Mit großer Erleichterung wird in der Ukraine und den westlichen Unterstützerstaaten die Entscheidung im US-Repräsentantenhaus aufgenommen, das lange umstrittene Hilfspaket von 61 Milliarden Dollar zu genehmigen. Die sich verschlechternde militärische Lage Kiews hatte westliche Politiker zu immer dramatischeren Appellen an die Republikaner animiert, bis nach sieben Monaten Blockade durch das Trump-Lager ein Sinneswandel eintrat.
In dieser Zeit sahen sich die Europäer genötigt, ihren militärischen Beistand hochzufahren. Der Druck dazu wird bleiben, denn das US-Gesetz sieht vor, die US-Zusagen auf 50 Prozent der Zuwendungen der Verbündeten zu deckeln. Ausnahmen sind möglich, sofern die Biden-Administration darlegen kann, warum die Alliierten nicht m
usnahmen sind möglich, sofern die Biden-Administration darlegen kann, warum die Alliierten nicht mehr leisten, und wie sie das zu ändern gedenkt. Auch Kiew wird in den Schwitzkasten genommen, es soll zurückzahlen, was es bekommt – Ausnahmen sind unter Umständen denkbar –, doch steht die Lastenteilung ganz oben auf der US-Agenda.Die Ukraine ist Russland strukturell unterlegenNatürlich sind die nun erwarteten US-Waffenlieferungen, darunter 1.000 Raketen vom Typ ATACMS mit einer Reichweite von bis zu 300 Kilometern für die Ukraine eine positive Nachricht. Sie werden es erlauben, den russischen Vorstößen besser standzuhalten, haben aber zugleich den negativen Effekt, unrealistische Siegesphantasien zu beflügeln. Auf jeden Fall werden sie dazu beitragen, den Krieg zu verlängern und damit die Antwort auf die Frage hinauszuschieben, wie lange er denn für die direkt und indirekt Beteiligten noch tragbar sein wird. Für Kiew ist diese Frage leicht zu beantworten. Ohne massive westliche Unterstützung würde Russland auf dem Schlachtfeld siegen, die Ukrainer sähen sich gezwungen, in den Modus eines Partisanenkriegs zu wechseln. Das wären für beide Seiten wie für Europa alles andere als gute Aussichten.Denn auch das Wiederbeschicken der US-Rüstungspipeline wird nicht zum Sieg führen. Das Kernproblem der Ukraine besteht darin, Russland strukturell unterlegen zu sein. Sie verfügt nur über ein Viertel der Bevölkerung, hat weniger Ressourcen und eine geringere Wirtschaftskraft. Militärisch ist sie Russland unterlegen. Vor allem mangelt es Kiew nach hohen Verlusten an gut ausgebildeten Soldaten, während Ersatz kaum rekrutiert werden kann. Die einen sind im Ausland, andere versuchen im Land dem Militärdienst zu entkommen, wieder andere müssen mit zu wenig Ausbildung ins Gefecht ziehen. Das jüngst verabschiedete Rekrutierungsgesetz soll Abhilfe schaffen. Die seit über zwei Jahren an der Front befindlichen Soldaten müssen trotzdem weiterkämpfen, da es ein riesiges demografisches Problem gibt. Männer unter 30, die normalerweise das Rückgrat einer Armee stellen, machen gerade die kleinste Alterskohorte aus.Vorbild Rechenschaftspflicht des US-PräsidentenKiews Verbündete müssen der Tatsache ins Auge schauen, dass sie das geschundene Land noch lange massiv stützen müssen, wenn es nicht gelingt, den Konflikt zumindest einzufrieren. Je länger der Krieg dauert, desto mehr laufen sie Gefahr, hineingezogen zu werden. Das Vorhaben, Unterstützungsmaßnahmen wie Logistik und Ausbildung künftig in die Ukraine zu verlegen, ist ein weiterer Schritt in diese Richtung. Deutschland und die europäischen NATO-Partner müssen sich zudem fragen, ob und wie lange sie in der Lage sind, die von den USA erwartete militärische Lastenteilung zu tragen. Noch herausfordernder wäre es, eine ähnliche Rechenschaftspflicht einzuführen, wie sie der US-Kongress vom Präsidenten verlangt, nämlich vierteljährlich über das Erreichen verfolgter Ziele im Lichte priorisierter nationaler Interessen anhand klarer Maßstäbe zu berichten. Der Bundestag sollte sich ein Beispiel nehmen.Das Hauptargument der auf Sieg setzenden Kriegsbefürworter ist, dass Putin weitermachen werde und andere Länder ihm zum Opfer fallen würden, wenn die Ukraine den Krieg verliert. Nach dieser Logik erscheint es durchaus sinnvoll, eigene Soldaten in die Ukraine zu senden, zumal Russland jetzt noch geschwächt ist. Spinnt man den Gedanken weiter, müsste man eigentlich aktiv in den Krieg eintreten. Nur geht die Solidarität angesichts des gesellschaftspolitischen und nuklearen Risikos vernünftigerweise soweit nicht. Statt mit immer neuen Waffenpaketen auf einen ukrainischen Sieg zu hoffen, sollten die USA und ihre Verbündeten, gestützt nicht zuletzt auf die vom NATO-Ukraine-Rat zugesagte Verstärkung der Luftabwehr, eine diplomatische Offensive starten und Russland unter Zugzwang setzen, den Konflikt einzufrieren und nach politischen Lösungen zu suchen. Die Mitte Juni 2024 geplante Friedenskonferenz in der Schweiz böte eine Gelegenheit – vorausgesetzt Moskau würde eingeladen und dies annehmen.