auch hier gilt: Die SPD ist eine pro-europäische Kraft, solange es sozial(er) zugeht, dürfte die Partei den schwarz-grünen Plänen zustimmen. Kompromisse mit einer starken pro-europäischen Oppositionspartei SPD können auch hier der Sache nur dienen. Für die SPD hätte eine Oppositionsrolle hier den Vorteil, dass ihr Parteivorsitzender Martin Schulz sich als europakompetenter Gegenentwurf zur Regierung präsentieren kann, anstatt als Merkels Außenminister zu agieren. Europa und der Zustimmung der Deutschen zum europäischen Projekt kann das nur gut tun.

Vorteile für Parteien guten Willens

Die Union und ihre Kanzlerin könnten sich als Regierungspartei zeigen, die auch durch schwierige Zeiten lenkt. Die Union könnte ihre Ministersessel mit jüngerem, frischeren Personal besetzen, das sich für die Nachfolge Merkels warm laufen kann. Und: Die Union bliebe so auf alle Fälle an der Macht, das ist nach Neuwahlen ganz und gar nicht sicher. Sie hat bei der Bundestagswahl im Herbst herbe Verluste eingefahren. Ihr Spitzenpersonal, einschließlich der Kanzlerin, haben weite Teile der Öffentlichkeit über. Die Union muss von allen Parteien der Mitte Neuwahlen am meisten fürchten.

Die Grünen wären endlich wieder am Drücker. Sie haben in den Sondierungen nachgewiesen, dass sie zu Kompromiss und Regierungsverantwortung bereit sind. Auf diesem Weg ließen sich weite Teile der grünen Agenda umsetzen. Ihr Spitzenpersonal lechzt geradezu nach Exekutivverantwortung. Zeit, dass Göring-Eckardt, Özdemir & Co. im Amt nachweisen, was bisher nur auf Papier und in Talkshows gemahnt wird. Als ökologisch-bürgerliche Kraft könnten sich die Grünen in einer Regierung sowohl vom verstaubten Konservatismus der Union abheben, als auch von der Sozialstaatsromantik der SPD. Sie würde als Kraft der Mitte erscheinen.

Die SPD schließlich hätte das Beste aus zwei Welten. Als Oppositionskraft kann sie die Regierung in sozialen Fragen vor sich her treiben. Auf ihr ruhten die Hoffnungen, derer die wollen, dass es gerecht zu geht. Notwendige Kompromisse würden nicht so schal daher kommen wie eine erneute große Koalition, sondern als Erfolg gegenüber der Regierungskoalition. Sie muss nicht mit Merkel in einem Boot sitzen und sich bei Fragen der Gesellschaftspolitik bremsen lassen. Gegenüber der LINKEN erschiene sie als soziale Kraft, die zum Kompromiss und zur Gestaltung fähig ist und hätte auch nach Rechts genug Beinfreiheit, um mit FDP und AfD nicht zu zimperlich umzugehen.

Eine Zukunft der Parteien der Mitte

Nach einer spannungsreichen Legislatur stünden im besten Falle drei erneuerte und schlagkräftige Parteien zur Wahl, deren Politikangebot sich trotzdem deutlich voneinander unterscheidet. Es würde deutlich: so einig sind sich die Parteien der Mitte doch gar nicht (ein beliebtes Vorurteil der AfD), wenn Kompromisse auf offener Bühne und nicht in verschwiegenen Koalitionsausschüssen gesucht und gefunden werden müssen.

Eine gegenseitige Neutralisierung wie nach den neueren großen Koalitionen ist zwischen Grünen und Union weniger wahrscheinlich und die SPD kann in der Opposition ihre Unterschiede zum bürgerlichen Programm schärfen. Auch das Personaltableau der drei (vier) Parteien könnte sich zurecht rütteln und so zur kommenden Bundestagswahl frischer daherkommen. Am Ende also würden die Kräfte profitieren, die Deutschland mit Vision und Stabilität führen können, nicht jene Parteien, die aus Opportunität, Arroganz und Eitelkeit agieren.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Philipp Greifenstein

freier Journalist und Referent, Twitter: @rockToamna, Redakteur des Magazins für Kirche, Politik und Kultur "Die Eule"

Philipp Greifenstein

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