Immer schon hat man sich über Horst Hrubesch gerne Geschichten erzählt. Die frühen handelten von einem Fußball-Mittelstürmer in der Bundesliga, dessen wenige überlieferte Ausführungen nie den Status eines grammatikalisch vollendeten Satzes erreichten. „Manni Bananenflanke, ich Kopf, Tor“, so beschrieb er das Zustandekommen seiner vielen Treffer für den Hamburger SV und die Zusammenarbeit mit Vorlagengeber Manfred Kaltz. Oder: „Wir müssen das Spiel erst einmal Paroli laufen lassen.“ Noch so ein Sprachunfall – der aus einer Zeit stammt, die man in Lebensläufen besser dezent verschweigt.
Bei der Europameisterschaft 2000, die den Tiefpunkt der deutschen Fußball-Geschichte markiert, war Horst Hrubesch der Assist
der Assistent eines heillos überforderten Bundestrainers Erich Ribbeck. Spätestens da schien das Urteil gefällt zu sein: Dass Hrubesch keiner ist, für den der moderne Fußball eine herausragende Verwendung hat. Gut, auf seine Spielerkarriere blickten alle mit Bewunderung. Er war eine späte Entdeckung, Bundesliga-Debütant mit 24 Jahren, Nationalspieler und Europameister mit 29, in seinen Dreißigern drehte er noch einmal mächtig auf. Aber einer, der den Fußball lehrt, der Mannschaften führt? Konnte man sich nicht vorstellen. Sein Scheitern bei einer Reihe von Vereinen in Deutschlands Osten, Österreich und der Türkei sowie an Erich Ribbecks Seite war wie eine Bestätigung dafür.Heute, mit bald 73, wird Horst Hrubesch gefeiert. Derzeit hilft er mal wieder bei der Frauen-Nationalmannschaft aus, hat nach einer missglückten WM unter Vorgängerin Martina Voss-Tecklenburg die Leistungen stabilisiert, und wenn sich das Team dieser Tage für das Olympia-Turnier im Sommer qualifizieren kann, dann hat er als gelernter Dachdecker einen Teil des Hauses DFB wieder regenfest gemacht. Es wäre nicht seine erste Reparaturarbeit in den vergangenen zwanzig Jahren im deutschen Fußball. Immer wieder springt Hrubesch ein, wo eine helfende Hand gefordert ist: in den diversen Nachwuchs-Altersstufen, bei den Frauen und auch schon als Sportdirektor beim Deutschen Fußball-Bund. Hrubesch ist der Typ im Blaumann, der ein wenig brummelt, wenn er gerufen wird, dann aber seinen Instrumentenkoffer öffnet und das passende Werkzeug herausholt. Der Handwerker des Vertrauens.Horst Hrubesch: Klare Ansprache, immer aufmunterndSein Erfolg übers Renteneintrittsalter hinaus liegt zum einen daran, dass er herausgefunden hat, wohin er als Trainer am besten passt: Nicht an die vorderste Frontlinie des in allen Facetten ausgeleuchteten Profifußballs, der keine Unebenheit verzeiht, sondern zu Mannschaften in der zweiten Reihe. Den Teams im DFB, deren Name mit einem U beginnt: Unter 18, Unter 20, Unter 21. Wo er mit Spielern arbeitete, die erst später bekannt wurden – wie vor gut 20 Jahren mit den Jugendnationalspielern Bastian Schweinsteiger und Lukas Podolski. Wenn davon geschwärmt wird, dass der Grundstock der Weltmeister-Elf von 2014 fünf Jahre davor mit dem Gewinn der U21-Europameisterschaft gelegt wurde – wer war der Trainer? Hrubesch. 2016 stellte er einen Not-Kader für die Olympischen Spiele zusammen, das Turnier war vom FIFA-Rahmenterminkalender nicht geschützt, kein Verein konnte gezwungen werden, Spieler abzustellen, alles erfolgte auf Goodwill-Basis. Hrubesch kehrte aus Rio de Janeiro mit Silber zurück. Und vor allem mit der Anerkennung seiner Spieler.Das ist der zweite Pfeiler für den Hrubesch-Erfolg: Authentizität. Nicht mehr alltäglich im höheren Fußball, dass da einer vor der Mannschaft steht und kein Rollenspiel aufführt. Klare Ansprache, dabei aber nie vernichtend, immer aufmunternd. Der Altersunterschied zu denen, die er anleitet, wird immer größer, aber das ist von Vorteil: Hrubesch ist seinen Spielerinnen und Spielern jetzt schon mehr Großvater- als Vaterfigur. Doch junge Menschen kommen mit durch Lebenserfahrung gelassenen und liberal gewordenen Großeltern meist besser zurecht als mit den Eltern. Vor allem in der Frauen-Nationalmannschaft war das Aufatmen hörbar, als er vor einigen Monaten übernahm. Die um Autorität ringende Voss-Tecklenburg hatte das Leben der Spielerinnen bis ins Detail regeln wollen, die jungen Erwachsenen mussten sich fast entmündigt vorkommen – Opa Horst hält die Leine ganz locker in der Hand. Er hat auch keine Karriereambition mehr. Eine Mannschaft kann sich sicher sein, dass seine Aufmerksamkeit nur ihr gilt – und nicht schon der nächsten, der größeren Aufgabe.Hrubesch will nicht mehr sein als Horst. Sein Vorname steht auch an der Tür zu seinem Büro, das er beim Hamburger SV hat. Nach wie vor dient er seinem Lebensklub, er ist, wenn ihn die DFB-Frauen nicht brauchen, Direktor des HSV-Nachwuchsleistungszentrums. Aber er braucht kein Schild, das ihm das bestätigt. Darum einfach nur „Horst“. Heute wird kein Neugeborenes mehr Horst genannt. Doch Hrubesch ist ein Horst voller Überzeugung – und momentan ist das im deutschen Fußball ein Gütesiegel, an das man sich klammert. Die gute alte Zeit ist jetzt. Der DFB würde Horst und seine Frauen im Sommer liebend gerne bei Olympia in Paris sehen.Placeholder authorbio-1