Das kälteste Gewerbe

Onlinejournalismus Marketingexperten wollen den Fortbestand des Journalismus sichern, doch genau das kann ihn kaputtmachen. Der Nachwuchs muss davor gewarnt werden. Schirrmacher wusste das

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Quo vadis?
Quo vadis?

Bild: Sean Gallup/Getty Images

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Im Lied "Zuhälter" von Wir sind Helden heißt es natürlich nicht "Artikel", sondern "Lieder". Doch der Sinn ist klar: Die Inhalte werden ausverkauft. Im wahrsten Sinne. Doch wer wehrt sich?
Man könnte sagen, Krautreporter wären die "Helden" (also: Wir sind Helden) des Onlinejournalismus. Wir alle sollten das hoffen. Schirrmacher hat es gehofft. Denn ihm war die Tragweite unseres Problems bewusst: Indem wir Marketingexperten stark in die Entstehung unserer Texte eingreifen lassen, werden wir zu Zuhältern unserer eigenen Arbeit. Wir beuten unsere Texte aus.

"Der Journalismus ist kaputt". Mit diesem Motto und dem passenden, an vielen Stellen noch unvollständigen Konzept wollen die "Krautreporter" sich dem Wandel des Qualitätsjournalismus in den Weg stellen. In der Begründung heißt es: "Weil vielen Medien Klicks wichtiger sind als Geschichten. Weil niemand mehr den Überblick behalten kann, wenn die Welt nur noch in Eilmeldungen erklärt wird. ... Weil sich auch in seriösen Online-Medien der Boulevard ausbreitet."

Wer das nicht glaubt, dem sei die Aufzeichnung des diesjährigen "Frankfurter Tag des Onlinejournalismus" empfohlen. Insgesamt sechs Stunden wurde dort am vergangenen Dienstag über die letzten ca. 20 Jahre und die Zukunft des Onlinejournalismus gesprochen. Doch es drängte sich der Eindruck auf, dass es vorwiegend um Ökonomie und Technologie ging.
So sollte es ja auch eigentlich sein: In der Theorie sollte sich durch die digitale Revolution eigentlich nicht der journalistische Inhalt, sondern seine Verbreitung und seine Kosten ändern. Wenn sie den Inhalt schon ändern sollte, dann nur insofern, als dass sie online mehr Themenvielfalt ermöglichen sollte.

Doch über diesen Punkt sind wir, wie Krautreporter, Schirrmacher und einige (wenige) andere begriffen haben, längst hinaus. Die Huffington Post ist nicht die einzige Zeitung, die nach Klickzahlen hungert. Wenn es sich auf Portale wie Buzzfeed und heftig.co beschränken würde, wäre das Problem auch nicht so groß.

Ist das Journalismus?

Die Veranstaltung signalisierte aber das Gegenteil. In seinem Vortrag "Ist das noch Journalismus - der unheimliche Erfolg der Aggregatoren" stellte der Blogger und ZDF-Redakteur Martin Giesler diese Seiten vor. Die Betreiber versuchen, mit Rankinglisten und Cliffhangern (Teaser, die nichts verraten, aber neugierig machen sollen) Klicks zu generieren. Dabei geht es meist um so gesellschaftsrelevante Dinge wie "10 Probleme, die Frauen mit großen Brüsten haben".

Giesler hat in seinem Vortrag das Erfolgsrezept dieser Seiten erklärt. Einfache, alltägliche, personalisierte Inhalte. Ständiges Pushen alter Beiträge. Rankings. Suchmaschinenoptimiertes Schreiben. User(daten)basierter Content. Er ist dabei sehr kompetent. Er entdeckt die Schwachstellen der Medien und hat viele Verbesserungsvorschläge. Er ist ein Experte für die Vermarktung journalistischer Inhalte. Das ist gut, und solche Leute brauchen wir. Sie wollen die Bezahlung im Netz sichern und damit den Fortbestand des Journalismus.

Parallel zu Giesler stellte ich mir aber dieselbe Frage wie er: Ist das noch Journalismus? Nur hat er die Frage anders gemeint. Er fragt, ob man unter Seiten wie heftig.co Journalismus verstehen kann (Eine Frage übrigens, die die Gründer längst verneint haben, was Giesler im Laufe seines Vortrags auch herausstellt.)

Ich meinte mit der Frage aber, ob die Technik der Geschichtenverbreitung noch Journalismus ist. Ich habe die Marketingsprache aus seinem Vortrag in den letzten Absätzen kursiv geschrieben. Giesler ist aber kein Marketingexperte eines Verlags, der beratend zur Seite steht. Er ist Journalist. Redakteur. Das ist das Problem. Denn diese Marketingredakteure, die vortraghaltend durch die Kongresse ziehen und ihr Marketingwissen in ihr journalistisches Produkt eingreifen lassen, sorgen für einen Kulturwandel.

Marketingexperten als Lehrer

Ich bin noch jung, 19 Jahre alt. Ich will Journalistin werden. Mittlerweile hat (hoffentlich) auch der Letzte begriffen, dass zukünftig Journalisten nicht mehr am Netz vorbeikommen werden. Das ist gut. Aber nun beginnen unsere Lehrer, die quantitative Leserforschung zum Bestandteil unserer Ausbildung zu machen - und zwar ohne uns vor ihren Gefahren zu warnen. Oft kennen sie diese Gefahren nicht einmal selbst.

Neulich habe ich einen mehrtägigen Workshop besucht. Im Workshop "Kommentar" hatten wir einen Referenten, der uns folgendes beigebracht hat:
Der durchschnittliche Leser klickt einen Artikel, der ihn nicht fesselt, nach sieben Sekunden weg. In einer Sekunde liest der Mensch durchschnittlich 4 Wörter. 7x4 macht 28. Die ersten 28 Wörter sind also die wichtigsten des ganzen Artikels. Außerdem werden Artikel, deren Überschriften aus zwei Wörtern bestehen, davon ein gebeugtes Verb (z.B. "Bush lügt") soundsoviel häufiger geklickt.
Die Teilnehmer, alle ungefähr so alt wie ich, schrieben fleißig mit und wandten die Tipps begeistert an. Die Überschriften bestanden nun teilweise tatsächlich aus zwei Wörtern mit gebeugtem Verb. Aber sie passten nicht zum Inhalt. Und die Artikel wurden zum Ende hin immer schwächer.

Die große Gefahr der quantitativen Leserforschung besteht darin, dass sie den Eindruck vermittelt, es gebe ein Erfolgsrezept für gute Artikel. Viele erfahrene Journalisten sitzen diesem Irrtum auf. Und die, die Leserforschung nur als das sehen, was es ist, als Instrument, vergessen, das zu betonen. Erst recht gefährlich ist dieser Fehlschluss aber für uns werdende Journalisten, die form- und beeinflussbar sind. Die Daten und Zahlen geben Sicherheit. Schlimm genug, dass das die Sprachästhetik in den Hintergrund rückt. Richtig gefährlich wird es aber, wenn wir von Anfang an lernen, nur über klickversprechende Themen zu schreiben. Wir dürfen das nicht zulassen. Gerade deshalb ist das Bestehen der Krautreporter so wichtig. Auf ihnen lastet nicht nur der Druck der Finanzierung des derzeitigen Onlinejournalismus, sondern der Fortbestand des Journalismus an sich. Sie müssen bei den Ausbildern des Nachwuchses ein Bewusstsein schaffen, was passiert, wenn man zukünftige Journalisten zu Marketingexperten erzieht.

In Zukunft werden Algorithmen das Schreiben einfacher Meldungen übernehmen können. Wir dürfen uns nicht selbst überflüssig machen, indem wir bloß vorhandenen Bedarf decken. Das können bald Maschinen. Wir Journalisten können und müssen auch anbieten, inspirieren, begeistern, hinterfragen, kritisieren, Debatten führen. Das macht unseren Beruf so wichtig und nötig. Frank Schirrmacher war ein Meister in diesen Dingen. Wir sind es ihm schuldig, seine Sorgen ernst zu nehmen, zu warnen, und vor allem sein Vermächtnis weiterzugeben: Die Leute mitzunehmen und für Politik, Kultur und Demokratie zu begeistern indem wir uns die Maschinen zum Untertan machen. Nicht umgekehrt.

So bleiben wir relevant.

Dieser Beitrag gibt die Meinung des Autors wieder, nicht notwendigerweise die der Redaktion des Freitag.
Geschrieben von

Helke Ellersiek

Freie Journalistin. Leipzig, Köln, Berlin.Twitter: @helkonie

Helke Ellersiek

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